Albert Libertad
Der Verbrecher ist der Wähler!
Du bist der Verbrecher, oh Volk, denn du bist der Souverän. Du bist, es ist wahr, der unbewusste und naive Verbrecher. Du stimmst ab und du siehst nicht, dass du dein eigenes Opfer bist.
Doch hast du noch nicht oft genug erfahren, dass die Abgeordneten, welche versprechen, dich zu verteidigen, ebenso wie alle gegenwärtigen und vergangenen Regierungen der Welt, Lügner und Taugenichtse sind?
Du weisst es und du beklagst dich darüber! Du weisst es und du ernennst sie! Wofür die Regierenden, ganz egal welcher Art, gearbeitet haben, arbeiten und arbeiten werden, das sind ihre Interessen, diejenigen ihrer Kasten und ihrer Sippschaften.
Wo ist es jemals anders gewesen und wie könnte es jemals anders sein? Die Regierten sind Untergebene und Ausgebeutete: kennst du welche, die es nicht sind?
Solange du nicht begriffen hast, dass es einzig deine Angelegenheit ist, nach deinem Gutdünken zu produzieren und zu leben, solange du – aus Furcht – Chefs und Führer über dir akzeptierst, und sie – aus Glauben an die notwendige Autorität – selber fabrizierst, solange werden, sei dir dessen auch wohl bewusst, deine Delegierten und deine Beherrscher von deiner Arbeit und von deiner Einfältigkeit leben. Du beklagst dich über alles! Aber bist nicht du der Urheber der tausend Plagen, die dich quälen?
Du beklagst dich über die Polizei, die Armee, die Justiz, die Kasernen, die Gefängnisse, die Behörden, die Gesetze, die Minister, die Regierung, die Finanzleute, die Spekulanten, die Beamten, die Bosse, die Priester, die Eigentümer, die Löhne, die Arbeitslosigkeit, das Parlamant, die Steuern, die Zöllner, die Rentiers, die hohen Lebensmittelpreise, die Pachtzinsen und die Mieten, die langen Tage im Betrieb und in der Fabrik, die magere Kost, die unzähligen Entbehrungen und die endlose Menge an sozialen Ungerechtigkeiten.
Du beklagst dich, aber du willst die Aufrechterhaltung des Systems, worin du dahinvegetierst. Du lehnst dich gelegentlich auf, aber um jedes Mal wieder von Neuem anzufangen. Du bist es, der alles produziert, der arbeitet und säht, der schmiedet und webt, der knetet und transformiert, der baut und fabriziert, der nährt und befruchtet!
Wieso also isst du nicht auf deinen Hunger? Wieso bist du schlecht gekleidet, schlecht ernährt, schlecht behaust? Ja, wieso der Brotlose, der Schuhlose, der Obdachlose? Wieso bist du nicht dein eigener Meister? Wieso beugst du dich, gehorchst du, dienst du? Wieso bist du der Untergebene, der Erniedrigte, der Beleidigte, der Diener, der Sklave?
Du erarbeitest alles und du besitzt nichts? Alles ist durch dich und du bist nichts.
Ich irre mich. Du bist der Wähler, der Abstimmler, derjenige, der akzeptiert, was ist; derjenige, der, mittels dem Stimmzettel, all seine Miseren sanktioniert; derjenige, der, indem er abstimmt, all seine Knechtschaften besiegelt.
Du bist der freiwillige Knecht, der liebenswerte Dienstbote, der Lakai, der Kriecher, der die Peitsche leckende Hund, der vor der Faust des Meisters kriecht. Du bist der Scherge, der Kerkermeister und der Petzer. Du bist der gute Soldat, der Musterportier, der bereitwillige Mieter. Du bist der treue Angestellte, der ergebene Bediener, der genügsame Bauer, der Arbeiter, der sich mit seiner Sklaverei abgefunden hat. Du bist dein eigener Henker. Worüber beklagst du dich?
Du bist eine Gefahr für uns freie Menschen, für uns Anarchisten. Du bist eine ebenso grosse Gefahr wie die Tyrannen, die Beherrscher, welche du dir gibst, welche du ernennst, welche du unterstützt, welche du ernährst, welche du mit deinen Bajonetten beschützt, welche du mit deiner brutalen Gewalt verteidigst, welche du mit deiner Unwissenheit erhöhst, welche du mit deinen Stimmzetteln legalisierst – und welche du uns durch deine Dummheit aufzwingst.
Es bist nämlich du der Souverän, den man umgarnt und den man übertölpelt. Die Diskurse beweihräuchern dich. Die Plakate umwerben dich; du liebst das alberne Geschwätz und die Schmeichleien: sei zufrieden, in Erwartung dessen, im Schatten deiner Fahne, in den Kolonien erschossen, an den Grenzen massakriert zu werden.
Wenn eigennützige Zungen nach deinem königlichen Kot lechzen, oh Souverän! Wenn nach Befehlen hungernde und mit Plattitüde vollgestopfte Kandidaten das Rückgrat und die Kruppe deiner Papierautokratie bürsten; wenn du dich am Weihrauch und an den Versprechen berauschst, womit dich jene überschütten, die dich schon immer verraten haben, dich betrügen und dich morgen verkaufen werden: so ist das, weil du selber ihnen gleichst. So ist das, weil du nicht mehr wert bist als die Horde deiner heisshungrigen Lobhudler. So ist das, weil du, da du dich nicht zum Bewusstsein deiner Individualität und deiner Unabhängigkeit erheben konntest, unfähig bist, dich von selbst aus zu befreien. Du willst nicht, und somit kannst du nicht frei sein.
Los, stimm nur ab! Hab Vertrauen in deine Mandataren, glaub an deine Gewählten. Aber hör auf, dich zu beklagen. Die Joche, die du erleidest, die legst du dir selber auf. Die Verbrechen, die dich quälen, die begehst du selber. Du bist der Herrscher, du bist der Verbrecher, und, welch Ironie, du bist der Sklave, du bist das Opfer.
Wir anderen, der Unterdrückung der Herrscher leid, welche du uns aufgibst, es leid, ihre Arroganz zu ertragen, es leid, deine Passivität zu ertragen, wir rufen dich zum Nachdenken, zur Aktion auf.
Los, eine gute Regung: Leg das enge Kleid der Gesetzgebung nieder, wasche deinen Körper gründlich, damit die Parasiten und das Ungeziefer stirbt, das dich auffrisst. Dann erst wirst du in Fülle leben können.
Der Verbrecher ist der Wähler!