Titel: Das rassistische Grundrauschen
Untertitel: Andere Fragen stellen
AutorIn: A
Datum: 2016

zieht sich durch unseren Alltag. Wer migrantischen Hintergrund hat, bekommt dies reichlich zu spüren. Sei es von Seiten der Bullen, Politiker*innen, Mitarbeiter*innen der Behörden oder Passant*innen. Dieser Rassismus entspringt nicht einer bloßen Laune; wir merken täglich, wie die Politiker*innen ihn schüren. Rassismus ist strukturell und eine immer wieder gern benutzte Regierungstechnik. Betreffen tut es uns jedoch alle.

Wir alle – aber ganz besonders die gutverdienenden Manager*innen und Chef*innen der hochgelobten deutschen Markenprodukte – profitieren durch die Billigproduktion in menschenunwürdigen Fabriken im Ausland. Dieses angebliche friedens- und demokratieliebende Deutschland ist drittgrösster Waffenexporteur der Welt und plant überall, auch mit Hilfe der Bundeswehr, neue Absatzmärkte. Waffen und Kriegstechnik werden an Diktaturen wie die ägyptische oder saudi-arabische Regierung verkauft. Während sich die deutsche Regierung antirassistisch gibt, werden z.B. Geschäfte mit der offen rassistischen Regierung Ungarns arrangiert. Es werden Vorurteile gegen Menschen geschürt die hier herkommen, auf deren Kosten wir bisher leben.

Während unter anderem deutsche Politik und Wirtschaft Flucht verursachen, geben sich Politiker*innen angeblich besorgt um das Wohl der Geflüchteten. Im gleichen Zuge erklären sie die Notwendigkeit, einen Teil von ihnen zu legalisieren, indem man Aussortierungskriterien einführt, die Menschen als „gute Ware“ auswählt um für deutsche Interessen arbeiten zu können und andere als „verdorbene Ware“ zurückweist. Papiere Kategorisieren Menschen in ihren Privilegienstand oder sichern Eigentum, welches immer Ursache von Neid und Ausbeutung ist. Sie erlassen Gesetze, bauen Lager, stärken die Verwaltungs- und Militärapparate, sowie die Überwachung der Grenzen. Diese Grenzen sind nicht nur Markierungen zwischen Staaten, sie werden auch durch Kontrollen und Razzien in den Verkehrsmittlen und Bahnhöfen sichtbar, an den Arbeitsplätzen und innerhalb der Machtbeziehungen, in Banken und Verwaltungen, in den Abschiebeknästen und durch die Arbeit der humanitären Hilfsorganisationen. Das hält die ganze Maschinerie am Laufen.

Wir weigern uns die künstlich erzeugten Grenzen und Kategorien zu akzeptieren

Rassismus hat seine Zwecke. Indem er den Ausgebeuteten als Ventil für den eigenen Frust dient, spielt er jene gegeneinander aus, die jeden Tag für irgendein Arschloch irgendwas schuften, oder sich beim Amt eine Portion Sadismus abholen müssen. Kein Mensch mit Herz und Verstand kann diese Ablenkungsmanöver übersehen: Das bewusste Schüren von ethnischen und religiösen Konflikten, das aufwiegeln derjenigen, die ein bisschen besitzen gegen jene die noch weniger haben.

Rassismus lenkt davon ab, den Grund für unsere Probleme in diesen erdrückenden sozialen Verhältnissen zu suchen. Politik und Wirtschaft dient der Rassismus als Hilfe für deren Aufrechterhaltung und der Kriegstreiberei. Vereinfachte Feindbilder dienen dazu, Gesetze durchzudrücken, die letzten Endes eine möglichst bedingungslose Ausbeutung und soziale Unsicherheit von prekär Arbeitenden, insbesondere Migrant*innen sichern. Die Sicherung der Verhältnisse wird erreicht durch die Mauern, die alltägliche Kontrolle, aber auch durch das Schüren von Vorurteilen und Angst.

Trotz der Ausbeutung und der Einsamkeit, die vielen in dieser Gesellschaft nicht fremd sein können, verteidigen nicht wenige diese „Kultur“ aus einem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer dekadenten Lebensweise, von der alle wissen, dass nur wenige Menschen so leben können und wir damit auch noch unsere Erde als Lebensgrundlage zerstören.

Und es gibt tatsächlich ein Kampf um die Kulturen, der clash der Kulturen der Autorität und der Selbstbestimmung. Er wird uns jeden Tag neu aufgezwungen: der Kampf für die Freiheit aller Menschen selbst zu entscheiden, wohin sie gehen und wie sie gemeinsam leben wollen. Eine Kultur ohne Grenzen, die versteht, dass es Freiheit nur geben kann, wenn alle frei sind und die Menschen sich auf Augenhöhe begegnen. Eine bedachte Kultur, die sich in ihrer Suche nach Wegen des (Über)Lebens nicht vom Glanz technischer Lösungen blenden lässt, weil sie erkennt wie wenig wir im Grunde von der Schönheit des Lebens und der Natur verstehen. Eine Kultur, die einen respektvollen Umgang mit anderen Leuten und unserer Umgebung kultiviert.

Indem wir Herrschaft – also auch Rassismus – in all seinen Fratzen gewähren lassen, spielen wir den Reichen und Regierenden in die Tasche. Die Angst vor Verarmung und Zerstörung unserer angeblichen Sicherheiten soll umgeleitet werden, weil sie sonst in Wut umschlagen könnte. Also weg von denen, gegen die sie sich logischerweise richten müsste: Eine Wut, die sich logischerweise gegen Politik, Unternehmen, Personen und Strukturen richten müsste, welche unsere Ausbeutung und Kontrolle vorantreiben. Rassismus entschieden entgegenzutreten und den Menschen ohne Vorurteil als Individuen zu begegnen, könnte bedeuten, Verbündete zu finden, um gemeinsame Probleme zu bekämpfen: die Ausbeutung und die ausbeutenden Autoritäten.

Umgeben von Waren, Lifestyles und neuen Technologien, im digitalen Dauerrauschen, scheinen solche Fragen in der geistigen Leere des Alltags zu ersticken. Diese Prothesen, dieses vorgegaukelten Lebens und dessen soziale Zwänge hetzen uns, immer weiter zu ackern, zu funktionieren – ohne inne zu halten... So als will man nicht, dass wir es wagen, uns die Frage nach der Aneignung und Selbstbestimmung unserer Leben zu stellen. Sie ernsthaft zu stellen.

ANDERE FRAGEN STELLEN

Die Fragen der Politiker*innen und ihre Abstimmungen interessieren uns nicht; schlichtweg, da sie die Anerkennung ihrer Herrschaft und den puren Egoismus des Kapitalismus in sich tragen. Zu fragen, ab wann Migrant*innen abgeschoben werden sollen, setzt schon voraus, dass wir Kontrollen, Gefängnisse und Abschiebelager gutheißen. Für uns lautet die Frage nicht, wie der Staat mit Asylsuchenden, Menschen ohne Papiere und „kriminellen Ausländern“ umgehen soll, sondern wir müssen uns selbst an die Nase fassen, unser Herz fühlen und uns fragen: wollen wir eine Welt, die Menschen zwischen Grenzen, Gesetzen und Gefängnismauern einsperrt? Wollen wir eine Ordnung, die Menschen der bedingungslosen Ausbeutung ausliefert, sie monatelang einsperrt und zwangsabschiebt, weil sie keine gültigen Ausweispapiere haben? Wollen wir eine Gesellschaft, die Menschen kontrolliert, isoliert, ausbeutet, entfremdet, kriminalisiert und erniedrigt? Und wieso nicht dieses „ganz Andere“ zum Ausgangspunkt unserer Verlangen machen, anstatt eine Wirklichkeit voller Angst, Konkurenz, Hass und Neid?

Für ein solidarisches und selbstbestimmtes Leben ohne Papiere und Eigentum!

Unsere Fragen gehen von einem ethischen Punkt aus. Von einer freiheitlichen und anti-autoritären Sensibilität, von selbstorganiserter Solidarität: Niemand soll eingesperrt, beherrscht und ausgebeutet werden. Alle sollen frei sein ihr Leben selbst zu organisieren, anstatt es in die Hände des Staates oder seiner Handlanger*innen zu geben. Dies jedoch erfordert einen dauerhaften Bruch mit diesem Alltag seinen Zwängen. Daher erkennen wir uns im Widerstand und den Revolten gegen Unterdrückung wieder, ob in den Flüchtlingslagern oder auf der Straße. Wenn wir hier von Ethik sprechen, dann hat das mit Moralaposteln und Humanist*innen nichts zu tun. Es geht um ein Abwägen zwischen einem würdevollen Leben, Lebensbedingungen und unseren Träumen. Der alltägliche Aufstand gegen jede Autorität, egal wo, ist eine Frage der Selbstbestimmung. Unser Entschluss kann nur eine Kampfansage gegen das Bestehende sein.

Ich entscheide, ob ich weggucke oder in Kontrollen und Überwachung eingreife, da sie uns alle einschränken.

Ich entscheide, ob ich Eigentumsverhältnisse akzeptiere oder klaue, umverteile und teile, um die zu enteignen die mehr haben als sie brauchen.

Ich entscheide, ob ich Menschen kategorisiere oder sie einfach kennenlerne, um Beziehungen auf Augenhöhe zu leben.

Ich entscheide, gemeinsame Ausbeutung anzugreifen, um uns unsere Leben anzueignen.


ENTFESSELN WIR DIE WUT GEGEN ALLE AUTORITÄTEN – Nazis, Abschiebebehörden, Regierende, Kriegsprofiteure, kapitalistische und herrschende Strukturen!