A Corps Perdu
Zur Einleitung in das Dossier „Insurrektion“
Der „dreißigjährige Frieden“, der heute allmählich zu Ende geht, hat zweifellos unwiderrfliche Spuren hinterlassen. Am Horizont zeichnet sich eine Welt ab, die wir noch nicht zu entziffern vermögen, eine Welt, die tausend Wege einschlagen könnte, die auf jeden Fall schon lange nicht mehr so dynamisch gewesen sind. In verschiedenen Teilen der Welt kann man sagen, dass die Befriedung immer mehr Risse aufweist, während sich die Zugeständnisse, die von den sogenannten „Sozialstaaten“ großzügig verteilt wurden, Stück für Stück abbauen. Die Kluft zwischen den Klassen vergrößert sich und das, was die Bosse „Krise“ nennen, verschafft uns ein Bild von dem, was die kapitalistische Katastrophe ist.
Ohne hier auf lange sozioökonomische Ausschweifungen einzugehen, denken wir, dass es mehr als notwendig geworden ist, wieder über die gegenwärtigen und künftigen Möglichkeiten nachzudenken. Im selben Maß, wie die Gesellschaft dynamisch ist, müssen auch die revolutionäre Theorie und Praxis dies wieder werden. Darum haben wir uns entschieden, uns in dieser Ausgabe auf das schwierige Terrain des vielerwähnten sozialen Krieges zu wagen, indem wir nicht davon ausgehen, was wir gerne hätten, sondern davon, was in bestimmten Teilen der Welt kürzlich passiert ist und noch immer am passieren ist. Es schien uns angebracht, auf einige der jüngsten sozialen Explosionen noch einmal zu sprechen zu kommen, um zu versuchen, ihre Unterschiede zu analysieren, ihre Grenzen zu kritisieren und uns ihre möglichen Perspektiven vorzustellen. Wir sind keine Anhänger irgendeines historischen Determinismus, der angeblich dafür sorgen soll, dass diese Explosionen in eine bestimmte Richtung gehen, egal welche diese sein mag. Wir möchten die Zusammenhänge zwischen den sozialen Verhältnissen, die vom Kapital bestimmt werden, und der Möglichkeit ihrer Subversion analysieren. Und dies nicht aufgrund der Illusion, sie als einen globalen Konflikt darstellen zu können, sondern um den Internationalismus wiederzubeleben.
Wir haben also einige Texte zusammengestellt, die Früchte unserer Diskussionen und der unvermeidlichen „Plünderung“ dessen sind, was die anarchistische und revolutionäre Bewegung bisher hervorgebracht hat. Wir haben sie in dieses Dossier eingefügt, mit ihren Widersprüchen und ihren Grenzen, weil wir denken, dass die Dringlichkeit sicherlich nicht in einer einheitlichen Synthese liegt, sondern im Gegenteil in einer Lesart, die es versteht, einen jeden jeweils als Ganzes zu betrachten, in dieser Welt, die selbst immer totalitärer wird. Wir wollten auch einen kritischen Blick auf die Theorien und Praktiken bewahren, die sich jüngst in verschiedenen Ecken der Welt entwickelt haben, ohne den Anspruch zu haben, objektiv zu sein, und noch weniger jenen, die Realität zu objektivieren. Es geht uns hier schlicht um ein Versuch, ausgehend davon, was geschehen ist, sowie davon, was geschehen könnte, Hypothesen zu erdenken: aus der Geschichte zu lernen, die Theorie und die Aktion auf der Grundlage der Erfahrung auszuarbeiten und zu verändern. Zusammengefasst: zu tun, was die Revolutionäre seit jeher zu tun versuchen, was aber in den letzten Jahren all zu oft im Morast der Dogmen und Ideologien stecken geblieben ist.
Die Frage auf ein paar Seiten auszuschöpfen, wäre unmöglich, und der Umfang der Erfahrungen und Realitäten hat uns auch geholfen, zu verstehen, dass man sowieso schwerlich den Anspruch haben kann, dies zu tun. Obwohl dieser Versuch sicherlich interessant ist, sind wir uns seines noch oberflächlichen Charakters durchaus bewusst.
Die Unruhen, die 2005 von den französischen Banlieus ausgingen, die Ereignisse in Argentinien und Bolivien in den 2000er Jahren oder das, was heute in Griechenland passiert, sind alles Fragmente ein und desselben sozialen Krieges, die nicht immer ihren Weg finden. Vielleicht auch, weil sich dieser nicht auf ausgetretenen Pfaden finden lässt, die die Lösung sein sollen, sondern weil diese Wege im Gegenteil noch immer ein offener Raum sind, ohne Grenzen, aus dem jeder aus anderen Erfahrungen das Bewusstsein zieht, Akteur ein und desselben Konfliktes zu sein, auch wenn es sich um unterschiedliche Fragmente und Zeiten handelt. Wir würden uns wünschen, dass über jeden Ort und jede Erfahrung gesprochen wird, aber dazu ist es vor allem notwendig, dass die Ohren aufmerksam sind, dass sie weit weg sind von allen Dogmen, aller Selbstbeweihräucherung und allen revolutionären Fetischismen.
Über die Revolte, den Aufruhr, die Insurrektion und die revolutionären Möglichkeiten zu diskutieren, die daraus entstehen mögen, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Bedeutungen, die diesen Konzepten gegeben werden, variieren je nach Zeit und Raum, und diejenigen, die versuchten, über ihre Möglichkeiten nachzudenken, kamen oft auf gegensätzliche Schlussfolgerungen. Wieder andere behaupteten sogar, die alleinige Lösung zu besitzen, während sie gleichzeitig das Ausmaß der Frage und ihre Möglichkeiten einschränkten. Wir werden deshalb versuchen, ein wenig den Gebrauch zu verdeutlichen, der in den Artikeln des Dossiers von diesen Konzepten gemacht wird. Sicherlich nicht, um uns denjenigen anzuschließen, die behaupten, die alleinige Wahrheit zu besitzen, sondern um ihre Lesart zu vereinfachen, indem wir die Bedeutungen genauer ausführen, die wir ihnen gegeben haben, und auch im Bewusstsein, dass andere auf ganz andere Art und Weisen über Insurrektion, Aufruhr und Revolte – und vor allem über revolutionäre Hypothesen – gesprochen haben.
Wir wurden oft daran gewöhnt, die revolutionären Entwicklungen als etwas lineares zu betrachten:Agitation, Unzufriedenheit, Bewusstwerdung, Aufruhr, Insurrektion, Revolution. Gewiss, vielleicht nicht auf so schematische Weise, aber jedenfalls mit einer zugrundeliegenden Vision, wonach sich die Phänomene eines nach dem anderen, in einer Art „Fortschritt“ addieren. Mit einem etwas aufmerksameren Blick auf die jüngsten Unruhephänomene, kann man aber eher die Tendenz wahrnehmen, jegliches Schema zu sprengen. Zumindest, wenn wir nicht – wie es bei den situationistischen Erbenträgern oder bei denjenigen, die an der postblanquistischen Pathologie leiden, oft der Fall ist – der Realität Eigenschaften zuschreiben wollen, die sie nicht hat, oder ihr umgekehrt direkt die eigene Theorie (und somit die eigene Sprache) aufdrücken wollen.
Wenn das Schema, das in den Köpfen der Revolutionäre existiert, von diesem „addierenden Typ“ ist, kann die Tatsache, den Ereignissen eine bestimmte Konnotation zu geben – indem man sie etikettiert –, uns dazu verleiten, große Fehler zu begehen, oder schlimmer noch, kontraproduktive Thesen zu entwickeln. Wenn wir beispielsweise die Konfrontationen und zerstörerischen Aktionen, die von den „französischen Banlieus“ ausgingen, fälschlicher Weise als einen „insurrektionellen“ oder „vorinsurrektionellen“ Moment analysieren wollten, dann müsste die logische Konsequenz die Verbreitung dieses Modells und die Vorbereitung des revolutionären Moments sein. Leider, oder zum Glück, sieht die Realität ziemlich anders aus und zwingt sie uns auf, zumindest aus den Schemas heraus zu treten. Die jüngsten Episoden von „sozialen Revolten“ müssen als das gelesen werden, was sie sind, und nicht als das, was wir gerne hätten, dass sie sind: eine Revolte ist eine Revolte, nicht mehr und nicht weniger. In einer Welt, in der die Beziehungen immer entfremdeter sind, kann sie zweifellos in Richtung sozialer Krieg, in Richtung Befreiung gehen, sie kann uns aber ebenso gut in Richtung Bürgerkrieg führen. Es gibt keine mathematische Regel, es sind keine Additionen möglich: es gibt die rohe und nackte Realität mit ihren Möglichkeiten, ihren Wiedersprüchen und ihren Risiken. Die Dialektik, die sich während Momenten der Unruhe zwischen den Ereignissen entwickelt, kann deren Richtung ändern, deren Spannungen modifizieren, sowie verschiedene Türen öffnen oder schließen. Es handelt sich also nicht um progressive Bewegungen, sondern um chaotische Explosionen, in denen allein die im Dialog miteinander handelnden Subjektivitäten die Zukunft bestimmen können.
In Anbetracht der griechischen Unruhen von 2008 und unter Beobachtung der Ereignisse dieser letzten Monate [Sommer 2010 - Anm. d.Ü.], wird man feststellen, wie der Ungehorsam einer Minderheit der Bevölkerung auf eine viel breitere soziale Revolte stoßen kann. Diese Erfahrung ist noch immer am laufen und ist im Moment noch schwer zu evaluieren, doch ihre vielfältigen Ausdrücke geben uns eine Vorstellung ihrer möglichen insurrektionellen Potenziale. Im Grunde würde Griechenland dem klassischen Modell entsprechen: das, was sich dort abspielt, könnte als Gegenbeispiel gegen die Ungültigkeit der additionnellen Fortschrittsbewegungen betrachtet werden, die wir vorhin behaupteten. Diese scheinbare Logik und das Gewicht der anarchistischen Bewegung in Griechenland verleiten dazu, die Situation in diesem Land als etwas zu betrachten, das es einfach zu reproduzieren gälte: „Wir müssen es wie in Griechenland machen“ ist ein Satz, der immer häufiger aus dem Mund von Kameraden zu hören ist. Doch die Vorstellung, sich die Erfahrung, die a priori „am nächsten bei uns“ zu liegen scheint, und gleichzeitig auf lineare Weise jene Schemas reproduziert, die wir schon mehr oder weniger in unseren Köpfen hatten, als „Modell“ zu nehmen, zeugt vor allem von Einfalt: die griechischen Entwicklungen bedeuten nicht, dass es sich dabei um den Weg handelt, der unserer Situation am meisten entspricht.
Wir können es nicht „wie in Griechenland machen“, sowie wir es auch nicht wie in Frankreich, Argentinien oder Bolivien machen können. Jede dieser Erfahrungen ist die Frucht von einer besonderen Situation, von einem anderen sozialen Mechanismus, von Subjektivitäten mit unterschiedlichen Geschichten. Was uns alle einander näher bringt, ist der Feind, die Tatsache, einem politischen und ökonomischen Verhältnis unterstellt zu sein, das einer gleichen Logik folgt, sich aber, wie wir bereits sagten, nicht immer auf gleiche Weise ausdrückt. Die Perspektiven zeigen sich in der Dialektik zwischen den anderen Erfahrung und den unsrigen, und nicht dadurch, dass wir uns irgendeinem Modell anpassen.
Die Situation in Argentinien vor zehn Jahren hat uns gezeigt, wie bedeutungslos die Sicherheiten des Kapitals manchmal werden können. Damals waren wir wenige, die dieser Situation Aufmerksamkeit schenkten, heute aber sind viele Länder des Westens dran, mit dieser Unsicherheit rechnen zu müssen... und mit der Perspektive des Elends. Argentinien verstand es, sich aufzulehnen, aber nicht nur das: mittels der Volksauflehnung versuchte es, sich Mittel zu verschaffen, um entschlossen voranzuschreiten, während es in eben diesen Mitteln auf seine Grenzen stieß. Besser noch, die Grenzen, die die von der Wirtschaft kreierten Verhältnisse auferlegen, haben die Unmöglichkeit der Selbstverwaltung offensichtlich gemacht. Ein weiteres Mal hat die direkte Erfahrung die alte Theorie überwogen, indem sie „moderne“ Problematiken offenlegte: die Selbstverwaltung der Produktionsmittel ist, auch innerhalb eines Kontexts der generalisierten Revolte, fehlgeschlagen, unabhängig von der Tatsache, ob sie nun wünschenswert ist oder nicht. Die Spannung, das eigene Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen, bleibt ein wertvolles Prinzip, aber die argentinischen Revolten haben uns im Negativen gezeigt, inwiefern sie gänzlich an die Möglichkeiten der Autonomie gebunden bleibt. Wie wir bereits Gelegenheit hatten, in dieser Zeitschrift zu schreiben: Die Autonomie ist nicht nur materiell, sondern steht im Zusammenhang mit den sozialen Verhältnissen, mit Verhältnissen, die, wenn sie nicht untergraben werden, keinen Platz lassen für Befreiungshypothesen.
Wir fallen immer wieder auf dasselbe Problem zurück: die Subversion gegen die Herrschaft, die selbst eine Gesamtheit von Beziehungen ist, und nicht bloß ein wirtschaftlicher oder staatlicher Überbau. Und wenn die Subversion der sozialen Beziehung, in einer totalitären und totalisierenden Welt, nur durch den generalisierten Bruch mit der Normalität möglich ist, kommen wir wieder auf die Frage der Insurrektion zurück.
Wenn diese letztere eine mögliche Grundlage sein mag, um den Mechanismus der Entfremdung zu durchbrechen, so können wir sie dennoch nicht als romantisches Phänomen interpretieren. In der modernen – oder, für die Liebhaber der geistigen Masturbation, „post-modernen“ – Welt haben die Barrikadenfantasien keinen Sinn mehr. Die Interpretation des Akts der Insurrektion als militärische Konfrontation kann uns nur zu beträchtlichen Niederlagen führen.
Die Massenvernichtungswaffen, die Entwicklung der modernen Technologien und die systematische Verschiebung der Kriegshandlung vom militärischen zum zivilen (in einer Vision, die nicht nur den militärischen Gegner als Feind, sondern eine ganze Bevölkerung als zu vernichtende Einheit betrachtet), haben seit fast einem Jahrhundert jegliche Logik vertrieben, die die Insurrektion zu einer reinen Kriegshandlung machte: bewaffnete Besetzung des Rathauses, Barrikaden rund um die Plätze, Kanonenschüsse in den Straßen. Die Insurrektion muss also auf eine andere Weise neu gedacht werden.
Ohne den Anspruch zu haben, ihnen eine einheitliche Bedeutung zu geben, wollen wir dennoch die Begriffe definieren, die wir in diesem Dossier gebrauchen werden.
Den Aufruhr [frz.: l‘émeute, in der deutschen Übersetzung manchmal auch Unruhe oder Krawall] könnten wir auf zeitgemäße Weise als eine Konfrontation auf den Straßen definieren, die einen kleinen Teil der Bevölkerung miteinbezieht, die auf einen begrenzten Raum und auf das Innere dieser Minderheit beschränkt bleibt. Der Aufruhr trägt auch keine befreiende Bedeutung in sich, weil er in Sachen Perspektiven und Bewusstsein einer Feindschaft nicht den Willen voraussetzt, sich innerhalb einer gemeinsamen Emanzipation zu entfalten (was man beispielsweise einst als „Klassenbewusstsein“ definierte). Ein Aufruhr kann genauso gut gegen die Polizei ausbrechen, wie gegen das, was als „anders“ wahrgenommen wird (eine sogenannte andere Ethnie zum Beispiel), und diejenigen, die sich daran beteiligen, bilden nicht unbedingt eine homogene Gesamtheit in dem, was sie sind, noch in dem, wonach sie streben. Wenn wir von Aufruhr reden, beziehen wir uns also zwangsläufig eher auf eine Art und Weise, sich zu konfrontieren, als auf ihr Warum.
Im Unterschied zu den Aufruhren, trägt die soziale Revolte ihr Negatives deutlicher in sich. Sie ist breiter, umfasst einen Teil der Bevölkerung, während sie die Kategorien teilweise zurücklässt.
Sowie der Aufruhr, trägt sie jedoch nicht zwangsläufig einen revolutionären Traum in sich. Das Bewusstsein einer spezifischen Feindschaft, oder einfacher, der Hass gegen die unerträgliche Situation, die von einigen wenigen geschaffen wird, bedeutet nicht die Kritik an der Gesamtheit der Welt im Allgemeinen und den Traum von etwas anderem. Die Revolte entspringt einem Gefühl und einer Spannung, die in einem bestimmten Moment von zahlreichen Menschen geteilt werden. Sie drücken sich nicht auf eine spezifische Art und Weise aus, sondern durch verschiedene Praktiken, die sich in Opposition stellen.
Dasselbe könnte für das gelten, was wir als Volksauflehnung definieren, aber in dieser letzteren, auch im Fall einer Abwesenheit eines Positiven, erkennt man einen klaren Bruch mit der Normalität, die (teilweise) Überwindung der Rollen und vor allem ihre Ausweitung auf einen genügend großen Teil der Bevölkerung eines gegebenen Orts. Sicher, die momentane Durchbrechung der Rollen bedeutet noch nicht die Subversion der sozialen Verhältnisse. Wenn die Auflehnung in ihrer A-Normalität Möglichkeiten für diese Subversion, und somit für einen „Punkt ohne Rückkehr“ öffnet, so ist sie noch keine Subversion an sich. Wir könnten also sagen, dass eine Volksauflehnung potenziell, vielleicht im entstehen begriffen, die Suche nach dem Traum enthält. Und erst wenn dieser Traum vorstellbar wird, wenn die aufgehobenen Rollen zu untergrabenen Verhältnisse werden können, beginnt die Volksauflehnung die Grundzüge der Insurrektion anzunehmen.
Befassen wir uns also mit einer heiklen Frage. Wie die Insurrektion definieren? Wir wissen, dass viele darüber nachgedacht haben, während sie auf verschiedene Schlüsse gekommen sind. Was uns betrifft, und ausschließlich, um zu versuchen, zur Klarheit beizutragen, werden wir versuchen, unsere Definition genauer auszuführen.
Beginnen wir zuallernächst damit, die Insurrektion vom Insurrektionalismus zu unterscheiden: Ersteres ist ein sozialer Akt, während der zweiteres nur eine Methode ist – die leider oft durch eine Ideologie ersetzt wurde, wie wir in diesem Dossier sehen werden. Die Art und Weise, auf die wir hier von ihr sprechen, macht die Insurrektion zu einem bewussten Akt, durch den sich ein Teil der Bevölkerung auflehnt, indem er auf unterschiedliche Weise das angreift, was er als Feind identifiziert hat. Die Insurrektion benötigt nicht a priori eine Mehrheit (auch wenn ihre Ausweitung sie wünschenswert macht), sondern trägt, durch ihre Taten, eine soziale Kritik in sich, welche die Keime der künftigen Gesellschaft enthält.Wir dürfen den Akt des Sich-Auflehnens, der an das Individuum gebunden ist, nicht mit der Insurrektion als soziales Ereignis verwechseln. Beide sind innig miteinander verbunden, ersteres erfordert aber einen individuellen Willen und zweiteres ein Spiel zwischen den Beziehungen. In der Praxis kann sich das Individuum in jedem Moment auflehnen, während die Insurrektion die In-Gang-Setzung eines Prozesses der Subversion der Verhältnisse innerhalb eines kollektiven Körpers benötigt. Die Insurrektion ist also nicht die Summe der Aufständischen, von Individualitäten, die eine neben die andere gestellt werden, sondern ist eine Gesamtheit von Beziehungen, die Kettenreaktionen auslösen, und von welchen jede Explosion mit einer anderen verbunden ist, in einem maßlosen Prozess: Wenn die Explosion den ganzen Sauerstoff, von dem sich die Rollen nähren, verzehrt hat, wird der revolutionäre Prozess beginnen, das heisst, die Dialektik zwischen den verschiedenen Hypothesen, den wirklichen Konstruktionen von neuen Formen des Zusammenlebens.
Wenn wir die Insurrektion als den Raum interpretieren, in dem die Verhältnisse untergraben werden und worin potenziell der Prozess der „Revolutionierung“ der Gesellschaft beginnen kann, müssen wir uns ganz einfach fragen, wie wir dahin gelangen können. Den Faden unserer anfänglichen Worte wieder aufnehmend, ist es natürlich die heutige Realität, von der wir ausgehen müssen: dort, wo sie sich nicht den Theorien anpasst, müssen die Theorien ausgehend von der Realität trans-formiert werden, was nicht bedeutet, seinen Ideen und seiner Ethik zu entsagen, im Namen einer Flexibilität, die uns in die Entfremdung eingliedern würde. Wenn wir uns beispielsweise in bestimmten westlichen Ländern nur schwerlich eine Volksauflehnung vorstellen können, sondern vielmehr die Möglichkeit der Verbreitung von Aufruhren, von Revolten oder von noch unbekannten Formen erkennen können, dann sollte die Anstrengung darin bestehen, zu verstehen (ausgehend von dem, was existiert), wie die Insurrektion, das heisst, die Subversion der sozialen Verhältnisse erreicht werden kann.
Dies ist der Sinn dieses paradoxen Dossiers: Dazu beizutragen, die allgemein verbreitete Versteinerung der revolutionären Bewegung aufzubrechen, in einer Welt, die alles andere als versteinert ist.