Titel: Diskurs über die Methode
Untertitel: Der Kampf mit den Harragas in Paris
AutorIn: Subversions
Datum: September 2012
Bemerkungen: Originaltitel: "Discurs sur la methode. La lutte avec des harragas à Paris", publiziert in: "Subversions, Revue anarchiste de critique social" , Nr.1, September 2012, Paris.

Im Frühjahr 2011 besetzten tunesische Flüchtlinge aufeinanderfolgend mehrere Gebäude in Paris, auch als Antwort auf die stetigen Kontrollen, Razzien und Vertreibungen von den öffentlichen Plätzen und Parks der Stadt, die ihnen Unterschlupf und einen Ort sich zu treffen bieten. Zur gleichen Zeit kam es auf den Strassen von Paris in diesem Kontext zu Demonstrationen, Unruhen und Konfrontationen mit der Polizei, sowie zu Störungen von Veranstaltungen, die der Welt ein „neues Tunesien“ präsentieren und verkaufen wollten. Einige Anarchisten waren Teil dieser Besetzungen und Aufstände.

Der Text reflektiert ihre Erfahrungen der Intervention in diesen Kampf, er erzählt von den Begegnungen mit den tunesischen „Harragas“ auf Basis von Affinität und Selbstorganisation, vom Experimentieren mit anderen Beziehungen, die sich nicht auf materiellen Unterschieden gründen (Papiere besitzen oder keine Papiere besitzen) sondern aus einer gemeinsamen totalen Kritik am Bestehenden erwachsen, und von der Notwendigkeit der Zurückweisung von (linken) Kräften, die vermitteln und mit der Macht verhandeln wollen, als Voraussetzung, um sich autonom organisieren zu können. Er stellt die Frage nach den Möglichkeiten einer Intervention und nach den Perspektiven eines Teilkampfes, und stellt, im Wissen darum, dass die Ziele eines solchen Kampfes begrenzt sind, der quantitativen Ausweitung die qualitative Vertiefung gegenüber.

Wenn der Kampf der anarchistischen Gefährten in Paris innerhalb eines bestimmten Kontexts geführt wurde, den wir hier nicht auf diese Weise vorfinden, können dennoch einige Punkte, die aus ihren Erfahrungen hervorgehen, einen wichtigen Beitrag zu Diskussionen leisten, die hier geführt werden.

Für einige Leser mag es vielleicht paradox erscheinen, den Erfahrungen des Pariser Kampfes mit den tunesischen Harragas[1], auf den wir hier zurückkommen werden, so viel Gewicht zu geben. Denn, von welchem Interesse könnte ein Kampf sein, der sich nur über sehr kurze Zeit (die 2 Monate von Mai bis Juni 2011) in einem beschränkten Raum (einige Viertel einer Metropole) entfaltet hat, bevor er sich aus Mangel an Kämpfenden wieder erschöpfte, und der aus einem materiellen Blickwinkel nur sehr dürftige Resultate erzielte? Dennoch, wenn man die grosse Brille irgendeines „revolutionären Subjekts“ oder des berühmten „weltweiten Klassenkampfes des Proletariats gegen die Besitzenden“ für 2 Minuten ablegt, das heisst, wenn man sich die Fragen auf eine andere Art stellt, wird dieses Paradoxon schon relativer. Auf diese Weise könnte man mehr bezüglich Intensität und Gegenseitigkeit, Spannung und Methode reflektieren, als abhängig von quantitativen Kriterien wie Dauer, Ausmass, Beteiligung oder Befriedigung von Forderungen. So gesehen kann diese vergangene Erfahrung also vielleicht einige Vorschläge für die kommenden Kämpfe liefern und dazu beitragen, Umrisse von Gegensetzlichkeiten und Komplizenschaften rund um die Frage der Intervention in die soziale Konfliktualität zu aufzuzeichnen.

Paradox?

Wie dies im Allgemeinen bei jedem Teilkampf der Fall ist, und umso mehr in einem Kontext, der nicht am Brodeln ist, müssen wir vielleicht zunächst klarstellen, wovon wir ausgehen. In diesem Sinne, angesichts der Widersprüche und der Verwirrung, die in den sogenannten radikalen Milieus oft herrschen, entledigen wir uns gleich zu Beginn von falschen Fragen, wenn auch auf die Gefahr hin, etwas lange einige theoretische Hypothesen zu entwickeln.

Der Mangel an Erfahrung in dieser Art von Kämpfen ausserhalb von „sozialen Bewegungen“, der Fetischismus der Formen („man muss sich organisieren!“, aber... um was zu tun?), oder auch die Verlockung eines Teils der Bewegung, aus der Ausweitung „auf andere Leute“ ein Ziel an sich zu machen, führt offensichtlich zu Bilanzen, die oft widersprüchlich sind. Was in diesem Kampf mit den Harragas auf dem Spiel stand, schien, für unseren Teil, nicht darin zu bestehen, wer weiss was für eine kollektive Kraft anwachsen zu lassen, diejenige einer Bewegung auf der verzweifelten Suche nach „Verankerung“, oder umgekehrt diejenige von neuen Subjekten (die „letzten Ankömmlinge, die mit einer revolutionären Erfahrung ausgestattet sind und nichts zu verlieren haben“), eine Kraft, die es also genügen würde, aufzudecken. Wenn die Suche nach einer Schlüsselkategorie (die „Arbeiterklasse“, die „Bauern der Dritten Welt“, die „Wütenden der Metropolen“, etc.), die in der Lage ist, eine Umwälzung in Gang zu setzen, in der Vergangenheit viele Revolutionäre zu so manchen Enttäuschungen geführt hat, dann lasst uns jegliche soziologischen Spekulationen den Mülleimern des Gauchismus überlassen. Es sind nicht abstrakte Entitäten, die die Welt verändern, sondern Individuen, mit allem, was sie sind und projektieren, und deren materielle Bedingungen nur ein Aspekt sind. Den Illusionen der Dialektik über die Kategorien muss ein Ende gesetzt werden: die Ausgebeuteten sind als solche nicht Träger irgendeines positiven Projektes, einschliesslich dem einer klassenlosen Gesellschaft. Um sich zu befreien, haben sie nichts selbstzuverwalten ausser ihre eigene Negierung, indem sie alles zerstören, was sie existieren macht: die Lohnarbeit, die Waren, die Rollen und die Hierarchien.

In diesem Rahmen kann unsere Intervention in einen Teilkampf nur mit einer Analyse verbunden sein, und zwar mit derjenigen seiner Möglichkeiten für einen Bruch mit der Ordnung der Dinge, um herauszufinden, wie wir, in seinem Innern oder an seiner Seite, agieren wollen oder nicht. Wieso der Bruch? Weil es unmöglich ist, mit der Freiheit zu experimentieren, ohne Gitterstäbe durchzusägen, weil einzig ein Bruch mit der Normalität den Imperativen der Unterdrückung Zeit und Raum entreissen kann, um mit anderen Beziehungen zu experimentieren, die fähig sind, die Zerstörung der alten Welt zu vertiefen.

Teilkämpfe und Brüche

Wir brauchen hier nicht abzustreiten, dass sich diese Konzeption in Bezug auf Räume von sozialer Intervention und Möglichkeiten eines Bruchs der alten progressistischen und possibilistischen Praxis entgegenstellt. Dieser letzteren zufolge würden alle Teilkämpfe, Schrittchen für Schrittchen, von Kräfteanhäufung zu Sympathisantenvermehrung, von Radikalisierungen zu Überwindungen, schlussendlich vielleicht eines Tages, wenn die Bedingungen endlich reif sind, die angeblich von niemandem abhängen, in einer Art grossem kollektiven Organismus „zusammenlaufen“. Vielleicht ist auch das der Grund, wieso sich viele in einem ersten Moment weigern, sich mit den offensichtlichen Grenzen auseinanderzusetzen, die alle Teilkämpfe haben, während sie sich jedesmal wieder in sie stürzen. Aber jedes Schrittchen zählt, in Erwartung darauf, dass am Schluss die Guten gewinnen, nicht wahr? Dieser kumulativen Art und Weise, zur Insurrektion oder zur Revolution zu gelangen, stellen wir die Idee und die Möglichkeit von Sprüngen entgegen, von abrupten Übergängen ins Unbekannte der tausendundein Möglichkeiten. Ein Unbekanntes, das zwar die ganze Barbarei aufdecken kann, die wir in uns tragen wie verfaulte Früchte, die in dieser Welt herangewachsen sind, aber auch den ganzen Rest, all das, was sich nie ereignet hat. Angesichts der kleinen Buchhalter der Revolution ziehen wir die soziale Explosion mit all ihren Ungewissheiten der Aufrechterhaltung eines Bestehenden voller Ausbeutung und Herrschaft vor.
Die kumulative Art und Weise, die sozialen Umwälzungen zu betrachten, und folglich die Intervention in die Kämpfe, die sich daraus ableitet, wirft verschiedene Probleme auf. Zuallernächst, wenn sie nicht klassisch ideologisch ist, beruht diese Betrachtungsweise auf der Vorstellung, dass wir uns in einem Kontext von sozialer Befriedung befinden, in dem es nicht möglich ist, dass irgendein partieller Bruch die Gesamtheit mit sich reisst. Nach der letzten Restrukturierung befinden wir uns aber nicht mehr in den 80er und 90er Jahren, und es scheint uns im Gegenteil, dass, sowohl aufgrund eines zusätzlichen Integrationsgrades des Kapitals (durch die Globalisierung sowie durch die Technologie), als auch aufgrund der neuen Restrukturierungen, die diesseits der Erdkugel im Gange sind (Abbau des Sozialstaates, Rückgang der verfügbaren Arbeit, Übergang zu einer autoritäreren Verwaltung der sozialen Verhältnisse), eine aktuelle Hypothese vielmehr eine von Pulverfässern wäre, die sich regelmässig entfachen. In diesem Zusammenhang dreht sich die Frage also nicht mehr darum, „sich zu erweitern“ oder zu Kräften zu kommen, sondern darum, wie wir in unserem Masse dazu beitragen können, dieses Pulver der sozialen Unzufriedenheit zu entzünden, welche spezifischen Beiträge wir liefern können, um dieses explosive Gemisch anzureichern. Innerhalb eines Teilkampfes wäre das Ziel der Intervention dann vielmehr, ihn zu vertiefen, indem Verbindungen geschaffen werden, um die bestehende Konfliktualität zu nähren, anstatt seine spezifischen Aspekte hervorzuheben, indem er vom Rest der sozialen Frage getrennt wird (indem man die Schönheit eines Waldgebietes oder die Schlichtheit eines Tals, die Entsetzlichkeit des Einsperrens von Kindern oder die Brutalität der Polizei in den Vierteln hervorhebt). Vertiefen bedeutet hier gleichermassen, mit allem zu brechen, was in Dialog mit der Linken oder den Institutionen steht, und mit jenem Teil der Bevölkerung zu kämpfen, der sich weniger Illusionen über die x-ten Ausbesserungen der Fassade der Herrschaft macht, weil er sie an eigener Haut erfährt.
Der zweite problematische Punkt in dieser klassischen Sichtweise ist schliesslich, dass sie oft an der alten, marxistisch angehauchten Methodologie anknüpft, jener der objektiven und äusserst ökonomizistischen Bedingungen dieser Brüche. Da es „die Klasse“ oder „die Proletarier“ in ihrer Gesamtheit sind, wovon alles abhängt, bleibt nichts anderes zu tun, als darauf zu hoffen, dass sie sich manifestieren. Und so ist gewissen Leuten zufolge jeder Teilkampf bestenfalls nur ein Ausdruck der Grenzen des Verhältnisses Kapital/Arbeit und schlechtestenfalls ein schlichtes Kondensat der existierenden Widersprüche, das uns Material zur theoretischen Reflexion liefert. In dieser alten Debatte kann man auch in die andere Richtung neigen, das heisst, auf die Seite der (oft minoritären) Revoltierenden, die sich, einschliesslich ihrer Widersprüche, bereits manifestieren, und man kann die Hypothese aufstellen, dass es immer möglich ist, dass sich Brüche in Richtung einer Umwälzung der sozialen Verhältnisse ereignen. Oder jedenfalls, dass sie von keiner angeblich objektiven Bedingung festgelegt, oder von vornherein zum Scheitern verurteilt werden. Die jüngste Erfahrung in Tunesien zeigte uns wieder einmal, falls es notwendig war, dass es ein Teil der Bevölkerung ist, dem es, ausgehend von präzisen Gebieten (Zentrum-West und Süden) und indem er sich während langer Wochen mit Entschlossenheit und ohne irgendeine Garantie mit der Macht konfrontierte, gelungen ist, die Türen in Richtung einer solchen grossräumigen Umwälzung aufzustossen.

Die Frage der Kämpfe anzupacken, bedeutet also vielleicht, noch einmal auf die Frage der agierenden Minderheiten zurückzukommen: Was können die Revolutionäre, und im Speziellen die Anarchisten, dazu beitragen, um in Richtung von Momenten des Bruchs zu gehen? Und, wenn mit wenigen zu agieren, nicht bedeutet, isoliert zu agieren, wie können wir in die Konfliktualität intervenieren, um gleichzeitig ihre Verbreitung zu fördern und uns an ihrer Vertiefung zu beteiligen?

Teilkämpfe und Revolten

In Wirklichkeit sind diese Fragen an die Projektualität eines jeden gebunden, das heisst, an die Fähigkeit, an Ziele gebundene Instrumente und Methoden zu entwickeln, die sich aus den Analysen ableiten, die man von der Konfliktualität macht. Wenn man zum Beispiel bedenkt, dass es nicht darum geht, die Kritik auf Details zu richten, sondern direkt auf die Gesamtheit dieser Welt, dann kann man die Revolten und Teilkämpfe nur anders betrachten.
In Revolten wie jener vom November 2005 oder jener, die seit einigen Jahren Griechenland erschüttert, scheint uns die essenzielle Frage die nach ihrer Generalisierung zu sein, das heisst, nach der Ausweitung ihrer Ladung an Negativität ausserhalb von jeglicher Mediation. In einem Teilkampf hingegen kann die Frage nicht die nach der Verbreitung seiner Ziele und Forderungen sein, es sei denn, man hält am mythischen Modell eines Streiks fest, der sich generalisiert, sondern wäre vielmehr die nach seiner qualitativen Vertiefung.

Wie könnte ein Teilkampf, also ein Kampf mit einem Ziel, das festgelegt (ein materielles Problem zu lösen oder sich einem Projekt der Macht entgegenzustellen) und beschränkt ist (seine Dauer ist oft die der Befriedigung seiner Forderungen), zu einer allgemeineren Kritik des Bestehenden übergehen? Denn es gibt keinen Zweifel daran, dass der Reformismus recht gut den Charakteristiken der Teilkämpfe entspricht, in dem Sinne, dass er im Detail und auf quantitative Weise agieren, das heisst, grosse Mengen mobilisieren will, um bestimmte einzelne Elemente der Herrschaft umzugestalten. Wenn wir also nicht in die Fallen der Ideologie (Teilthemen künstlich mit Worten verbinden) oder der Politik (seine Ideen je nach Moment und Mehrheit anpassen) geraten, das heisst, nicht auf die notwendige Kohärenz zwischen Mitteln und Zwecken verzichten wollen, scheint es uns, dass wir von der qualitativen Dimension dieser Teilkämpfe ausgehen müssen, um so agieren zu können, dass sie sich in Revolten, das heisst, in Richtung einer Infragestellung des Bestehenden verwandeln.

Anders gesagt: es ist die Mischung aus anderen Beziehungen innerhalb des Kampfes (durch die Selbstorganisation), aus permanenter Konfliktualität (sich dem Feind entgegenstellen, anstatt sich mit ihm zusammenzusetzen) und aus verstreutem Angriff (die verschiedenen Zahnräder angreifen, die sich aus jedem Teilaspekt ableiten, das heisst, eine praktische Analyse der Gesamtheit der Herrschaftsverhältnisse vorschlagen), die uns erlauben könnte, ausgehend von unseren Grundlagen anderen kämpfenden Realitäten zu begegnen, aber auch, mit anderen Individuen einen Vorgeschmack von Freiheit, Autonomie und Freude am Kämpfen zu teilen. Dabei gehen wir nicht von der Vorstellung aus, dass wir einzig von einem Meer aus Gleichgültigkeit und Resignation umgeben sind, und auch nicht davon, dass wir die Einzigen sind, die das Ausleben der Freiheit gegenüber der Autorität, die Wut und den Zorn gegenüber der Befriedung, und die Konflikthaltung gegenüber der Verhandlung vorziehen, sondern im Gegenteil davon, dass der soziale Antagonismus auch zahlreiche potenzielle Komplizen birgt.

Durch Methoden und Inhalte wie diese werden wir sicherlich nicht einem Maximum an Unbekannten begegnen, aber vielleicht gemeinsam mit anderen Individuen, die von einer radikalen Opposition gegen einen Aspekt der Herrschaft ausgehen, dazu beitragen, Räume der gegenseitigen Bereicherung zu öffnen. Räume, die, auch wenn sich der Teilkampf nicht in eine Revolte verwandelt und erlöscht, dennoch weiterhin als Erfahrung widerhallen und eine antiautoritäre Beziehung sozial verbreiten könnte.

Ausgehend von diesen Dimensionen wollen wir noch einmal auf den Kampf mit den Harragas vom letzten Jahr zurückkommen, mit den Möglichkeiten als Massstab, die sich in Sachen Begegnungen auf subversiven Grundlagen, aber auch gemeinsamem Experimentieren bezüglich Selbstorganisation und Konfliktualität darin aufgetan haben.

Bevor wir diese paar Punkte angehen, und um die beiden Seiten der Begegnung, die sich in Paris ereignete, etwas zu präzisieren, werden wir erst ein wenig bei der genauen Situation auf beiden Seiten des Mittelmeeres verweilen, selbstverständlich im Wissen, dass nichts so homogen ist, das heisst, dass sich sowohl gewisse Harragas nicht an den Ereignissen in Tunesien beteiligt haben und einem anderen Weg gefolgt sind, wie sich gewisse Gefährten vorher nicht an anderen Kämpfen mit Sans-Papiers oder gegen die Ausschaffungsmaschinerie beteiligt haben.

Von Sidi Bouzid nach Paname[2]...

Zwei Wochen nach dem 14. Januar 2011 und dem Sturz von Ben Ali in Tunesien konnte man auf den Mauern von Paris ein Plakat in Solidarität mit den Aufständischen von beiden Seiten des Mittelmeeres lesen. Sich in hohem Ton Fragen über die Volksauflehnungen stellend, begann es wie folgt:

„In den letzten Wochen sind in Tunesien und Algerien tausende und abertausende Individuen auf die Strasse gegangen, um ihre Wut und ihre Revolte gegen unerträgliche Lebensbedingungen zu bekunden.

Mitten im Winter haben diese Strassenblockaden, diese massiven Plünderungen von Supermärkten und Lagerhallen, diese Brandstiftungen von Sitzen der politischen Parteien, diese Verwüstungen von Villen der Reichen und von Gymnasien, diese Angriffe auf Polizeiposten, diese Meutereien und anderen siegreichen Angriffe gegen die Gefängnisse unsere Herzen erwärmt...

Heute, trotz hunderten von Toten, scheint der Freiheitsdrang der Aufständischen nicht bereit, zu erlöschen. Besser noch, er könnte sich ein bisschen überall verbreiten. Denn es ist überall ein bisschen das gleiche explosive Pulver, das sich anhäuft, und zwar jenes des Elends und der alltäglichen Unterdrückung. Denn überall, und auch hier, ist es ein und dieselbe Welt, die uns unterwerfen will: eine Welt der Kohle und der Macht für einige, eine Welt der Einsperrungen und der Todesschläge für alle anderen. Eine Welt zu Diensten der Bosse und der Staaten, was auch immer ihre Farbe ist, was auch immer die Art und Weise ist, auf die sie uns ausbeuten und kontrollieren wollen. Jetzt, wo sich neue demokratischere Meister hervortun, um sich den Kuchen in Tunesien aufzuteilen, fragen wir uns, ob es wirklich das war, wofür tausende Revoltierende unter dem Schrei „Freiheit!“ gekämpft haben?“[3]

Und die Antwort lies nicht lange auf sich warten, mit einerseits der Verbreitung der Auflehnungen und Insurrektionen in Ägypen, und später in Libyen und in Syrien, sowie andererseits dem Zustrom von tunesischen Migranten, die auf der kleinen italienischen Insel Lampedusa ankamen. Infolge der Instabilität der Macht begannen die von Tunesien durchgeführten Kontrolloperationen an den Grenzen nachzulassen und manchmal sogar auszusetzen. Die schweren Pforten des europäischen Kontinents – gepanzert mit Ausschaffungslagern, die in die libysche Wüste ausgelagert wurden, mit Kriegsschiffen vor den italienischen und spanischen Küsten oder mit Minenfeldern an der griechischen Grenze – haben sich also einen Spaltbreit geöffnet. Nahezu 26'000 tunesische Harragas sind im Zeitraum von 2 Monaten in Lampedusa angekommen.

Unter dem Deckmantel eines „humanitären Notfalls“ reagierte die italienische Macht mit der Errichtung von 13 temporären Auffanglagern im Süden der Halbinsel. Die In-Gang-Setzung dieser Massnahmen war auch an die Unmöglichkeit gebunden, alle Neuankömmlinge direkt in den üblichen Ausschaffungszentren (den CIE) einzusperren, welche seit 1998 existieren, da diese in den letzten Jahren infolge der Revolten, die darin aufeinanderfolgten, erhebliche Schäden erlitten hatten. Alleine in den Monaten Februar und März 2011 haben Revolten und Ausbrüche beispielsweise die Lager von Gradisca, Modena, Turin und Bari teilweise beschädigt.

Um die Harragas zu Hunderten auf den Kontinent in diese 13 „Empfangs- und Identifikationszentren“ [CAI ] zu verlegen, hat der Staat damals sowohl Touristenschiffe angefordert wie Militärboote eingesetzt. Das Ziel in diesen Lagern war es, die Haragas zu registrieren und nach ihrer Nationalität und den zahlreichen geltenden Status (Asylsuchender, Flüchtling, Sans-Papier, der im Schengen Raum bereits registriert ist oder nicht,...) zu sortieren. Im ersten dieser Zentren, das am 27. März in Manduria in Apulien für 3'000 Personen öffnete, wurden auf offenem Feld, im Innern einer doppelten Umzäunung von jeweils 2 und 4 Metern hohen Gittern, riesige blaue Zelte aufgestellt, die mit „Innenministerium“ gestempelt waren. Soldaten, Polizisten und Humanitäre vom Typ Rotes Kreuz bewachten und verwalteten das Lager, die einen indem sie den Schlagstock und die anderen indem sie die Überredungskunst und die Erpressung einsetzten.

Bereits am 28. März haben nahezu 500 Harragas gemeutert und sind aus Manduria ausgebrochen: die meisten wollten die Reise fortsetzen und Frankreich oder andere Länder erreichen, wo sie Kontakte hatten. Am 2. April, bei Tagesanbruch, gelang es 200 mit Steinen gegen ihre Kerkermeister bewaffneten Festgehaltenen die Gitterzäune zu durchbrechen und zu flüchten. Am Nachmittag, während einer Solidaritätsdemonstration, entkamen 400 weitere aus dem Lager: viele um davonzuflüchten, andere um sich der Demonstration anzuschliessen und dann mit Rufen von „Freiheit!“ gemeinsam die Strasse zu blockieren. Angesichts dieser unerwarteten Situation konnte die militärische Verstärkung nichts ausrichten: es blieb ihnen nichts anderes übrig, als entweder ungeniert in diese aufgebrachte Menge zu schiessen, oder ihr zu gestatten, das Lager zu verlassen, wann immer es ihr passt. So sind die Tore von Manduria permanent geöffnet worden..... In den Lagern von Potenza, Santa Maria Capua Vetere (in der Nähe von Neapel), Pozzallo und Kinisa (errichtet auf einer Asbestmülldeponie in Sizilien) war die Lage nicht weniger explosiv.

Anfang April haben die Regierungen von Tunesien und Italien schliesslich ein Abkommen unterschrieben: im Austausch gegen eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung von 6 Monaten für alle Harragas, die vor dem 5. April angekommen sind, akzeptierte Tunesien, all jene automatisch wieder auf sein Territorium aufzunehmen, die nach diesem Datum in Italien ankamen. Europa offerierte ihm sogar als Nachschlag zusätzliche Kontrollmittel (Wärmebildkameras, Boote, Geländewagen,...), um seine Grenzen zu verstärken. Von einem Tag auf den anderen sind die tunesischen Harragas, die in Lampedusa oder anderswo an den Küsten angekommen sind, für unverzüglich ausschaffbar erklärt worden. Die Fluggesellschaft Air Mistral, Eigentum der italienischen Post, führte damals zwei Flüge täglich durch, um mit jedem Flug 30 Tunesier (plus 2 Bullen pro Auszuschaffendem) zu deportieren. Ende April, als die temporären Aufenthaltsbewilligungen erst tröpfchenweise ausgestellt wurden, ändert sich die Funktion der provisorischen Empfangszentren, um auf Verordnung zu Ausschaffungszentren zu werden. Nachdem die Harragas einmal nach ihrer Nationalität (es gibt auch Ägypter und Libyer darunter) und ihrem Ankunftsdatum identifiziert sind, ist ihr Schicksal besiegelt: es wird die Zwangsausschaffung sein! Natürlich gibt es glücklicherweise immer Individuen, die revoltieren, wie dies zum Beispiel im Zentrum von Santa Maria Capua Vetere der Fall war. Dort haben die Festgehaltenen sogar erreichen können, dass auch die Tunesier des Lagers, die nach dem 5. April angekommen sind, eine temporäre Aufenthaltsbewilligung erhielten, und dass diejenigen mit anderen Nationalitäten einen Asylantrag einreichen konnten. Einige, logischerweise misstrauisch gegenüber dem vergangenen Abkommen, haben auch ihr Schicksal direkt selbst in die Hand genommen: wenige Tage nach dem Abkommen organisierten 90 Festgehaltene erfolgreich einen kollektiven Ausbruch. In Pozzallo, in Sizilien, revoltierten etwa 40 Eritreer und Somalier und brachen aus. Diejenigen, die wieder aufgegriffen wurden, wurden ins Gefängnis verlegt. Im Verlaufe des Prozesses haben sie von ihren zahlreichen Versuchen, nach Italien zu gelangen, und von ihrer Abschiebung (kraft Migrationsabkommen zwischen Europa und Libyen) in die drei libyschen Lager erzählt, in denen die Folter zu einer Verwaltungsweise erhoben wurde. In Libyen haben die Repräsentanten des Übergangsrates Italien und Frankreich übrigens schnell mehrmals versichert, dass die in dieser Angelegenheit mit Gaddafi unterzeichneten Abkommen geltend bleiben werden, sobald sie an der Macht seien. Dies ist übrigens einer der Gründe, weshalb die NATO die libysche Marine nicht bombardiert hat, die Europa später zu sehr nötig hatte, um seine Aussengrenzen zu überwachen.

Auch in den permanenten Ausschaffungszentren gingen die Revolten und die Widerstände weiter. Am 21. April zum Beispiel gelang es 15 Sans-Papiers aus dem von Modena auszubrechen, nachdem sie die Gitterstäbe eines Fensters durchgesägt hatten. Am 2. Mai in Mailand revoltierten im Lager 7 Tunesier, die in Genua verhaftet worden waren. Sie wurden ins Gefängnis gesteckt und zu 10 Monaten Haft verurteilt. Vor den Zentren von Brindisi, Bari, Turin, Modena, Bologna, Mandurien, Santa Maria Capua Vetere und Sizilien fanden Solidaritätskundgebungen statt.

Ab dem 15. April, während die Aufenthaltsbewilligungen nach und nach ausgestellt werden, versuchen Tausende von tunesischen Harragas, ihre Reise fortzusetzen. Oft aufs Land transportiert und dort mitten im Grünen ausgesetzt, kehren sie im Allgemeinen schliesslich zu Fuss in ein Stadtzentrum zurück und nehmen dort einen Zug nordwärts, in Richtung Vintimille und italienisch-französische Grenze. Zum Preis von Dutzenden Abschiebungen durch die französischen Gendarmen (die am 17. April sogar den ganzen Zugverkehr vorübergehend einstellen), gelingt es vielen, durchzukommen. Nach dieser ganzen Rundreise ist es nicht verwunderlich, dass eine der Parolen, die in den Versammlungen und Demonstrationen in Paris laut werden wird, folgende ist: „Wir sind da! Wir sind da! Wir werden uns nicht bewegen!“

Nach mehr als 2 Monaten Schinderei (und nachdem sie beim Überqueren des Mittelmeeres den Tod riskiert hatten: 2000 Ertrunkene von Januar bis Juni 2011), haben einige dieser Unerwünschten angefangen, gemeinsam mit Kameraden und Gefährten zu kämpfen, wie in Marseille oder in Paris. Auch wenn mehrere Hundert unter ihnen schliesslich die Erpressung der „freiwilligen“ Rückreise (dafür bekamen sie 300 Euro) akzeptierten, die nicht zuletzt von Vereinen wie France Terre d'Asile gefördert wurde, sind dutzende andere geblieben, mit der Absicht, zu kämpfen, trotz den zahlreichen Räumungen von Squats oder den Razzien. Es ist also nicht nur etwas Erlebtes und eine Entschlossenheit, die Auflehnung gegen das Regime von Ben Ali und das Aufeinanderfolgen von Revolten, um bis nach Paris zu gelangen, sondern auch ein Verlangen und ein Projekt, sowohl jenes, das zu erleben, was verboten und unmöglich war, wie jenes, zu bleiben, um der Armut zu entkommen, das die Begegnung begünstigt hat, weit jenseits der sozialen Bullen der Linken, die diese Art von Kämpfen für gewöhnlich mitverwalten. Eine Begegnung, die auch durch die Erfahrung ermöglicht wurde, die von vielen unter uns im Laufe der Jahre angesammelt wurde, und die es vor allem ermöglichte, den Rhythmus der Geschehnisse ein klein wenig zu beschleunigen.

....und von Paname nach Paname

Im Grunde führen mehrere Gruppen von Kameraden seit zahlreichen Jahren einen Kampf mit Sans-Papiers Kollektiven (von Afrikanern, Romas, oder schlicht verbunden mit besetzten Orten) und gegen die verschiedenen Zahnräder der Ausschaffungsmaschinerie. Der Anfang geht bis auf das Jahr 1996 zurück, als sich vermehrt autonome Sans-Papiers Kollektive bildeten, um eine allgemeine Regularisierung zu erreichen. Der Kontext bestand damals aus grossen Demonstrationen, Kirchenbesetzungen mit oder ohne Hungerstreik, und Verhandlungen mit der Linken über die Kriterien für eine Regularisierung. Zu dieser Zeit stürzten sich die Kameraden auch in Blockierungen von Zügen und Schiffen (diejenigen, die Algerier vom Bahnhof von Paris bis zum Schiff in Marseille deportierten), während Hotels von IBIS (der Staat reservierte dort Zimmer, um die Sans-Papiers nahe beim Flughafen provisorisch einzuschliessen) sowie Filialen von Air France besetzt und angegriffen wurden, ohne die Kampagne 2004/2005 gegen den Bau von neuen Ausschaffungsgefängnissen zu vergessen (zahlreiche Sabotagen gegen die Firma Bouygues, Hauptbauunternehmen der Gefängnisse und Zentren).

Ab 2006 taucht erneut der Wille auf, die Ausschaffungsmaschinerie zu blockieren, aber dieses Mal nicht mehr ausgehend von spezifischen Knotenpunkten oder von Kampagnen, sondern indem man sich dem gesamten Dispositiv annimmt. Es ist allerdings auch so, dass die Sans-Papiers Kollektive fast alle verschwunden oder nunmehr zu Nestern von Politikern geworden sind, die mit den linken oder linksextremen Parteien verbündet sind. Ausserdem werden die seltenen Regularisierungen, die in diesen letzten Jahren dem französischen Staat kollektiv entrissen wurden, wie überall in Europa, praktisch nur noch aufgrund von Arbeitsverträgen ausgestellt, und nicht mehr wie zuvor im Namen des „Familienlebens“ oder der (in Klandestinität) erlangten „langen Anwesenheit“. Die Aufenthaltsbewilligungen von 10 Jahren sind ebenso de facto verschwunden, zugunsten von provisorischen Papieren für einige Monate oder maximum ein Jahr.

In diesem Kontext wird sich der Kampf in Paris sowohl flussaufwärts (das heisst, gegen die Razzien in den Quartieren und gegen die Transporte) wie flussabwärts (das heisst, direkt gegen die Aussschaffungszentren) ausrichten. Einerseits, um mit den Sans-Papiers, dort, wo sie sich befinden, durch die Revolte Verbindungen zu knüpfen, andererseits, um zu versuchen, Sandkörner in das Räderwerk der Ausschaffungsmaschinerie zu streuen. Die Vermehrung von Revolten in den Zentren ab 2008, die im Juni in der Brandstiftung von jenem von Vincennes gipfeln wird, wird somit den Feinden aller Grenzen wieder Leben einhauchen. Rund um den Prozess vom März 2010 gegen die 10 für diese Brandstiftung Angeklagten mangelte es ausserdem nicht an Solidaritätsgesten auf allen Gebieten (Sabotagen, Demonstrationen, Sprayereien, Baladen und Brandstiftungen), die zu zwei Wellen von Hausdurchsuchungen durch die anti-“terroristische“ Einheit der Polizei und zu Untersuchungen gegen Kameraden aus Paris führten.

Ab April 2011 verstanden einige unter ihnen, dass im Bauch der Metropole etwas am geschehen ist. Einerseits nahm man wahr, dass die Polizei auf den grossen Boulevards und Plätzen im Norden und im Westen der Stadt, aber auch beim Gare de Lyon (dem Pariser Bahnhof für die Züge, die aus dem Süden des Landes kommen) gigantische Razzien aufzog, wie man sie seit langem nicht mehr gesehen hatte. Durch die Belästigung der Bullen, um ihrer schmutzigen Arbeit zu schaden, aber auch verbunden mit der Situation in Italien, dauerte es nicht lange, um festzustellen, dass tausende Tunesier in der Hauptstadt am ankommen sind. Es ist ein winziges Ereignis, das die Begegnung auslösen wird: als die Polizei eines Abends so weit geht im Park von Porte de la Vilette, während der Essensverteilung durch humanitäre Vereine an die tunesischen Harragas, eine Razzia durchzuführen, verteidigen sich die Harragas mit allem was ihnen in die Hände kommt, und werfen Steine und Flaschen gegen die Bullen.

Zwischen der Ringautobahn und einer Eisenbahnlinie gelegen, beherbergt dieser Park gegen 400 Harragas. Rasch gehen auch wir dort mehrere Tage nacheinander vorbei und helfen sogar bei einer ihrer ersten autonomen Demonstrationen in Paris. Eine Gruppe von etwa 30 unter ihnen, notdürftig in einem halb-institutionellen Squat untergebracht, beschliesst damals, sich an der 1. Mai-Demonstration zu beteiligen, wobei die Spitze der Demo der CGT [Confédération générale du travail – Allgemeiner Gewerkschaftsbund] entrissen wurde. Das formelle Kollektiv von Lampedusa nach Paris war geboren, auch wenn es glücklicherweise eine leere Hülse blieb. Die Idee war es nun, einen Ort zu finden, um sich einzurichten und sich zu organisieren, das heisst, die polizeiliche Umzingelung des Gartens von La Vilette zu durchbrechen, die jeden Tag dutzende Harragas in die Polizeiposten und Ausschaffungszentren führt. Da der sozialistische Bürgermeister, der selber von tunesischer Herkunft ist, heuchlerisch gegen die Razzien im Garten protestierte, und da die Stadtverwaltung einige leere Liegenschaften besitzt, wurde noch am selben Abend des ersten Mai die Avenue Bolivar 51 (im 19. Arrondissement) besetzt.

Bevor wir uns in eine kurze Zusammenfassung des Ablauf der Ereignisse stürzen und dann die Frage der qualitativen Vertiefung angehen, können wir gleich von Anfang an präzisieren, dass die oben erwähnte Erfahrung von Kameraden und Gefährten, auch wenn sie natürlich keine fix-fertigen Antworten liefert, zumindest geholfen hat, zu versuchen, die Spannung zu nähren, und gewisse Kampfmethoden wie die Selbstorganisation oder die Konflikthaltung gegenüber den Medien, den Vetretern, den Gewerkschaften und den karitativen Bullen zu stützen.

Kurze Schilderung

Wir werden uns hier mit einer kurzen Schilderung der Ereignisse zufriedengeben, einerseits, weil diese schon anderswo in detaillierterer Ausführung[4] existiert, und andererseits, weil, auch wenn Chronologien oder Berichte zwar einen Beitrag in Sachen unmittelbarer Anregung oder Agitation liefern können, es uns rückblickend scheint, dass es nicht so sehr die Gegeninformation oder die technischen Gegebenheiten sind, woran es generell mangelt, sondern vielmehr ihre In-Perspektive-Setzung. Welches Interesse besteht darin, in einer Welt, die von Informationen aller Art übersättigt ist, die im selben Rythmus wie die anderen Waren in ständigem Fluss konsumiert werden, einige nackte Daten aufzulisten, noch dazu, wenn sie vom (sozialen und zeitlichen) Raum losgelöst sind, der sie hervorgebracht hat? Unabhängig vom wachsenden Verlust einer gemeinsamen Sprache unter den Revoltierenden, würde dies zusätzlich voraussetzen, dass einzelne Taten direkt zu jedem sprechen können, in dem Sinne, dass sie dazu beitragen, sich eine Erfahrung anzueignen. Die folgenden Informationen können also nur als ein Teil gesehen werden, und mit einem Bezug auf die Analyse, die wir daraus zu ziehen versuchen. Sie haben nicht den Anspruch, alles, was geschehen ist und erlebt wurde, zusammenzufassen oder zu erschöpfen. Um auf diesen Kampf zurückzukommen, könnte man ihn als eine doppelte Bewegung bezeichnen, eine von Besetzungen und eine von Demonstrationen, während er selbst von zwei Themen durchdrungen war, von der Unterkunft („ein Ort, um sich zu organisieren“) und der Aufenthaltsbewilligung („Papiere für alle oder überhaupt keine Papiere mehr“). Ein erster Faden verläuft also von Ort zu Ort, von Besetzungen zu Räumungen, unterbrochen von Notpausen in Squats von Kameraden, die bereits geöffnet sind, und ein zweiter Faden besteht aus Initiativen auf der Strasse, die von wilden Demonstrationen bis zu Baladen, von mehr oder weniger demonstrativen Versammlungen bis zu Störungen von Ausstellungen der „Tunisie nouvelle“[5] reichten.

Die Avenue Bolivar 51, die am Abend des 1. Mai besetzt wurde, wird drei Tage später, trotz den Verhandlungsversuchen von einigen, von hunderten Bullen geräumt, was zu 128 Personen in Polizeigewahrsam und etwa einem Dutzend Ausschaffungen führte (nach Italien, von wo aus die Tunesier zurückkommen konnten). Am 7. Mai wurde im gleichen Viertel das Gymnasium Fontaine-au-Roi in Beschlag genommen, bevor es der Grossteil der Kameraden 2 Wochen später wieder verlässt und es die Stadtverwaltung Anfang Juni wieder in die Hände nimmt. Schliesslich wurde am 23. Juni an der Rue Bichat ein Wohnheim besetzt, ein Gebäude, das 4 Tage später wieder geräumt wurde, was zu 17 Personen in Polizeigewahrsam führte (die Harragas, die in das Ausschaffungszentrum von Vincennes geschickt wurden, werden einige Tage später wieder herausgelassen, das Verfahren gegen die Gefährten wird während eines Prozesses im Juli eingestellt). Man wird auch feststellen, dass es der Rue Botzaris, einem Gebäude, das dem Tunesischen Staat gehört, das diesmal mit der Linken und unter der Schirmherrschaft der kleinen Chefs der Vereine besetzt wurde, ebensowenig gelang, sich zu halten (15 Tage). Schliesslich ist es während der selben Zeit, gegen Mitte Juni, als der Staat im Park Buttes-Chaumont nächtliche Hetzjagd machte und jenen von Porte de la Villette, wo einige Harragas weiterhin schliefen, mit Gewalt leerte und somit den letzten sichtbaren Niederlassungspunkt in der Hauptstadt eliminierte. Von da an fanden sich diejenigen, die keine Rückkehrhilfe akzeptiert oder ihr Glück nicht anderswo versucht haben (in Italien oder in anderen Städten), definitiv zerstreut wieder, von manchmal schrecklichen Versuchen, sich durchzuschlagen (sechs Migranten aus Tunesien, Ägypten und Libyen starben bei einem Brandunfall in einem Squat in Pantin am 28. September 2011), bis zu mehr oder weniger geglückten temporären Wiederaneignungen (Besetzungen in den Banlieus, die autonom oder gemeinsam mit Kameraden unternommen wurden).

Neben diesem Ortswechsel unter dem permanenten Druck eines Staates, der fest entschlossen ist, jeden Versuch von wildem Zusammenschluss und Selbstorganisation zu verhindern, können wir sagen, dass die Versammlungen genauso konfliktreich (mit der Jagd auf die Feuerwehrleute und dann auf die BAC [Brigade anti-criminalité] in zivil vor der Avenue Bolivar 51), wie gegen-informativ (Transparente, Flugblätter und offenes Mikrofon bei der Metrostation Couronnes im Juni) sein konnten, ebenso, wie die Demonstrationen genauso Baladen sein konnten, um sich die Strasse zu nehmen, wie in kurzen Konfrontationen mit der Polizei enden konnten (wie am 9. Mai neben dem Gymnasium, in Solidarität mit Kaufhausdieben, die in flagranti erwischt wurden). Schliesslich haben die aufeinanderfolgenden Störungsaktionen bei der Village du Jasmin beim Place de l'Hôtel de ville (22. Mai), beim Geschäftssitz der AFTAM[6] (27. Mai), beim tunesischen Immobiliensalon an der Porte de Champerret (11. Juni), oder bei der Einweihung des Bouazizi-Platzes durch den Bürgermeister (30. Juni) ihrerseits versucht, die Initiative zu bewahren, Ideen beizutragen, und aus einer spezifischen Situation ein soziales Problem zu machen.

Was war dieser Kampf?

Einer der Aspekte, der diesen Kampf am meisten gekennzeichnet hat, ist derjenige, dass es sowohl an Zeit wie an Raum fehlte, um damit anfangen zu können, mit irgendetwas zu experimentieren. Die verschiedenen Bilanzen, die links und rechts (mündlich) gezogen wurden, meistens, um aus diesem Teilkampf ein Gegenbeispiel zu machen, werden daher oft karikaturistisch, denn sie beziehen sich mehr auf eine Abwesenheit, auf das, was nicht geschah, als auf einen bestimmten Inhalt, der sich kaum abzuzeichnen begann. Diese Bilanzen reflektieren in Wirklichkeit oft die strikt materialistische und utilitaristische Konzeption ihrer Autoren („die Effizienz des Kampfes“ in der Befriedigung der Bedürfnisse oder „indem viele Leute erreicht werden“, die Tatsache, dass die Besetzungen nicht angedauert haben), um negative Schlussfolgerungen zu ziehen, während man die qualitative Dimension des Kampfes, das heisst, sein Wie und sein Warum vergisst. Für uns fasste er sich nicht in Bezug auf Besetzungen zusammen, um mit der Stadtverwaltung und dem Staat einen Ort und Papiere auszuhandeln, sondern es handelte sich mehr um eine Gelegenheit, um in Richtung von Momenten des Bruches zu gehen und neuen potenziellen Komplizen zu begegnen.

Deshalb ist eine der Schwierigkeiten, die von den oben aufgelisteten Fakten gestellt wird, dass diese für sich alleine über diesen Aspekt in einer Gesamtbewegung nicht Rechenschaft abgeben können. Die Intensität und der Inhalt dieser Erfahrung sind je nachdem, für den einen oder anderen, sehr verschieden gewesen, nicht nur abhängig von seiner Beteiligung oder Subjektivität, sondern auch abhängig von den Ideen und Momenten, über die man diskutiert. Wenn nicht alles auf ein und dieselbe Ebene gestellt werden kann, unter dem blossen Vorwand, dass es sich um ein und denselben Kampf handelt, dann müssen wir beispielsweise einen Moment wie die Besetzung des Gebäudes an der Avenue Bolivar von jenem, der beim Gymnasiums von Fontaine-du-Roi folgte, unterscheiden. Im einen Fall handelte es sich um eine gemeinsame Besetzung mit bis zu 200 Harragas, einen Anfang von Selbstorganisation, bei der der Antagonismus nach aussen gerichtet war, wohingegen es sich im zweiten Fall um einen schlichten Schlafplatz handelte, wo eine Menge von (vereinsmässigen, religiösen, politischen) Aasgeiern hinkamen, um ihre Betrügereien auszuüben, indem sie sich auf ein inneres Klima eines Kriegs eines jeden gegen jeden stützten.[7]

Ebenso wird man die Möglichkeiten nicht auf die gleiche Art analysieren, je nachdem, ob man „den“ Kampf als ein homogenes und quantitatives Ganzes betrachtet, das an spezifische Bedürfnisse (wohnen) und an eine bestimmte Bedingung (über keine gültigen Papiere verfügen) gebunden ist, oder ob man das untersucht, was durch ein potenziell subversives Experimentieren zur Gemeinsamkeit eines Teils seiner Beteiligten werden konnte: die Zurückweisung der konstituierten Autoritäten, die Entschlossenheit, das zu entreissen, womit man sein Schicksal direkt verbessern kann, mit dem Eingehen des sich daraus ableitenden Risikos, der Wille, hier und jetzt einen gewissen Geschmack von Freiheit zu erleben. So gesehen verkörperte sich dieser Kampf weniger in irgendeiner Zentralität zwischen vier Mauern („einem“ Ort, um sich zu organisieren), als vielmehr in vielfältigen Begegnungen, die mit dem kurzen Zusammenwohnen bis zum Gymnasium verbunden waren, und mit der Art und Weise, sich in einer Demo zu entdecken. Anstatt in den schallgedämpften Büros der Bürokraten der Stadtverwaltung konnte der Kampf in einem offensiven und mobilen Verhältnis in der Metropole beginnen (durch die Zirkulation der Harragas und durch den Willen, Initiativen und Störungen zu vermehren), weniger ausgehend von einer unüberwindbaren Trennung zwischen „mit“ oder „ohne“ Papiere, „mit“ oder „ohne“ Unterkunft, als ausgehend von der Lust, zu kämpfen und mit der Normalität zu brechen. Kurz, die Linien weben und fügen sich in diesem Fall mehr um Verlangen, Affinitäten, Inhalte und Methoden zusammen, als ausgehend von starren anfänglichen materiellen Unterschieden.

Es geht natürlich nicht darum, hier Unterschiede abzustreiten, die existierten, sondern darum, zu bekräftigen, dass das, was die Diskrepanzen organisieren konnte, ebensosehr an die Perspektiven und an die Art und Weise, sie zu beleben, gebunden war, und dass es eben diese Aspekte sind, deren Vertiefung uns in solchen Kämpfen am wichtigsten erscheint. Um ein Beispiel zu machen: die Kameraden, welche die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung befürworteten, hätten fast schon einen gemeinsamen Pol mit den Harragas bilden können, die bereit waren, dem aufgekreuzten Imam (oder den tunesischen Vereinen) zu folgen, denn sie alle waren schlussendlich bereit, den Kampf mittels Autoritäten zu vermitteln (jeder mit den seinen) und durch die Befriedigung von Forderungen Effizienz zu beweisen. Auf der anderen Seite hätten Gefährten, welche für die Autonomie der Praxis waren, um sich selbst und direkt das zu nehmen, was man benötigte, fast schon einen gemeinsamen Pol mit den Harragas lancieren können, die sich gegen jegliche Führung sträubten und voller kommunikativer Wut waren (was sich, deutlicher gesagt, in der Öffnung von Besetzungen ausdrücken konnte, im Teilen von Illegalismen und Geldbeschaffungsplänen, in der Tatsache, aktiv zu werden, um Racheakte und Angriffe gegen die Stadtverwaltung und die Ausschaffungsmaschinerie auszuüben, etc.). Wir sagen in beiden Fällen „fast“, weil der Kampf nicht die Zeit hatte, sich zu entwickeln, und weil diese Pole nur Spannungen sind, die sich auch anders und in diverse andere Richtungen hätten aufteilen können.

Ein anderes Beispiel, das deutlich aufzeigt, inwiefern es genauso sehr, wenn nicht sogar noch mehr, die Ideen und ihre praktische Umsetzung sind, die den Kampf organisieren, wie angeblich objektive Unterschiede der Bedingungen, ist die Frage des Zusammenschlusses unter Individuen. Nach und nach hatten mehrere unter uns das Gefühl, dass unter gewissen Kameraden/Gefährten und einigen Harragas ein Anfang einer gemeinsamen Perspektive entstehen konnte. Einerseits hatten nicht alle Lust, mit etwa Hundert Personen (für viele unbekannt und in einem angespannten Klima) im selben Raum zusammenzuwohnen, andererseits entsprach dies auch der libertären Idee von dezentralisierteren Kämpfen mit mehr koordinierten als einheitlichen Formen. In der gleichen Weise konnte der Unterschied zwischen weiterhin mit den Behörden über Orte zu verhandeln/sie sich öffnen zu lassen oder sich selber einen zu nehmen, sowie das Verlangen, für viel mehr als für Papiere und ein Dach über dem Kopf und auf horizontale Weise zu kämpfen, ausreichende Grundlagen bilden, um, wie beim Wohnheim der Rue Bichat[8], einen affinitätsbezogeneren Raum zu öffnen, ohne deswegen geschlossen zu sein. Diese entstehenden Affinitäten waren natürlich auch an Diskussionen über Grenzen, Chefs oder das Gesetz, den Unterschied zwischen „Unterstützern“ und „Solidarischen“, die Bedeutung des Wortes „anarchistisch“ (verbreitet durch die Stadtverwaltung in ihrem Kommuniqué, um die Räumung der Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen[9]) oder auch über das Ziel selbst eines solchen Kampfes gebunden. Wenn ein Teil der Harragas aus dieser 4-tägigen Besetzung heute noch immer präsent ist, wer weiss, was diese Initiative in Sachen neuer Komplizenschaften auf antiautoritären Grundlagen hätte ergeben können?

Zur Erinnerung, dieser Zusammenschluss von etwa 30 Individuen auf der Grundlage von Affinitäten mag von gewissen Kameraden als eine Art „Verrat“ am Kampf erlebt worden sein, weil er eine andere Möglichkeit, sich zu organisieren, in sich trug: nicht mehr die Einheit, so verfault wie die Situation im berüchtigten Gymnasium, sondern die Diversität, nicht mehr die kollektive Zentralisierung („sie“ und „wir“ in zwei Gruppen, gerechtfertigt durch Unterschiede der Bedingungen), sondern die Koordination von Affinitätsgruppen (Individuen, die sich, mit oder ohne Papiere, aufgrund von Ideen und Praktiken zusammenschliessen). Dieser Versuch, der aufgrund der schnellen polizeilichen Räumung unfruchtbar war, ist manchmal auch als der „Wille, eine Avantgarde unter den Harragas zu kreieren“, verschrien worden, womit man indirekt behauptete, dass es offensichtlich unmöglich ist, dass Antiautoritäre und Harragas eine gemeinsame Projektualität entwickeln können. Der Gipfel der Ohnmacht in Bezug auf Subjekte, die für die Autoritären zu undiszipliniert sind, oder schlicht die Projektion der eigenen Denkkategorien auf die Gegner?

Allerdings ist es vielleicht kein Zufall, wenn wir mit gewissen anwesenden Harragas mehr potenzielle Affinitäten als mit vielen Kameraden gefunden haben, und zuallererst ein von Feindseligkeit gefärbtes Misstrauen gegenüber den Medien, den Parteien und den Gewerkschaften[10], den Geschmack für die Konfrontation mit den Bullen und eine Entschlossenheit, die einen Kontrast zum militanten Aktivismus bildete. Und, auch wenn die Tatsache, sich nach koordinierten Affinitäten zu organisieren, vielleicht nie verhindern wird, dass militante Feuerlöscher rumschreien, wenn einige Harragas es bevorzugen, zusammenzubleiben und sich mit den Zivibullen zu konfrontieren, anstatt sich aufzuteilen und in die Busse der Stadtverwaltung zu steigen, die sie in ein gefängnisgleiches Wohnheim bringen, so wird dies auf jeden Fall zumindest erlauben, das Gewicht jener, die mehr Politiker und mehr Demokraten sind, zu minimieren. Man hat das übrigens am Anfang bei der Bolivar Besetzung gesehen, als sich das Funktionieren als „Kampfkollektiv“ mit seinen grossen Versammlungen durch die blosse Präsenz einiger professioneller Lügner, die mit tunesischen Vereinen und Parteien in Verbindung standen, leicht gelähmt und blockiert wiedergefunden hat. Die Öffnung von Bichat war hingegen ein Versuch, damit zu beginnen, Orte zum Leben, zur Selbstorganisation und zur Vertiefung von Affinität zu vermehren, ein jeder auf geschärfteren Grundlagen des Kampfes, ein Versuch, der dafür gedacht war, sich mit anderen zu koordinieren. Wenn wir auch nie wissen werden, wie diese Projektualität, die den Kampf anders ins Auge fasste, sich hätte weiterentwickeln können, so bleibt nichtsdestotrotz, dass wir dadurch, dass wir wieder mit dieser Idee von Affinität und Koordination zu experimentieren beginnen – nicht nur unter Gefährten, sondern, wie es sich bereits in der Vergangenheit ereignet hat, auch mit anderen Revoltierenden –, vielleicht die Tyrannei der Zahl werden verlassen und andere Möglichkeiten, zur sozialen Konfliktualität beizutragen, entdecken können.

Zum Schluss ein letzter Punkt, den man oft ein bisschen scheinheilig vergisst, und der ebenfalls über die Grenzen der berühmten materiellen Bedingungen hinausgeht: das Verhältnis zum Gesetz. Einerseits zeugt es von stumpfsinnigstem Paternalismus oder von Verblendung, zu denken, dass Sans-Papiers nicht fähig seien, alleine mit einer Polizeikontrolle umzugehen oder zahlreiche gesetzliche Grenzen zu überwinden, wenn man genau weiss, wie zahlreiche von ihnen sich bereits im Alltag zu helfen wissen, um zu überleben. Andererseits entscheiden nicht wenige Kameraden und solidarische Individuen, aus persönlichen Gründen oder aus taktischer Entscheidung, über diesen Aspekt des Kampfes eher zu schweigen. Die Frage des Gesetzes und seiner Konsequenzen ist nicht vernachlässigbar, denn der Wille zu kämpfen der einen kann leicht unvereinbar werden mit den Anwandlungen zu verhandeln der anderen, genauso wie der Drang, seine Wut gegenüber der Autorität und ihren Vermittlern auszudrücken, sich schnell gemässigteren Entscheidungen (die natürlich im Namen der Einheit verteidigt werden!) entgegenstellen kann. Um ein Beispiel zu machen, so haben sich einige bekannte Harragas (am 9. Mai) in letzter Minuten dem Start einer wilden Demonstration im Quartier, die vom Gymnasium aus loszog, entgegengestellt, indem sie die andern dazu aufriefen, sich ihr nicht anzuschliessen, mit dem Vorwand, dass diese die Stadtverwaltung, welche die Brücken der Verhandlung bereits abgebrochen hatte, noch kälter machen könnte. Indem trotzdem daran festgehalten wurde, weil sie für uns Sinn machte, wurde sie nicht nur von den meisten anwesenden Harragas geteilt, sondern hat sie auch ermöglicht, die ganze im Gymnasium angestaute Wut und Frustration gegen eine Polizeipatrouille ausbrechen zu lassen, die gerade dabei war, Supermarktdiebe zu verhaften. Sie konnte auf der Strasse vor den Augen aller den Unterschied aufzeigen zwischen unglücklichen Armen, die in Erwartung einer institutionellen Lösung vor sich hin vegetieren, und Revoltierenden, die gegen das Bestehende etwas anderes als eine Forderung nach Papieren oder nach Unterkunft zu bekräftigen haben, insbesondere einen gewissen Sinn für Solidarität.

Für uns ist die Selbstorganisation nicht nur eine Methode, die es erlaubt, in Richtung von mehr Autonomie zu gehen, sie ist auch die konkrete Möglichkeit, in jedem Moment in Richtung von mehr Konfliktualität zu gehen, während man ohne die üblichen Mitverwalter des Elends auskommt. Sich nach seinen Perspektiven und Verlangen zu organisieren und dabei das Eingehen von Risiken zu akzeptieren, die diese mit sich bringen, ist also auch eine Art und Weise, sich nicht auf das Joch des Gesetzes zu beschränken. Um nur ein Beispiel zu machen: Auf diese Weise konnten sich Individuen, die 45 Tage Ausschaffungshaft und dann eine Hin- und Rückfahrt Frankreich-Italien riskierten, und andere, die mehrere Monate Gefängnis riskierten (weil sie unter richterlicher Kontrolle standen oder grosse Prozesse vor sich hatten), über gemeinsame Besuche in leerstehenden Häusern oder die Konfrontation mit den Bullen (bei Demonstrationen oder während Zwangsräumungen) einig werden. Auch hier war es glücklicherweise so, dass die Individuen nicht nur von ihrer materiellen oder rechtlichen Situation bestimmt sind, und dass die Solidarität, die Neugierde und die Lust nach der Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse die anfänglichen Verhältnisse übersteigen und neu definieren können.

Ein Kampf, um was zu tun?

Wenn wir am Anfang dieses Textes davon sprachen, nach Momenten des Bruchs zu streben, dann bedeutet das natürlich, dass man im Alltag versucht, autonome Projektualitäten innerhalb der Konfliktualität auszuarbeiten, aber auch, dass gewisse Teilkämpfe zusätzliche Gelegenheiten ergeben können, um dies zu tun, indem sie sich vielleicht in Momente der offenen Revolte gegen einen Teil des Bestehenden verwandeln. Von einem bestimmten Punkt aus zu starten, um zu versuchen, daraus ein soziales Problem zu machen, läuft zunächst darauf hinaus, die Situation zu analysieren, dann, wenn wir der Ansicht sind, dass der Raum ausreichend ist, zu intervenieren, um unsere Ideen darin zu beleben und Methoden vorzuschlagen (Selbstorganisation, Angriff, permanente Konfliktualität mit den Autoritäten), die, indem sie sich innerhalb der Widersprüche des berühmten Proletariats entwickeln, eben in diesen Momenten des Bruchs münden könnten.

Einen gemeinsamen Parcours mit Revoltierenden zu vertiefen, die sich untereinander kaum kennen, die im ersten Moment über wenig Ressourcen (Geld, gültige Papiere, Unterkunft, Stadtkenntnisse, Sprache), das heisst, über wenig Autonomie verfügen, könnte schwieriger als gewöhnlich erscheinen, aber das würde heissen, zu vergessen, dass viele reich an etwas viel wertvollerem waren: einer Erfahrung im Zurechtfinden in der informellen Ökonomie unter der Diktatur von Ben Ali, und vor allem, für einige, die Erfahrung einer kürzlichen Volksauflehnung, gefolgt von Revolten in den italienischen Lagern, um bis nach Paname zu gelangen. Etwas unverblümter gesagt, schien es uns nicht absurd, uns in diesen Kampf, der auf autonome Weise (ausserhalb der üblichen Vermittlungen) begann, hineinzubegeben, um darin Vorschläge zu machen, trotz der Unterschiede der Bedingungen oder des Erlebten (die nationalistischen oder religiösen Aspekte, die manchmal bei Gelegenheit aufkamen). So gesehen konnten sich zwei Auffassungen des Kampfes kreuzen: die Lösung von materiellen Problemen wie Unterkunft oder Papiere durch die Kreierung eines Kräfteverhältnisses, das imstande ist, den Staat dazu zu zwingen, der Bewegung teilweise Befriedigungen zuzugestehen (x Regularisierungen, y Unterbringungen) oder die Entwicklung einer sozialen Konfliktualität, zwar ausgehend von bestimmten Fragen, aber sich an alle richtend. Die Perspektive besteht also nicht mehr darin, mit dem Feind etwas auszuhandeln, während man besonders darauf achtet, nicht durch vorschnelle taktische Entscheidungen eine Position als glaubwürdige Verhandlungspartner zu verlieren, sondern darin, innerhalb des Antagonismus einen Dialog zu eröffnen, indem wir antiautoritäre Methoden und Perspektiven, in Richtung einer gemeinsamen Revolte auf ebendiesen Grundlagen, entwickeln. Noch einmal, die Idee besteht nicht darin, mit quantitativen Zielen zu beginnen (mit allen Harragas zu kämpfen, ein Maximum an solidarischen Individuen miteinzubeziehen), sondern einen Teilkampf aufzubauen, dessen eigene Qualitäten es ihm ermöglichen, sich mit anderen bereits anwesenden Kämpfen, Individuen oder Antagonismen, die danach streben, das Bestehende in Frage zu stellen, anstatt es umzugestalten, in Dialektik zu stellen.

Die Frage der Methode ist in diesem Fall nicht nur ein blosses Synonym für „Form“, sondern umfasst teilweise bereits den Inhalt, das heisst, die Möglichkeit, eine Veränderung der sozialen Verhältnisse in Richtung einer anderen Welt auszuprobieren. Um ein Beispiel zu machen, könnten wir noch einmal auf die drei qualitativen Kriterien zurückkommen, die wir weiter oben angesprochen haben. Die Selbstorganisation ist sicherlich das, was es einem jeden erlaubt, das auszudrücken, was er ist und wonach er strebt, ohne Gleichmachung durch den Konsens, das Kollektiv oder die Mehrheit, aber sie ist auch die Möglichkeit, auf oft schmerzhafte Weise mit Beziehungen ohne Führer und Geführte, ohne Verhandlungen und Autoritäten zu experimentieren. Die permanente Konfliktualität ist sicherlich jene Spannung in Richtung einer direkten Wiederaneignung aller Aspekte des Lebens, aber sie ist auch das Experimentieren mit Kräfteverhältnissen und der Vertiefung der Kritik gegen die verschiedenen Facetten der Macht (einschliesslich der demokratischen und linken). Was den Angriff betrifft, so handelt es sich nicht nur um eine freudige Befreiung der bösen Leidenschaften gegen alle Hindernisse auf den Wegen der Emanzipation, sondern so ist er auch die Erforschung der verstreuten Zahnräder der Herrschaft, indem man an all ihren Fäden zieht, und eine praktische Übung, die ab jetzt darauf abzielt, Praktiken von direkter Aktion (Enteignung, Sabotage) gegen den Staat und das Kapital breiter zu teilen und damit zu experimentieren. Diese Aspekte bleiben sicherlich ein Entwurf, und nur mit dem antiautoritären oder anarchistischen Traum, der sie begleitet, erhalten sie ihren wirklichen Sinn. Aber dies ändert nichts daran, dass der Versuch einer Bilanz im Bereich eines Teilkampfes unserer Ansicht nach vor allem auf diesen Dimensionen beruht, das heisst, vielmehr auf dem, was bleiben kann, wenn er einmal erlöscht ist, als auf der parasyndikalistischen Arbeit à la Sisyphus, alle materiellen Probleme eines nach dem anderen zu lösen, koste es was es wolle.

Noch einmal, wir können hier nur über das diskutieren, was nicht geschehen ist, und es kann jeder leicht das Seil auf seine Seite ziehen. In einer zweideutigen Parole wie „Papiere für alle oder gar keine Papiere mehr“ werden die einen die Bekräftigung einer Unterdrückung des Bestehenden (die Papiere, die uns dem Staat unterwerfen), anstelle einer Spannung in Richtung der Negierung dieser letzteren sehen, und andere eine Forderung, um alle Sans-Papiers in ein und demselben Kampf anzusammeln, anstelle eines Schrittes in Richtung einer Überwindung dieser Frage. Es ist übrigens nicht ohne Grund, dass aus dieser Parole später manchmal „Freiheit für alle, mit oder ohne Papiere“ wurde. In den schnellen und aufeinanderfolgenden Räumungen der verschiedenen besetzten Orte werden die einen ein Scheitern der Methode (nicht genügend Kompromisse mit der Stadtverwaltung, zuviel Zurückweisung der linken Kräfte), die anderen die Sackgasse einer radikalen Bewegung sehen, die versucht, Ziege und Kohl zu bewahren[11], indem sie einerseits besetzt, um andererseits besser verhandeln zu können, während man sich zu sehr auf die kollektiven und materiellen Aspekte konzentriert, um nicht die offensiven und/oder zerstörerischen Dimensionen im öffentlichen Raum zu nähren. Schliesslich werden in der (vielleicht schwachen, aber schwerwiegenden) Präsenz von Mitgliedern von Vereinen, Parteien oder religiösen Cliquen die einen eine unvermeidliche Konsequenz der Ausweitung auf alle (und somit auf jeden x-beliebigen) sehen, während sie die anderen als ein Hinderniss für die Selbstorganisation und als Reproduktion von Versammlungen nach dem Abbild von Miniparlamenten analysieren werden, in denen alles gleichbedeutend ist, weniger basierend auf radikalen Ideen und Perspektiven als auf der illusorischen Vereinigung von politischen Kräften, die daran interessiert sind, ein Problem zu lösen.

Ja, einige Kameraden nahmen an den paar Sitzungen Teil, welche die Stadtverwaltung bereitwillig zugestand, um über die Gewährung eines Ortes zu verhandeln, aber andere – unnötig, das zu bestreiten, auch wenn der Stadtradt von Paris dies als Vorwand benutzte, um die Räumung der Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen – dachten, dass es die Besetzung von Orten und ihre Verteidigung innerhalb einer Konfliktualität sind (von den Autoritären auf die „Konfrontation mit den Ordnungskräften“ reduziert), wodurch man diesen Kampf beleben konnte. Ja, einige dachten, dass sich der Begriff eines Kräfteverhältnisses auf einer zählbaren Grundlage bildet, während sie sogar verteidigten, dass es „kontraproduktiv“ war, Medien, Parteien und Vereine vor der Tür des Bolivar-Squats (das heisst, auch ausserhalb der Versammlung) zu lassen, aber andere dachten nicht nur, dass dies eine minimale Bedingung ist, um auf autonome Weise zu diskutieren, sondern, dass sich ein Kräfteverhältnis auch gegen sie richtet, indem sie sich direkt an all jene wendeten, die sie bereits als Rekuperateure und Feinde betrachten, und nicht an eine vage öffentliche Meinung.

Zur Schlussfolgerung

Wenn der Faden, der uns durch diesen ganzen Text geleitet hat, jener der Intervention in die Kämpfe ist, können wir nun versuchen, daraus einige partielle Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne auf die umrissenen Punkte über den Unterschied zwischen Teilkämpfen und Revolten, Verhandlung und permanenter Konfliktualität, Selbstorganisation, um Bedürfnisse zu Befriedigen, oder, um in Richtung von Momenten des Bruchs zu gehen, formeller kollektiver Zentralisation und Koordination von Affinitätsgruppen zurückzukommen, würden wir gerne ein letztes Element anfügen.

Das Interesse an diesen Zeilen liegt für uns nicht darin, eine Bilanz zirkulieren zu lassen, die jener, die ein Teil der radikalen Bewegung von Paris gemacht haben mag, entgegengestellt ist, und auch nicht darin, einen Kampf zu verherrlichen, der, alles in allem, seine Potenziale nie im einen oder anderen Sinne entfalten konnte. Indem wir aber anwesende Elemente, Bruchlinien oder offene Fährten hervorheben, würden wir gerne einige Überlegungen verdeutlichen, die dieses Frühlingsende 2011 durchqueren konnten, und gleichzeitig kritische Reflexionen über die Frage der Intervention innerhalb eines bestimmten Kampfes weitergeben. Denn diese letztere Möglichkeit versteht sich nicht von selbst und man könnte sich auch andere Wege vorstellen, die sich mehr daran festmachen, vorher wie nachher, daneben oder von aussen zu intervenieren, Möglichkeiten, die ihrerseits breite Ausführungen verdienen würden. Um nur ein Beispiel zu machen, so sind einige Kameraden unmittelbar von diesem Kampf zu jenem der sogenannten Sorins übergegangen (die Besetzung eines Gebäudes in Bagnolet durch ein Kollektiv von Maliern, um eine neue Unterbringung zu erhalten), ohne dass uns diese Verknüpfung offensichtlich scheint. Ehrlich gesagt, sein nicht sehr konfliktreicher Charakter, gebunden an das Gewicht der Delegierten sowie an die starke Präsenz von karitativen Vereinsmitgliedern aller Art, seine Organisationsweise, die jegliche Solidarität den taktischen Entscheidungen der Besetzer unterordnete, sein Ziel selbst (ausschliesslich ausgerichtet auf eine neue Unterbringung durch die Verhandlungen mit der Macht) schien uns keinen Raum für eine autonome Intervention in seinem Innern zu lassen. In dieser Art von Fällen, wenn sich ein Teilkampf entwickelt, aber auch de facto mit einer Projektualität zusammentrifft, die schon vor ihm existierte (beispielsweise in Bezug auf ein Quartier oder ein Thema), kann man sich zumindest Fragen über die Palette der Interventionsmöglichkeiten stellen, anstatt sich immer auf die gleiche Weise in sie zu stürzen, in einer Art aktivistischem Reflex à la „besser als nichts“:

Es scheint uns ausserdem auch, dass, wenn der Bruch mit der Normalität, per Definition, eine soziale Tatsache ist, die revolutionäre Intervention innerhalb der Teilkämpfe jedoch nicht automatisch sein kann. Je nach Analyse der bestehenden Konfliktualität und Untersuchung der konkreten Möglichkeiten, die sie birgt, treffen viele Anarchisten oft die Entscheidung, ausserhalb zu bleiben und anderen Wegen folgend die Begegnungen und Vertiefungen zu begünstigen. Der bekannteste unter ihnen ist der spezifische, das heisst, auf unserer Initiative, auf unseren Grundlagen und mit unseren Methoden lancierte, und im Allgemeinen gegen eine Struktur oder eine bestimmte Schädlichkeit geführte Kampf (den Bau eines Ausschaffungsknastes, eines Kernkraftwerks, einer Waffenfabrik, einer Verbrennungsanlage,....). Der zweite ist die Intervention in Situationen der Revolte gegen das Bestehende, wie die Aufruhre in England in den 80er Jahren oder die 3 Wochen im November 2005 hier, oder auch in einen Kontext von verbreiteter Revolte wie jener der 70er Jahre in Italien oder das, was in Griechenland bereits seit einiger Zeit passiert.

Es stimmt, dass die Teilkämpfe oft wenig geeignet sind, um darin einen subversiven Inhalt zu entwickeln, und noch weniger, wenn wir uns ihnen unterwegs anschliessen, in einem Moment, in dem sie durch die ganze formelle oder informelle Bürokratie schon teilweise erstarrt sind. Trotz seiner Grenzen ist also einer der Gründe, die uns dazu angetrieben haben, auf den Kampf mit den Harragas in Paris zurückzukommen, gerade die Tatsache, dass wir darin, neben anderen natürlich und nicht immer Nahestehenden, in der Initiative sein, und somit darin teilweise konkret mit anarchistischen Methoden und Inhalten experimentieren konnten, und auch, weil er vom Anfang bis zum Ende offen blieb. Dieses Experimentieren mit einer sozialen Konfliktualität zwischen Gefährten und Revoltierenden ist in dieser Form vielleicht nicht generalisierbar oder reproduzierbar, doch nichtsdestoweniger stellt es ein Rüstzeug in Sachen Möglichkeiten dar, das jeder, hier oder anderswo, vertiefen und diskutieren kann.

[1] Harraga. Dieser mündliche arabische Ausdruck, der ebenso auf tunesisch wie auf algerisch verstanden wird, bedeutet „Durchbrecher“ wie „jemand, der die Grenzen durchbricht“. Es ist ein abwertendes Synonym für einen „illegalen Migranten“, das nach und nach auch im Positiven zum Abbild jener Sans-Papiers wurde, die entschlossen sind, alle Hindernisse zu überwinden.

[2] A.d.Ü.: Paname ist ein Übername, der umgangssprachlich verwendet wird, um die Region von Paris und seinen Banlieues zu bezeichnen.

[3] Plakat Welche Freiheit?, Paris, Ende Januar 2011

[4] Siehe hauptsächlich Harragas, Beilage zu Pourquoi pas?, Paris, Juli 2011, 2 Seiten, beidseitiges A2. Eine Übersetzung der darin publizierten Chronologie findet sich in dieser Broschüre unter "Dokumente aus dem Kampf".

[5] A.d.Ü.: Die „Village du Jasmin“-Messe präsentierte diverse Aussteller der Tourismusbranche, des Kunsthandwerks, lokale Produzenten und Künstler und wurde auf Initiative des Bürgermeisters von Paris lanciert, mit dem Ziel, die touristischen Aktivitäten im „neuen Tunesien“ wieder anzukurbeln.

[6] A.d.Ü.: Verein für Hilfe und Begleitung bei Unterbringung und gesellschaftlicher Eingliederung sowie medizinisch-soziale Anlaufstelle.

[7] Ein Klima, das seinerseits an vielerlei Faktoren gebunden war, wie die materiellen Bedingungen (ein einziger grosser Raum, um zu schlafen, sich auszuruhen, zu diskutieren und sich zu versammeln, die Unmöglichkeit, zusammen das beschaffte Essen zu kochen...), die Erschöpfung und das legitime Misstrauen unter Individuen, die sich nicht genügend kennen, der Mangel an Erfahrung mit Selbstorganisation im Innern und mit Strasseninitiativen draussen, das nicht-Weitergeben der laufenden Kampferfahrung an den Zufluss von neuen Ankömmlingen im Gymnasium.

[8] Was zur Besetzung der Rue Bichat führte, die gleichzeitig dazu gedacht war, eine selbstorganisierte Unterkunft für um die 30 Harragas und ein gemeinsamer Raum zu werden, um die Offensive weiterzuführen.

[9] „Die Kontakte vor Ort wurden sehr erschwert durch die Präsenz von militanten anarchistischen oder radikalen Kollektiven, die es bevorzugten, die Aktion und das Engagement der Stadt und der Vereine schlechtzumachen, statt die tunesischen Staatsangehörigen zu begleiten und ihnen wirklich zu helfen. Sie haben eine schwere Verantwortung auf sich genommen, indem sie diese letzteren – abgesehen von etwa einem Dutzend, die gestern Abend akzeptiert haben, sich einer Unterkunftsstruktur anzuschliessen – dazu verleitet haben, auf dem Platz zu bleiben, und indem sie sie explizit dazu ermutigt haben, sich mit den Ordnungskräften zu konfrontieren“.

[10] Im besetzten Gebäude bei Bolivar ist diese Frage mehrere Male aufgetaucht. Die gemeinsame Versammlung hat mehrmals entschieden, dass die Medien nicht hereinkommen (was einige Harragas oder Solidarische nicht davon abhielt, Interviews zu geben, aber ausserhalb des Ortes und als Einzelpersonen), und dass die aussenstehenden Personen eintreten können, aber ihre Pins, Badges und anderen Gewerkschafts- oder Vereinsbanner ablegen müssen. Die Türe wurde ständig gemeinsam zwischen Harragas und Kameraden gehalten. Diese Position ist im Allgemeinen in den Kämpfen von Sans-Papiers nicht selbstverständlich und auch nicht in den spezifischen Kämpfen der Pariser Bewegung.

[11] A.d.Ü.: „ménager la chèvre et le chou“ ist eine Redewendung, die ursprünglich von einem alten Rätsel abstammt, bei dem es Ziege, Kohl und Wolf mit einem Boot auf die jeweilige andere Flussseite zu bringen gilt, ohne dass sie sich gegenseitig auffressen. Es will in etwa heissen, auf umständlichen Wegen zwei deutlich unversöhnliche Dinge erreichen zu wollen