Titel: Breaking the waves
Untertitel: Die liberalen Strömungen innerhalb des Anarchistischen Feminismus angreifen
AutorInnen: Akemi, Romina, Busk, Bree
Datum: 2016
Bemerkungen: Aus: Gaidao Nr. 74 / Februar 2017. Übersetzung: madalton

Der folgende Beitrag von zwei Mitgliedern der „Black Rose Federation“ stellt die jüngste Ausgabe von „Perspektiven auf anarchistische Theorie“ dar, die wir dank des Instituts für Anarchistische Wissenschaft[1] neu veröffentlichen. Du kannst ihre Arbeit unterstützen, indem du dir dein eigenes Exemplar der Zeitschrift von AK Press[2] erwirbst. Es enthält viele weitere Artikel rund um das Thema Anarchistischer Feminismus.


Die „Black Rose Anarchist Federation“ schickte eine Delegation zur Teilnahme an AFem2014, einer internationalen anarchistischen feministischen Konferenz, die von einer Arbeitsgruppe in Großbritannien organisierter Anarchist*innen ins Leben gerufen worden ist. Die Ziele von AFem2014 waren Sexismus und andere Unterdrückungsformen innerhalb der anarchistischen Bewegung anzugreifen und einen „safer space“ zu schaffen um Gespräche zu individuellen und kollektiven Erfahrungen in Gang zu bringen. Diese Erfahrungen könnten dann in organisierte Arbeit umgesetzt werden. Die Konferenzarbeitsgruppe hatte die Hoffnung, dass die durch dieses Ereignis erzeugte Energie den Anarchististischen Feminismus als Ganzes neu beleben könnte. Und diese Energie würde in einer Reihe von Konferenzen mit globalen Auswirkungen vervielfältigt. Aus dieser Perspektive war AFem2014 ein bedeutender politische Entwicklungsschritt, der das Anwachsen des Anarchismus markiert und die Notwendigkeit, dass die Theorie und Praxis von Feminismus innerhalb des Anarchismus erhöht wird. Allerdings verließ die Black Rose Delegation AFem2014 mit mehr Fragen als Antworten – die brennendste davon lautet: „Was ist Anarchistischer Feminismus?“ AFem2014 ließ die Zielsetzung vermissen, dass ihre Stärke erlaubt gewesen wäre verwirklicht zu werden. Es wurde vorausgesetzt, dass das einfache Bestehen unter dem Patriarchat eine radikale Handlung darstellt und dass diese gemeinsam geteilte Unterdrückungserfahrung imstande sein würde für eine gemeinsam geteilte Überlieferung und Perspektive als Vollmacht zu dienen. Während wir unser eigenes Überleben und jenes unserer Gefährt*innen feiern, sind wir nicht gewillt uns damit zufrieden zu geben. Wenn wir dem Anarchistischen Feminismus tatsächlich erlauben in unserer Identität verankert zu bleiben anstatt in unserer Praxis, riskieren wir unvorbereitet erwischt zu werden, wenn Herausforderungen aufkommen, die mehr als einen oberflächlichen Ausgleich erfordern. Beispielsweise gab es während der Konferenz verschiedene Anlässe, bei denen die safer-space-Vereinbarung durch eine genaue Analyse bezüglich „race“ und Imperialismus gestärkt worden wäre; das Ergebnis war, dass eine weiße Dreadlock-tragende Teilnehmende eine schnelle Ermahnung für kulturelle Aneignung erhielt, aber ein komplizierter und leidvoller Zwischenfall bezüglich eines*einer zum Schweigen gebrachten Referenten*tin, der sich auf Erfahrungen geschlechtsspezifischer Gewalt im Nahen Osten bezogen hat, ohne Auswirkung blieb. Als Mitglied dieser Delegation nahmen wir an, dass der internationale Charakter der Konferenz Teilnehmenden eine einzigartige Gelegenheit ermöglichen würde Organisierungsstrategien aus verschiedenen Teilen der Welt zu vergleichen und mit neuen politischen Beziehungen wieder nach Hause zurück zu kehren, welche die Grundlage für zukünftige Koordinierung sein würde. Unglücklicherweise war die Konferenz auf mehrere Arten rückständig, welche diese Möglichkeiten begrenzten. Das anschaulichste Beispiel stellte die Schwerpunktsetzung der Konferenzarbeitsgruppe auf exakte Konferenzbesuchsregeln und die safer-space-Vereinbarung sowie dem gleichzeitigen Versäumnis dieselbe Sorgfalt auf die Ausschreibung und Entwicklung der Konferenzinhalte zu verwenden. Große Bedeutung wurde darauf gelegt, dass die „richtigen“ Leute teilnehmen (diejenigen, die von genderspezifischer Unterdrückung direkt betroffen sind) und dass die „richtige“ Umgebung geschaffen wird, in welcher sie sich treffen können (einer Umgebung, die von einer safer-space-Vereinbarung zum Ausschluss unterdrückenden Verhaltens bestimmt wird). Es gibt keine negativen Dinge an und für sich. Wir finden jedoch, dass das übergroße Hauptaugenmerk darauf zu dem Ausschluss des beabsichtigten Bewahrens des politischen Inhalts führte, die aus einer Darbietung Anarchistischen Feminismuses , welcher gleichzeitig jede und keine Politik miteinschloss. Um auf die politische Krisen unserer Tage zu reagieren, muss der Anarchistische Feminismus fähig sein mit Wissen und Überzeugung zu kommunizieren. Diejenigen unter uns, welche sich wünschen diese politische Strömung voran zu bringen, müssen sich selbst innerhalb der Geschichte ausfindig machen und auf die Lehren der Vergangenheit aufbauen. Wir müssen neue Theorien entwickeln und sie im Kampf erproben. Wir müssen Massenbewegungen aufbauen und darin von innen heraus für den Anarchismus eintreten. Wir müssen Forderungen stellen und mit den Worten des Anarchisten Errico Malatesta aus Italien „alle möglichen Reformen übernehmen und erringen mit demselben Geist, der jemanden besetztes Gebiet von Feindes Zugriff entreißt um weiter fortzuschreiten.“[3] Letztendlich müssen wir uns international orientieren und uns in Solidarität mit unseren weltweiten Gefährt*innen engagieren. Mittels dieser Mittel kann der Anarchistische Feminismus eine besondere politische Kraft werden, die imstande ist die schwierigen von Kapitalismus und Staat gesetzten Herausforderungen, die vor uns liegen, anzugehen. Laut Definition wird eine umfassende feministische Bewegung nicht vollständig unsere Politik ausmachen. Stattdessen wird sie als ein Weg zum Herausfordern und Voranbringen des Feminismus dienen, wo sie gemacht worden ist: Auf der Straße, bei uns Zuhause, an unseren Arbeitsplätzen, in den Medien und mittels unserer verschachtelten und sich überlagernden sozialen Netzwerken. Den Anarchistischen Feminismus aus unseren kleinen kollektiven Räumlichkeiten heraus in den sozialen Kampfplatz zu drängen, meint, dass wir gewillt sind für Bedeutung innerhalb der Bewegungen der arbeitenden Klasse zu kämpfen. Unsere politischen Aktivitäten sind mehr als nur nützliche Werkzeuge um unsere persönlichen Lebensumstände zu bewältigen; sie stellen die Blaupausen dar für eine Welt, für die es wert ist zu kämpfen und zu sterben. „Breaking the waves“ ist ein Aufruf mit dem liberalen Feminismus zu brechen und die Notwendigkeit anzuerkennen unsere eigene anarchistische feministische Geschichtstradition zu rekonstruieren. Wir verkünden gleichzeitig die Notwendigkeit für Anarchist*innen, die Feminist*innen sind und Feminist*innen, die sich als Anarchist*innen verstehen zu diskutieren und zu erörtern, was Anarchistischer Feminismus in der Praxis bedeutet und diese Definition weiterzuentwickeln mittels erneuerter Kämpfe. Unser Ziel ist nicht einen abgeschlossenen Leitfaden zu einem neuen anarchistischen Feminismus bereitzustellen, sondern ein paar wenige Schritte über die ungenauen Politikformen, die diese Zeit ausmachen, hinaus voranzukommen. Wir ahnen, dass viele Leser*innen die Frustrationen und Zielsetzungen dieses Beitrags teilen, aufgrund unserer eigenen Erfahrungen und Gespräche mit Gefährt*innen, die sich ähnlich eingeschränkt fühlen von einer anarchistischen Bewegung, der es an bedeutender feministischer Praxis fehlt und einer feministischen Bewegung, die erklärt, dass kollektive Kämpfe nur anfangen können, nachdem wir uns selbst und all diejenigen, mit denen wir uns organisieren würden, geläutert haben. Beim Ersteren werden unsere politischen Aktivitäten mitsamt unseren Meinungen an den Rand gedrängt. Beim Letzteren gibt es keinen Raum für Bildung um an Kämpfen teilzunehmen. Die Dringlichkeiten doppelter Militanz werden verschärft, sobald unsere zwei politischen Räume um unsere Zeit und Arbeitskraft konkurrieren. Wenn wir zu Gefährt*innen innerhalb unserer eigenen Organisationen sprachen, bei AFem2014 und in all den anderen unzähligen Zusammenhängen, in welchen wir uns gegenseitig begegnen, gab es einen gemeinsamen geäußerten roten Faden: Wir verdienen etwas Besseres und wir sind bereit dafür zu kämpfen. Wir hoffen, dass dieser Artikel ein Faktor sein kann produktive, anspruchsvolle Gespräche um die Fragen, die wir aufgeworfen haben, zu erzeugen. Und wir sehnen uns danach uns mit theoretischen Beiträgen und Kritiken zu beschäftigen, wenn sie erscheinen.

Anarchistischer Feminismus Anarchistischer Feminismus ist ein Begriff, dem eine klare Definition fehlt. In der US-amerikanischen anarchistischen Bewegung kommt er so inkonsequent zum Einsatz, dass es schwierig ist seine Bedeutung zu mehr zusammenzufassen als „antipatriarchale Arbeit, die von Anarchist*innen gemacht wird, gewöhnlich von Frauen“. In einer Welt, in der unsere revolutionären Bewegungen ergiebige historische Theorien und Kämpfe haben um davon zu schöpfen, glauben wir nicht, dass solch eine Definition ausreichend ist. Seit dem Anarchistischen Feminismus eine Erzählung von ununterbrochenen kollektiven Kämpfen fehlt, wirkt er als eine „bissigere“ Form des Feminismus, der am sichtbarsten ist, wenn das Patriarchat im Bereich der zwischenmenschlichen Interaktion infrage gestellt wird und der gemessen werden kann durch die Erfahrung des Individuums und seiner*ihrer Fähigkeit bestimmte soziale Verhaltensweisen und engstirnige Lebensstile zu bearbeiten. Diese Geschichtslosigkeit und der Mangel an Genauigkeit hinderte Individuen und Organisationen nicht daran bedeutende politische Beiträge im Namen des anarchistischen Feminismus zu leisten.

Quiet Rumors: An Anarcha-Feminist Reader (1978)[4] markierte einen wichtigen Schritt beim Verdeutlichen der anarchistischen feministischen Tradition. Indem eine breit gefächerte Auswahl an Autor*innen zusammengebracht wurde und andauernd der Inhalt mittels nachfolgenden Auflagen aktualisiert wurde, erfassten die Herausgeber*innen die zersplitterten, oftmals einander widersprechenden und gewachsenen Politikformen, die unter die Familie des Anarchistischen Feminismus fallen. Eine Rezension von Red Sonja, einem Mitglied der Northeastern Federation of Anarchist Communists (NEFAC) merkte an, „wenn der Anarchismus ‚unbestimmt‘ der sich ausbreitende Körper des Denkens ist, welcher es ist, weil er sich auf solche entgegengesetzte philosophische Wege wie schroffen Individualismus auf der einen Seite und libertären Kommunismus auf der anderen Seite erstreckt – dann umfasst der „Anarcha-Feminismus“ auch solch ein unüberschaubares politisches Terrain mit verschwommenen Grenzen.“[5] Bedauerlicherweise stehen viele der in „Quiet Rumors“ enthaltenen Aufsätze isoliert, weil ihnen ein zusammenhängender Gedankengang fehlt um von einer Idee zur nächsten zu folgen. In der Einleitung zur dritten Auflage feiert die Autor*in Roxanne Dunbar-Ortiz, dass weibliche anarchistische Heldinnen und Zustände wieder in den Mittelpunkt gerückt werden: „Unsere Aufgabe als Anarcha-Feminist*innen kann nichts weniger sein als die Welt zu verändern und anzufangen, dass wir unsere heldenhafte Vorgänger*innen aufsuchen müssen“[6] Und bisher es ist oftmals der Fall, dass anarchistischer Feminismus ausschließlich von diesen weiblichen Revolutionärinnen beschrieben wird auf Kosten davon sie im Zusammenhang der Organisationen und Bewegungen, in denen sie agierten, zu verstehen.

Als Anarchistin, die ausführlich über die Unterdrückung der Frauen gesprochen und geschrieben hat, ist Emma Goldman der erste (und oftmals der einzige) Name, der einem einfällt, wenn man an Anarchistischen Feminismus denkt. Sie war alles außer eine Individualistin und sie als solche überzubewerten rückt sie historisch ins falsche Licht. In den USA war sie bei den Industrial Workers of the World (IWW) politisch aktiv und beteiligte sich am Kampf die Geburtenkontrolle zu legalisieren sowie in der Antikriegsbewegung während des Ersten Weltkriegs. Goldman ist immer noch wirkungsmächtig innerhalb des Anarchismus, aufgrund ihrer bemerkenswerten Bedeutung innerhalb breiter Bewegungen und historischer Ereignisse. Und es ist ein Fehler sie ausschließlich als romantische Persönlichkeit zu betrachten, welche im Allgemeinen falsch zitiert wird durch den Ausspruch: „Wenn ich nicht tanzen kann, will ich nicht Teil eurer Revolution sein.“ Es gibt etliche zeitgenössische Anarchist*innen, die neben Goldman bezüglich ihres Bekanntheitsgrads stehen, wie beispielsweise Lucy Parsons und Voltairine De Cleyre. Es kommt in Organisationen selten vor, auf die Ebene der feministischen Berühmtheit aufzusteigen, die von den zuvor genannten Individuen erreicht worden ist, aber sogar bei Anarchist*innen, die an den geschichtlichen Frauenkämpfen nicht interessiert sind, kann darauf gezählt werden, dass sie die „Mujeres Libres“ kennen, eine Frauenorganisation, die für Geschlechtergerechtigkeit während des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) gekämpft hat. Die Tendenz unsere politischen Aktivitäten als von aufgewerteten Individuen veranschaulicht zu betrachten, setzt uns der Gefahr vieler Fallstricke aus. Erstens werden wir gefördert uns die politischen Aktivitäten dieser Personen als in der Zeit verhaftet vorzustellen und eben nicht als Produkt lebenslänglichen experimentellen Lernens. Indem wir uns an Personen binden und eben nicht an bestimmte politische Theorien und Praxisformen, werden wir gezwungen eine Möglichkeit zu finden ihre unausbleiblichen Schwächen zu ignorieren oder sind gewillt sie vollständig als unvollkommende Inkarnation eines Vorbilds zu verwerfen. In Wahrheit ist in vielen Fällen das Geschlecht unserer Vorgänger*innen die am wenigsten interessanteste Sache von ihnen. Wir werden ihnen besser gerecht (und indem wir dies tun auch uns selbst), indem wir sie in ihren eigenen historischen Kontext setzen und analysieren, wie sie die politischen Herausforderungen ihrer Zeit angingen.

Anarchistische Feminist*innen verpassten politische Aktivitäten zu entwickeln, die sich vom liberalen, sozialistischen/marxistischen oder linksradikalen Feminismus abheben. Stattdessen lassen sie die Ablehnung der sexistischen Kultur erkennen, die in vergangenen Generationen politischer Arbeit angetroffen worden ist ohne jemals eine positive Vision zu verdeutlichen wie wir unsere Bewegungen ausgestalten, oder welche Theorien und Taktiken am besten zu unseren Zielen passen. Ohne eine revolutionäre Ideologie, die den Weg beleuchtet hin zu den ständig zunehmenden Herausforderungen von Staat und Kapitalismus, werden die Individuen in diesen Räumen mit wenigen Wahlmöglichkeiten zurückgelassen, außer für immer in sich zu gehen, das Bewusstsein zu bilden, aber für keinen höheren Zweck. Dabei gibt es ein kollektives Verlangen innerhalb des Anarchismus das Patriarchat zu bekämpfen. Zu jeder Wende werden wir erfahren, dass die Lösung eine individuelle ist. Aber an dieser Stelle stimmen wir Anarchist*innen und aufstrebende Anarchistischen Feminist*innen Carol Hanisch in ihrem bahnbrechenden Artikel „Das Persönliche ist politisch“ zu: „Es gibt gegenwärtig keine persönlichen Lösungen. Es gibt einzig kollektive Aktionen für eine kollektive Lösung.“[7]

Die Grenzen der Wellen-Theorie und des akademischen Feminismus: Was stellt unsere historische und politische Familie dar?

Akademische Feminist*innen teilten die Geschichte der feministischen Bewegungen in den USA in drei fortschrittliche Wellen ein. Bei der Ersten Welle stand der Kampf für das Stimmrecht im frühen 20. Jahrhundert im Mittelpunkt. Die Zweite Welle – bekannt als die Frauenbefreiungsbewegung – entwickelte sich in den 1960ern und 1970ern über den Kampf für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch und die erfolglose Forderung nach einer Gesetzesänderung im Gleichberechtigungsrecht. Schließlich wirkte die Dritte Welle weiter als Kritik der weißen und heteronormativen Politikformen des Zweiten-Welle-Diskurses. Die Dritte Welle verkörpert einen Wechsel von einer bewegungsbasierten Politikform zu einer individuelleren Herangehensweise. Weil ihr die Grundlage in einem bestimmten Kampf fehlt, bestehen die Ideen und Praktiken dieser Welle ohne ein klares Ergebnis weiter. Diese westliche Auffassung moderner feministischer Geschichte wurde weitgehend nachvollzogen und akzeptiert. Dabei gibt es immer noch eine große Menge Diskussionen um die exakte Beschaffenheit jeder Welle und welche Auswirkungen sie auf die Feminismen heute haben. Sogar jetzt gibt es ein Gerangel um eine Vierte Welle zu bestimmen in Bezug auf Frauenteilhabe in neu entstehenden Technologien. Allerdings können wir als Anarchist*innen und Feminist*innen, die innerhalb der revolutionären Tradition aktiv sind, unser Erbe mittels individualistischer, liberaler oder akademischer Ansätze des Feminismus nicht ausfindig machen.

Viele antikapitalistische, revolutionäre Frauen wurden bequemerweise in akademischen Texten und Geschichten weggelassen. Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sozialistische Frauen wenige Verbindungen mit dem Feminismus der Ersten Welle aufgrund seiner bürgerlichen Elemente und seines reformistischen Rahmens. In Großbritannien, wo die Wahlrechtbewegung eine größere Basis von Menschen der arbeitenden Klasse aufwies und mehr militante Taktiken benutzt worden sind, gab es mehr politisches Zusammenspiel[8]. Die universitären feministischen Studiengänge erwägen selten kritische Abhandlungen der Wahlrechtbewegung, welche faktisch die Aktivitäten dieser revolutionären Frauen ausradiert. Stattdessen feiern sie die Leistungen der Ersten Welle und fügen sie in die Erzählung des historischen Fortschritts ein. Aber was bedeutet Fortschritt, wenn weiße Wahlrechtsorganisierte sich weigern schwarze Wahlrechtskämpfer*innen wie beispielsweise Ida B. Wells einzubeziehen? Die Geschichte des Feminismus ist voll von diesen Widersprüchen, die für wichtige Lernerfahrungen stehen. Wenn wir nach den Worten und Taten forschen, von denen wir unsere Tradition ausarbeiten, werden wir in beiden vertrauten und merkwürdigen Orten auf Verbundenheit stoßen, einschließlich den Traditionen des marxistischen und liberalen Feminismen. Das Errichten einer anarchistischen, feministischen, geschichtlichen Tradition wird uns eine Plattform geben um unsere eigenen politischen Aktivitäten voranzubringen, unsere Arbeit in Zusammenhang mit allem schon unternommenen zu verstehen und um dann voranzukommen. Anarchistische Feminist*innen, die danach streben ihre politische Tradition zu rekonstruieren, müssen vorsichtig vorgehen und sogar mutig in unbekannte Gewässer aufbrechen. Wir waren schon immer da, aber wir wurden nicht immer gesehen.

In „Schwarze Flamme: Revolutionäre Klassenpolitik im Anarchismus und Syndikalismus“ stellen die Autoren fest: „Wir müssen ein gewisses Unbehagen eingestehen gegenüber der Neigung vieler, Anarchist*innen und Syndikalist*innen als „anarchistische Feminist*innen“ oder „Anarcha-Feminist*innen“ zu bezeichnen.“[9] Wir teilen ihr Unbehagen. Diese Praxis reflektiert einen Trend, der unter Historiker*innen und Aktivist*innen der Zweiten Welle aufgetaucht ist, die angefangen haben nach Frauen in der Geschichte zu forschen. Einige begannen rückwirkend starke und unabhängige Frauen aus der historischen Vergangenheit als Feminist*innen zu benennen, indem sie ein ahistorisches Verständnis des Feminismus verstärkten. Zusätzlich scheiterten diese Autor*innen und Theoretiker*innen eine dialektische Analyse des Feminismus zu bieten, der Bedeutung was sich über die letzten hundert und mehr Jahre geändert hat. Während der feministischen Bewegung der Zweiten Welle in den USA ereignete sich ein politischer Wandel, als viele sozialistische Frauen die feministische Ideologie der Epoche mit ihren antikapitalistischen und revolutionären Ansichten durchdrangen. Während es eine handvoll sozialistischer und anarchistischer Frauen gab, welche die feministische Bezeichnung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verwendeten, tat dies die übergroße Mehrheit nicht. Dies erfolgte deshalb, weil der Feminismus als Bewegung entstand, welche die Bedürfnisse der bürgerlichen und gehobenen Frauen der Mittelklasse vertrat, die denselben Zugang zu bürgerlichen Rechten und beruflichen Möglichkeiten wie ihre männlichen Gegenspieler verlangten.

Die Diskussion des rückwirkenden Nutzens und Missbrauch des Feminismus stellt kein belangloses Streitgespräch über Begrifflichkeiten und Verbindungstrennungen dar, sondern eine Frage der politischen Tragweite. Dies nicht zu tun stellt erstens alle Feminismen als Teil derselben Familie dar und stärkt „gender“ gegenüber Klasse und politischer Zugehörigkeit. Zweitens löscht es das gesamte politische Erbe aus, besonders revolutionäre Traditionen, die außerhalb der Wellen und manchmal gegen sie gearbeitet haben. Die Mehrheit der sozialistischen und anarchistischen Frauen können der feministischen Verbindungstrennung nicht entkommen, die jede*n an das Geschlecht erinnert. Zusätzlich bestimmt diese Vorgehensweise – „Feminist*innen“ in der Geschichte zu finden – ein feministisches falsches Bewusstsein, welches die Vorstellung verstärkt, dass ein paar Frauen über ihren Feminismus „unwissend“ seien, während Frauen, die außerhalb erwarteter weiblicher Verhaltensweisen liegen, als „unschwesterlich“ oder „patriarchale Frauen“ bezeichnet werden[10]. Es gibt einige Frauen, die das Patriarchat unterstützen, aber die übergroße Mehrheit muss verhandeln und Kompromisse schließen um innerhalb des Patriarchats und der kapitalistischen Gesellschaft zu überleben. Indem verschiedene Feminist*innen nicht in ihren historischen Kontext gesetzt werden, wird zuletzt der ideologische Kern des Feminismus aufgeweicht und aufgelöst bis zu dem Punkt, dass er endet eine Sammlung von Theorien und Praktiken zu sein und stattdessen durch ein zeitloses, jenseitiges Gefühl ersetzt wird, das sogar die likes von Hillary Clinton auf sich ziehen kann. Es gibt eine zunehmende Notwendigkeit Feminismus als eine politische Ideologie wieder zu bekräftigen um erneut eine Bewegung aufzubauen, in der Ideen diskutiert werden und radikale Theorien genauso wie Praxen aufblühen können.

La Alzada: Acción Feminista Libertaria (Chile) Das Wort „alzada“ ist die weibliche Form des spanischen Hauptwortes für „Rebell“,“Aufrührer“ oder „Eskalierer“. Der Begriff „Gebietsarbeit“ (territorial work) bezieht sich auf Gemeinde- und Wohnraumarbeit, weil er einen geografischen Ort betont. Der Begriff „libertär“ (libertaria) wird in Lateinamerika und Spanien synonym zu „anarchistisch“ verwendet. Der Gebrauch des Wortes „militant“ bezieht sich auf ein Mitglied einer revolutionären Organisation, das ein erwartetes Niveau politischer Aktivität erreicht. Anarchistische „especifistische“ Organisationen, wie beispielsweise die Anarchistische Föderation Uruguay (FAU), treibt die Schaffung spezieller (especifista) anarchistischer Organisationen für politische Arbeit voran und verwendet die Strategie der sozialen Inklusion zur Teilhabe in sozialen Bewegungen. „Soziale Inklusion“ bedeutet eine Grundlage für anarchistische Ideen innerhalb Gewerkschaften und anderen sozialen Organisationen, indem sie horizontale politische Teilhabe betonen. Der Begriff „Multisectoralismus“ (Multisektoralismus) ist ein Ausdruck der Linken in Chile – siehe Endnote 20 für die Begriffserklärung.

Am 9. März 2013 verkündete eine Gruppe anarchistischer Feminist*innen in Santiago, Chile die Gründung von „La Alzada“. La Alzada ist nicht die einzige libertäre feministische Organisation in Chile – weder vor noch nach ihrer Entstehung. Allerdings entschieden wir uns La Alzada hervorzuheben, weil ihr organisatorisches Ziel der Errichtung des libertären Feminismus mit unserer eigenen politischen Vision verbunden ist. Es ist wichtig zur Kenntnis zu nehmen, dass der Hintergrund der Gründung von La Alzada das Anwachsen und Aufkommen einer anarchistischen Bewegung über zwei Jahrzehnten war. Gleichzeitig wurden die Auswirkungen der feministischen und queeren politischen Aktivitäten ebenfalls innerhalb der revolutionären Linken verspürt. Organisationen wie beispielsweise „Coordinadora Universitaria por la Disidencia Sexual (CUDS, Universitäre Koordination sexueller Opposition) und „La Champurria“ (dies bedeutet: das Gebräu/die Mischung auf Mapudungung) spiegelt das Erscheinen einer queeren sozialen Bewegung sowie neue Diskurse über Feminismus und Queersein wieder[11]. Die Praktiken von La Alzada geben drei wesentliche Elemente wieder, die wir hervorheben möchten: Die Bedeutung soziale Bewegungen und soziale Wohnraumarbeit anzugehen; ihre politischen Aktivitäten innerhalb der Linken zu vergegenwärtigen und wirkungsmächtig zu machen; die Herausarbeitung neuer Theorie.

Um La Alzadas Arbeit in den Zusammenhang zu stellen ist es notwendig die politische Bedeutung und den Stellenwert sexueller Opposition zu erklären. Der Begriff „sexuelle Opposition“ (sexual dissidence) hat eine bestimmte Bedeutung und Herkunft innerhalb des Feminismus, der queeren und sozialen Bewegungen in Chile. Sexuelle Opposition ist eine Kritik des Patriarchats, Heteronormativität genauso wie der LGBTQ-Bewegung (Lesben-, Schwule, Bi-, Trans-, Queer-) in ihrem Bündnis mit dem Staat. Einige von dieser Bewegung hörten auf die Sozialisation der Gewalt zu hinterfragen und streben nach Reformen wie z.B. Gleichstellung im Heirats- und Antidiskriminierungsrecht.[12] Der Begriff wirkt auch als ein Kontrapunkt zu dem Konzept der sexuellen Vielfalt, der den Kampf für Bürgerrechte und Inklusion innerhalb des kapitalistischen Staats betont, anstatt das Vorhandensein des Patriarchats infrage zu stellen. Das bekannteste „sexuelle Oppositionskollektiv“ ist CUDS, das ihre Arbeit so beschreibt: „Es gibt hier keine Frauen, Männer oder Schwule. Wir sind diejenigen, welche die feministische Welle in Santiago, Chile weggeworfen hat. Offiziell sind wir ein postfeministisches, universitäres Kollektiv der sexuellen Opposition, welches unsere Körper organisiert um sexuelle Terroraktionen innerhalb Räume sexuellen Autoritarismuses durchzuführen.“[13] CUDS organisiert politische Interventionen um Gespräche zu entfachen, umstrittene Angelegenheiten zu erkunden und die sozialen Parameter zu hinterfragen, die das Patriarchat normalisiert hat. Im November 2012 organisierte CUDS eine Protestaktion beim Nationalen Treffen Unterschiedlicher Feminist*innen, nachdem ein CUDS-Mitglied an der Teilnahme behindert worden war, weil es „cis-männlich“ sei. [14] CUDS ging zur Tagung und hängte ein Transparent draußen auf, auf dem stand „Feminismo en Toma“ („Feminism Occupied“) um Aufmerksamkeit auf eine wachsende feministische Bewegung zu lenken, die sowohl Männlichkeit als auch Transphobie herauszufordern erstrebt hat und in der CUDS einen „Feminismus ohne Frauen„ beansprucht. [15] Am 25. Juli, beim Feministischen Marsch 2013, der die Legalisation von Schwangerschaftsabbruch forderte, lief CUDS mit einem Transparent mit, auf dem stand: „El Derecho a No Nacer“ („Das Recht nicht geboren zu werden“). Sie spielten eine berühmte Rolle während der Besetzung der nationalen Kathedrale in der Innenstadt von Santiago. Andere Transparente beinhalteten: „Sodomisiert das Heteropatriarchat mit eurer Klitoris“ und „Treibt ab wie Tiere“. Die Bewegung der sexuellen Opposition führte ebenfalls zum Anwachsen von „Transfeminismus“ in Chile, indem sie eine ähnliche Rolle bei der Politisierung von Trans-Engagement übernommen haben um innerhalb der feministischen Bewegung und gegen das Patriarchat sich zu bilden und zu intervenieren.

La Alzadas entscheidende Abweichung von anderen feministischen Gruppen liegt darin, dass sie eine sozial-politische Organisation sind, in der die Mitgliedschaft ein vorgegebenes Niveau politischer Aktivität erfodert[16]. Alzada-Kämpfer*innen nehmen an Inklusionsarbeit mit Frauen der arbeitenden Klasse teil und innerhalb der Studierendenbewegung. Sie bringen ihre eigenen politischen Interventionen in die anarchistischen und feministischen Bewegungen. Die Mitgliedschaft steht allen Personen offen und sie fördert die Inklusion sich als männlich identifizierender Personen. Sie arbeiten eng mit den Hausarbeitsgewerkschaften SINTRACAP und SINAICAP zusammen, die geteilt sind in in Chile geborene (die Früheren) und im Ausland geborene Mitglieder (die späteren), welche meistens aus Peru und Bolivien hinzustoßen. Sie organisieren gewerkschaftliche Arbeitstreffen, wie beispielsweise das Lehren von mündlichen und körpersprachlichen Ausdrucksformen um Vertrauen und politische Bildung für Basismitglieder aufzubauen[17]. Sie verwendeten das „Theater der Unterdrückten“ – eine interaktive Methode um sozialen Wandel und Kritik zu propagieren – als ein Werkzeug um Unterdrückungserfahrungen zu analysieren und kämpferische Pläne zu entwickeln[18]. Sie nahmen auch am Streik der Hafenarbeiter*innen im Januar 2014 teil, der eine hauptsächlich männliche Basis aufwies. Sie erhielten Kritik von einigen Feminist*innen für ihre Teilnahme, aber La Alzadas Antwort lautete, dass es wichtig gewesen sei bei einem Hauptarbeitskampf dabei zu sein. Es ermöglicht ihnen sich mit Arbeiter*innen zu engagieren und ihre feministische Arbeit zu diskutieren und gleichzeitig Solidarität zu zeigen[19]. Sie sehen diese Art von Arbeit als Teil eine feministische Gewerkschaftbewegung aufzubauen, die gleichzeitig die feministische, arbeitende und anarchistische Bewegung herausfordert.

Die Studierendenbewegung stellt eine weitere zentrale Stelle politischer Aktivitäten dar. Vor der Spaltung innerhalb der FEL (Frente de Estudiantes Libertario – Libertäre Studierendenfront), einer anarchistischen Studierendenföderation, waren viele Alzada-Mitglieder auch FEL-Kämpfer*innen. 2013 beschloss die FEL eine Einheitsliste mit anderen linken Studierendenföderationen für den Vorsitz der Universitätsstudierendenföderation zu gründen, der CONFECH (Confederatcion de Estudiante de Chile). Melissa Sepulveda, Mitglied von La Alzada und ehemals FEL – sie beteiligt sich aktuell in der „Acción Libertaria“ – gewann den Vorsitz nach einer libertären und feministischen Kampagne. Das Propagandamaterial beinhaltete die Parole „Demokratisiert die Universität... De-maskulinisiert die Politik!“. Sepulveda nutzte ihre Stellung als Kopf von CONFECH um einen multisektoralen Ansatz zu vertiefen[20]. Multisektorale Politik schafft Verbundenheit von Solidarität und Arbeit innerhalb der verschiedenen Bereiche der politischen Aktivitäten (Arbeit, Gebiet, Bildung). Sepulveda unterstütze die Forderung nach einer „Universidad No Sexista (nicht-sexistischen Universität). Dieser Aufruf wurde ursprünglich beim Treffen vom Netzwerk für Volksbildung unter Frauen (REPM) 1981 verfasst[21]. Mit Unterstützung verschiedener feministischer und linker Organisationen fand der erste Kongress für eine nicht-sexistische Bildung im September 2014 statt. Die Kongressorganisierenden erstrebten den Beginn eines Dialogs und entwickelten konkrete Vorschläge um die Institutionalisierung von geschlechtsspezifischer und sexueller Diskriminierung sowie patriarchale Politik innerhalb des Bildungssystems zu konfrontieren[22]. Das Kongressprotokoll, welches den Diskussionsüberblick umfasst, gibt die Themen und Forderungen wieder. Eine davon lautete ein Bildungsprojekt aufzubauen, welches die im Bildungssystem innewohnende sexistische und heteronormative Logik hinterfragt. Ihre abschließende Forderung veranschaulicht ihr breites politisches Bezugssystem: „Die Netzwerke innerhalb des Feminismuses zu stärken und mit anderen sozialen Akteur*innen zu koordinieren (Arbeitende, pobladores[23], indigene Menschen, etc.) und in allen Bereichen ein Projekt freier Bildung darzulegen, welches qualitativ hochwertig, nicht sexistisch, nicht religiös und interkulturell ist sowie im Dienste der Menschen steht“.[24]

Schließlich wird La Alzadas Arbeit durch ihren Einsatz gekennzeichnet politisch innerhalb der anarchistischen und revolutionär-linken Bewegungen in Chile zu intervenieren. In einem 2013-geführten Interview erklären La Alzada:

„Viele anarchistische und linke Organisationen mit revolutionären Absichten versuchen Frauen wieder aufzuwerten, besonders Frauen der arbeitenden Klasse als doppelt Ausgebeutete. Die meiste Zeit geht es nicht über ein ein Flugblatt hinaus, welches keine konkrete Praxis schafft. Von der Unterordnung der Frauen über die Kontrolle über unsere Körper bis zur Kritik der Familie – solche Themen sind Teil der Propaganda verschiedener Rundschreiben, Artikel und Berichte innerhalb breiterer Kämpfe des Anarchismus. Allerdings wird dies wenig bedeuten, falls wir unsere (politischen) Positionen nicht vertiefen. Die Idee der „Emanzipation der Frau“ wird abgestanden ohne die Einbeziehung eines feministischen Rahmenkonzepts innerhalb genau dieser Organisationen. Das Bestehen von La Alzada umreißt die Notwendigkeit zweier Aufgaben: Auf der einen Seite tragen wir Verantwortung innerhalb libertärer Räume und auf der anderen Seite die Erfordernis die Hände auszustrecken und Gebietsarbeit aus einem geschlechtsspezifischen Blickwinkel innerhalb jener sozialen und öffentlichen Räume zu leisten[25].“

Dieses Rahmenkonzept fordert gleichzeitig den feministischen Separatismus und diejenigen heraus, die revolutionäre Feminist*innen dafür kritisieren, dass sie ihre Zeit und Energie in den Aufbau politischer Organisationen einsetzen. La Alzada gestalten ihre Interventionen und die Entwicklung feministischer und anarchistischer Praxis innerhalb anderer Bewegungen nach Bedarf ihres revolutionären Einsatzes. Falls wir anarchistische Räume oder die arbeitende Bewegung als „nicht lohnenswert“ betrachten, warum uns dann beunruhigen, wenn wir uns anarchistische Feminist*innen nennen?

Der Rückfall zu modernen feministischen politischen Aktivitäten

Die 1990er bedeuteten einen politischen Wechsel globaler Politik, genauso wie hinsichtlich anarchistischer und feministischer Organisierung. Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zu einer massenhaften Desillusionierung von leninistischer Politik, aber es gab ebenso einen Moment der politischen Wiederorganisierung zum globalen Kapitalismus. Der Mangel eines Gegenspielers ermöglichte die Ausweitung des neoliberalen Kurses, vorgeschlagen vom Washingtoner Konsens[26]. Der Konsens von Washington war eine Bezeichnung, die 1989 in einem Schriftstück von John Williamson geprägt war. Es beschrieb die staatsbürgerliche und wirtschaftliche Politik, die in Washington diskutiert worden ist um in ein neues Post-Kalter-Kriegs-Zeitalter einzuführen und die mögliche Ausdehnung wirtschaftlicher Politik, die später als Neoliberalismus bekannt wurde. Der ökonomische Austragungsort traf auf den sozialen, als die Angriffe auf soziale Reformen zwangsläufig wurden zur Rationalisierung dieses Kurses. In den USA gab es eine Verschmelzung des neoliberalen Wirtschaftssystem mit der christlich-evangelikalen Ideologie, die wiederum den sogenannten Kulturkampf hervorbrachte. Unter anderem wurde Rush Limbaugh eine zentrale Figur in den 1990ern. Rush Limbaugh verwendete die Kulturkampf-Theorie des Marxisten Antonio Gramsci aus Italien um die sozialen Erfolge der letzten 30 Jahre rückgängig zu machen. Feminist*innen waren auf solch eine Kampfansage unvorbereitet[27].

Die sozialen Bewegungen des rechten Flügels wie beispielsweise „Operation Rescue“ kamen in diesem Zeitraum auf und machten die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbruch zu ihrer zentralen Kampfparole[28]. Liberale feministische Organisationen wie beispielsweise die „Landesweite Organisation für Frauen“ (NOW) zeigten geringste Reaktionen darauf und drängten stattdessen darauf den Gebrauch des Wortes „Schwangerschaftsabbruch“ aus ihrer Propaganda zu entfernen. Höhere Kosten und eine Leistungsverdichtung innerhalb von Stadtgebiete führte dazu, dass die Privatkliniken die Verfügbarkeit reproduktiver Leistungen begrenzten.

In den 1990ern hatten Frauen wenig Wahlmöglichkeiten außer die begrenzten Erfolge zu verteidigen[29]. Dies kennzeichnete das Ende einer offensiven Frauenbewegung, die danach strebte Rechte auszuweiten, und einen Wandel zu einer defensiven Bewegung, die verzweifelt kämpft die Erfolge der vorangegangenen Jahrzehnte zu bewahren. Es ist hilfreich zu beachten, dass die feministische Punk-Szene des Riot Grrrl zur gleichen Zeit entstand wie durch „Operation Rescue“ Schwangerschaftsabbruchkliniken geschlossen wurden und Bill Clinton „Wohlstand wie wir ihn kennen“ zurücksetzte. Riot Grrrl war eine politische Reaktion auf die Frustration einer neuen Generation, die einem Moment der politischen Schwäche und Enttäuschung Trotz bot. Eine kulturelle Bewegung wie Riot Grrrl bot eine dringend benötigte Kritik an männlich dominierten Räumen, dennoch war sie auf eine begrenzte Zuhörerschaft eingeschränkt. Dieser Zeitabschnitt beinhaltete auch Organisationen wie beispielsweise INCITE! (im Jahr 2000 gegründet), deren Arbeit auf „community accountability“ und „restorative justice“ gerichtet war als eine Antwort auf die gewaltige Ausweitung der Gefängnisindustrie (prison industrial complex – PIC) während der 1990er. Viele der Gründer*innen von INCITE! Kamen von „Critical Resistance“, einer Anti-Knast-Organisation aus Kalifornien. Allerdings erzeugte der Niedergang der sozialen Bewegungen, die fähig waren sich dem Neoliberalismus zu widersetzen, eine Strömung hin zu Selbstreflektion und die Schaffung von Projekten mit begrenztem Umfang und geringer Teilnehmer*innenbasis[30].

Seit den 1990ern gab es einen Ausbau feministischer und Queer-Theorie an den Universitäten. Arbeiten wie „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990) von Judith Butler sowie „Feminism is for Everybody: Passionate Politics“ (2000) von bell hooks hatten starken Einfluss auf feministische Politik und boten queerer Politik Beachtung. Die akademische Welt wurde ein Ort, an dem Feminismus aufblühen konnte. Aber Feminismus wurde in steigendem Maße von Kämpfen der arbeitenden Menschen getrennt aufgrund seiner Abschottung innerhalb der Lehrräumlichkeiten. In den letzten paar Jahren tauchten Bewegungen wie „Occupy Wall Street“ und „Black Lives Matter“ auf. Obwohl Bestandteile des Hochschulfeminismus innerhalb der Praxis dieser Bewegungen sichtbar sind, waren die Auswirkungen gering. Diese Art Feminismus wurde nicht entworfen um außerhalb der akademischen Mauern aufzublühen. Dem Hochschulfeminismus kann zugute gehalten werden, dass er einige feministische Ideen in die Mainstream-Gesellschaft eingeführt hat. Das Thema Vergewaltigung an Hochschulen beispielsweise wurde unlängst von der Obama-Verwaltung zur Kenntnis genommen und wurde in den großen Pressekanälen diskutiert, die Gelegenheiten für radikale Erzählungen anboten – beispielsweise Bildung zu „rape culture“ sowie Widerstand gegen „slut shaming“ und „catcalling“. Neue Feminist*innen analysieren gerade die systematischen Auswirkungen des Patriarchats auf ihren Alltag. Ihre Sichtweise spiegelt jedoch oftmals die Erfahrungen und Wünsche bestimmter Akteur*innen: der Hochschulstudent*innen. Das Ergebnis dieser Begrenzung ist eine Kultur, die symbolische Aktionen und Diskussionen im Internet über kollektive Kämpfe stellt[31]. Der Schwerpunkt auf die individuellen Erfahrungen mit dem Patriarchat und individuelle Reaktionen darauf, spiegelt die Tiefe, mit der liberale Politik den feministischen Aktivismus in den USA beeinflusst hat. Diese Perspektive auf das Individuelle führt nicht zur Berücksichtigung der breiteren Not, welche Frauen, queere, genderqueere und transgender-Leute am Arbeitsplatz und in Gemeinschaften der arbeitenden Klasse erfahren.

Unsere Suche nach einer reinen Vorwegnahme hat sich in eine kollektive Praxis der Über-Wachsamkeit gewandelt, in welcher die „Textbox-Kultur“ als neues Machtverhältnis aufgetreten ist. Es ist am offensichtlichsten in feministischen und queeren Online-communities, die in den sozialen Medien verortet sind wie beispielsweise Tumblr. Die sogenannten „sozialen Gerechtigkeitskämpfer*innen“ verwenden oft das öffentliche Anprangern und individuelle Propaganda um politischen Einfluss zu erzeugen. Dies verstärkte einen reinen aktivistischen Ansatz, bei dem es keine Unterscheidung zwischen Personen gibt, die versuchen politische Begrifflichkeiten zu verstehen und chauvinistischen, transphoben Trollen. Wir weichen nicht von der Wichtigkeit vorwegnehmender Politik ab, sondern von der Interpretation der Vorwegnahme als ein Zustand feststehender Reinheit anstatt eines immer im Realisierungsprozess sich befindenden Ideals. In der Zwischenzeit bietet die feministische Bewegung für den status quo wenig Bedrohung und fährt fort in den abgestandenen Gewässern der liberalen Politik zu faulenzen.

Bevor wir alles nehmen, fordern wir das Folgende

Als anarchistische Kommunist*innen, die sich dem intersektionalen Klassenkampf verpflichtet fühlen (womit gemeint ist, dass unsere Organisation untersucht wie unterschiedliche Formen von Unterdrückung und Ausbeutung sich gegenseitig beeinflussen), weiß unsere feministische Praxis um eine politische Linie, die uns mit Werkzeugen ausstattet, damit wir unsere Kämpfe gegen Kapitalismus und Patriarchat verstehen und voranbringen. Wir können an die Lehren der „Pariser Commune“, der „Russischen Revolution“ und des „Spanischen Bürgerkriegs“ anknüpfen. Gleichzeitig können wir uns mit den neu entstehenden Theorien und Praxen des globalen Südens beschäftigen. Anarchist*innen aus den USA im Speziellen benötigen keine Einschränkung unserer revolutionären Bildung auf die Klassenzimmer, wenn es Möglichkeiten gibt von Gefährt*innen zu lernen, die lebhaft neue Methoden des Engagement auf beiden amerikanischen Kontinenten ausprobieren. Indem wir die „especifismo“-Taktik der sozialen Inklusion benutzen, können wir unsere Politik auf eine authentische Art und Weise einführen, welche die Fähigkeit besitzt sich auszuweiten und zuzuspitzen, wenn Kämpfe sich überschneiden. Obwohl soziale Forderungen an den Staat zu stellen häufig als reformistische Strategie bloß gestellt wird, können gewisse Reformen das Leben der arbeitenden Menschen verbessern und schützen sowie unsere revolutionäre Leistungsfähigkeit strategisch entwickeln. Der Kampf zur Erreichung dieser Arten unmittelbarer Siege kann eine Praxis bewegungsübergreifender Solidarität erzeugen und eventuell den politischen Schauplatz des Staates infragestellen, in welchem wir den Rhythmus der Politik beeinflussen können, und eben nicht einfach bürgerlicher Politik hinterherjagen oder reagieren. Um effektiv in diesen politischen Bündnissen zu handeln, müssen wir Verbindlichkeit und ein klares Verständnis von unserer eigenen Politik haben. Wir müssen vorbereitet sein zu überlegen, welche Forderungen Kompromisse hervorbringen können und welche ihren eindeutigen, radikalen Charakter bewahren müssen.

Durch das Zusammenfassen der Teile über La Alzada und des jüngsten geschichtlichen Hintergrunds gibt es einige Aspekte, die wir hervorheben wollen. Die Gliederung der feministischen Bewegung in den USA seit den 1990ern bestimmt als historischer Ort wo wir heute stehen. Die allgemeine Einstellung zu Feminismus in den USA lautet, dass wir Lobreden vorbereiten für „wem die Stunde schlägt“. Beiträge wie „Der Krieg gegen Frauen ist vorbei – und die Frauen haben ihn verloren“ in „Mother Jones“ fassen kurz den Verlust der reproduktiven Rechte über die letzten Jahrzehnte zusammen[32]. Diese Artikel lassen oftmals die aktuellen sozialen Bewegungen in den USA weg, welche die Grundlage für das klare Ansprechen einer neuen feministischen Politik sein können, die sich an den Rändern zusammenbraut[33]. La Alzada bietet ein Beispiel einer anarchistischen feministischen Organisation, die sich sowohl mit interner als auch externer Auseinandersetzung beschäftigt. Dies beinhaltet neue Gender-Theorien (wie beispielsweise zur sexuellen Opposition) innerhalb eines klassenkämpferischen Rahmens. In vielen anarchistischen und linken Organisationen werden Versuche unternommen Solidarität mit dem Kampf gegen das Patriarchat zu zeigen, indem starker Rückhalt für feministische Belange und Forderungen gezeigt wird. Dennoch führt die Taktik des „Für den Feminismus stimmen“ oftmals zu nichts aufgrund des geringen Rückhalts und/oder dem Mangel an Angeboten die innerorganisatorischen Tätigkeiten kontinuierlich umzusetzen. Dies schließt das Unvermögen ein die politische Leistungsfähigkeit feministischer, transgender und queerer Gefährt*innen aufzubauen. Wir brauchen mehr als Feminismus auf Papier; wir benötigen antipatriarchales Engagement bei unseren organisationsinternen und externen Aktivitäten. La Alzadas Arbeitsgebiete spiegeln Forderungen nach der Legalisierung von Schwangerschaftsabbruch, sexueller reproduktiver und nicht-reproduktiver Rechte und nicht-sexistische Bildung wieder. Auch stellen sie Annahmen bezüglich Organisierung in strategische Bereiche infrage, indem sie Interventionen aufzeigen um das patriarchale kapitalistische System zu zerbrechen[34] [35].

„Breaking the waves“ ruft zu einem Bruch mit dem liberalen Feminismus auf, indem die Strömung nach liberalem Feminismus politischer Herrschaft aufgeführt wird um die Entwicklung der revolutionären feministischen Theorie und Praxis abzuwürgen. Wir wollen uns über defensive Forderungen und Selbstkritik, die einen Kampf um die vom System angebotenen Krümel wiederspiegeln, hinaus bewegen. Stattdessen wollen wir den Fluss unserer politischen Energie in den Aufbau von Bewegungen lenken, die in die Offensive gehen um gleichzeitig unsere alltäglichen Lebensbedingungen mithilfe sozialer Forderungen zu verbessern, während wir die Art Gesellschaft, die wir uns aufzubauen wünschen, vorwegnehmen. Dies bedeutet auch, dass wir unsere kleineren Kampagnen als Möglichkeit auffassen um für den langen Kampf gegen den patriarchalen Kapitalismus zu lernen und zu trainieren. Wir verfügen über die politische Energie und das Verlangen zu kämpfen, aber wir haben nicht gelernt wie wir diesen Energiefluss auf revolutionäre Art und Weise vergrößern.

Eine Bewegung benötigt erreichbare Ziele und einen Grund für die Einzelperson Zeit, Energie und (möglicherweise) ihr Leben zu investieren. Einige von uns sind durch starkes ideologisches Engagement aktiv, während andere auf der Grundlage von Themen sich beteiligen, die unsere persönlichen und familiären Lebensbedingungen direkt betreffen. Der Prozess der Feststellung dieser Gemeinsamkeiten wird den Stammbaum zu einer weitläufigeren Bewegung darstellen, die sowohl intersektional als auch bereichsübergreifend ist[36]. Der Wiederaufbau einer feministischen Bewegung, die engagiert ist Kolonialismus und patriarchalen Kapitalismus zu bekämpfen, muss sich mit breiteren sozialen Fragen beschäftigen. Wir wollen uns über den Kreislauf wogegen wir sind hinaus bewegen, weil es so viel gibt, das wir hervorbringen wollen. Wir sehen diese Liste an Forderungen als laufende Arbeiten an: Samen, welche die Nährstoffe einer kollektiven Bewegung benötigen um ihnen Leben und Bedeutung zu geben. Das Folgende stellt eine Auflistung unserer Anfangsforderungen dar:

  • Umfassende Gesundheitsfürsorge

  • Rückhalt für reproduktive und nicht-reproduktive Rechte mithilfe der Errichtung auf reproduktiver, sexueller und gender-basierender Krankenhausdienste, einschließlich kostenlosem Schwangerschaftsabbruch auf Wunsch, in allen öffentlichen Krankenhäusern und an gebietsmäßig abgelegenen Orten

  • Unterstützung reproduktiver Dienste für Einzelpersonen, die sich wünschen ein Kind zu bekommen oder zu adoptieren. Dies schließt kostenlose Kinderbetreuungsplätze in der Gemeinde sowie zugängliche Ernährungsprogramme in der Nachbarschaft und der Schule mit ein. Diese Programme fördern auch den Zusammenbruch männlicher Geschlechterrollenbilder und -rollenerwartungen in Bezug auf Familie und häuslicher Pflege.

  • Betreuung von Betroffene genderspezifischer Gewalt, inklusive Unterkünfte, Therapie und Zugang zu psychischer Gesundheitsdienste

  • Rehabilitationsdienste für Sexualstraffällige inlusive Gruppen- und Einzeltherapie

  • Dass alle Gesundheitsfürsorgedienste und damit in Zusammenhang stehende Dienste mit Respekt, Wissen und Leidenschaft für diejenigen, welche sie aufsuchen, angeboten werden ungeachtet von Geschlechts, sexueller Orientierung, Beziehungstyp oder Familienmodell

  • Elternzeit, Familienzeit in Notfällen, Rechte und Ressourcen für häusliche Pflege, jederzeit erreichbare Dienste für Zuhause und in der Öffentlichkeit für Menschen mit Behinderung

  • Ausweitung des staatlich geförderten Wohnungsbaus; Zugang zu hochwertigem Wohnraum, der die Interaktionfähigkeit in der Gemeinde durch Design und provisorischen Ressourcen erhöht und der die vielfachen Bedürfnisse und die Sicherheit derjenigen, die dort leben werden, honoriert

  • Gemeindekontrolle der Räume und Ressourcen um die Ziele der Gemeinde besser zu erreichen. Es ist wichtig für diese Organisierung, dass sie aus Gemeindeorganisierung und Versammlungen entspringen, unterschieden von Gemeinderäume, die Wohltätigkeitsarbeit leisten, welche Autonomie- und Selbstorganisationsfähigkeiten der arbeitenden Klassengemeinschaften begrenzt

  • Volle Autonomie für indigene Menschen und die Bereitstellung von kostenfreier Ressourcen; nach hunderten Jahren kolonialer Unterdrückung und Ausbeutung von Ressourcen muss den indigenen Gemeinschaften die volle Kontrolle über ihren Boden und ihre Lebensgrundlagen gegeben werden. Ressourcen, die benötigt werden um ihre Gemeinschaften wieder aufzubauen, so wie sie es für angebracht halten, müssen als kleinste Entschädigung aufgebracht werden. Dies beinhaltet den (Minen-)Abraum zu entsorgen sowie die Rückgabe gestohlenen Bodens. Es gibt viele weitere Forderungen, die von indigenen widerständigen Gemeinschaften überreicht worden sind und auf all diese Forderungen sollte eingegangen werden

  • Sozialisierung von Bildung; die Ausweitung von Bildung für alle (unabhängig vom Alter) als soziales Recht anstatt eines Privilegs

  • Sexual-, antisexistische und interpersonelle Bildung; indem das Bedürfnis nach einem interdisziplinären Bildungssystem angegangen wird, welches Kinder und Heranwachsende zu Sexualbildung lehrt und patriarchale Geschlechternormen infrage stellt; die nicht-sexistische Bildungskampagnen in Lateinamerika und Spanien bieten Beispiele wie ein antipatriarchales, antikapitalistisches und antikolonialistisches Bildungssystem vorangebracht und angestoßen wird

  • Annullierung des Taft-Hartley-Gesetzes sowie des Smith-Connally-Gesetzes; diese beiden Gesetze wurden in den 1940ern verabschiedet um die Erträge und das politische Gewicht der Arbeitendenbewegung zu behindern, im Anschluss an die Organisierungskampagnen der CIO in den 1930ern und den Streikwellen, die auf den Zweiten Weltkrieg folgten (als 25 Prozent der Arbeitenden gewerkschaftlich organisiert war). Während wir denken, dass wir uns unabhängig von der durch den Staat gegebenen Legalität organisieren sollen, wird der arbeitenden Klasse durch die Annullierung dieser Gesetze Freiraum gegeben für Selbstorganisierung und Streiks. Diese Gesetze verbieten gegenwärtig wilde Streiks, indirekte Boykotte, Solidaritätsstreiks sowie Streiks von Staatsangestellten. Sie erlauben zusätzlich der Bundesregierung während Kriegszeiten Industriezweige zu beschlagnahmen und zu kontrollieren, die von Arbeitenden gefährdet oder eingenommen sind

  • Die Kriminalisierung von Sexarbeit und Unterstützung der horizontalen Selbstorganisation der Sexarbeitenden

  • Dass nicht erfasste Arbeitende vollständig vom amerikanischen Arbeitsrecht geschützt werden. Und dass diese Inkrafttretung dieser Rechte nicht durch Abschiebungen bestraft werden. Genauso sollen diese Gesetze ausgeweitet werden und und zusätzliche Ressourcen verfügbar gemacht werden um gender-basierte Arbeitsplatzungerechtigkeiten und Belästigung anzugehen

  • Die Abschaffung der staatlich genehmigten Heirat, die danach strebt die Beziehungen und Familien zu bestimmen durch die Zuweisung von Leistungen und sozialer Akzeptanz

  • Freiheit für alle Menschen vor Einschüchterung durch Bedrohung oder dem Gebrauch von geschlechtsspezifischer Gewalt; ein Ende der Gesetze, Annahmen und Institutionen, die patriarchale Herrschaft und Aggression aufrechterhalten; sofortige Intervention um die Leben derjenigen zu retten, die an den Schnittstellen mehrfacher Unterdrückung leben. Die überproportional Gefahr laufen geschädigt oder getötet werden.


Schlussfolgerungen

Wir haben die Notwendigkeit einer Rückkehr feministische Massenbewegungen aufzubauen skizziert sowie die Initiierung frischer anarchistischer Ideen und Taktiken innerhalb aufkommender Kämpfe. Während wir jedoch unsere Rolle und Forderungen ausformulieren, müssen wir ebenfalls überlegen wie und wo der Anarchistische Feminismus den Bewegungen etwas anzubieten hat. Mithilfe einer Wiedererforschung unseres revolutionären Erbes und einer grundsätzlichen Beschäftigung mit den spannenden neuen Theorien und Praxen unserer globalen Gefährt*innen können wir fortfahren mit dem Übergang von unseren kleinen Kollektiven und online-communities zu einer Position gefestigter politischer Stärke. Dieser Prozess wird uns erlauben Erfahrungen individueller Not mithilfe kollektiver Kämpfe und eines Tages die hegemonielle Macht von Kapitalismus und Staat zu bekämpfen. Falls der Anarchistische Feminismus scheitert sich an die Herausforderungen unseres politischen Moments anzupassen, müssen wir uns mit einem Jahrzehnt Denkfragmente abfinden, die den Rückfall der wenigen verbleibenden Rechte dokumentieren, die von den sozialen Bewegungen unserer Vorgänger*innen schwer erkämpft worden sind. Wir verdienen etwas Besseres und wir sind bereit dafür zu kämpfen.


Romina Akemi ist Mitglied der „Black Rose Anarchist Federation“ (USA) und von „Solidaridad – Federación Comunista Libertaria“ (Chile). Sie war jahrelang Bekleidungsindustrienäherin, die sich in gewerkschaftlichen und politischen Organisationen engagiert hat. Sie nahm im Lauf der Jahre auch an vielen internationalen sozialistischen und anarchistischen Treffen teil, die ihre internationale Perspektive angeregt haben.

Bree Busk ist eine amerikanischer Anarchistin, die in Santiago (Chile) lebt und arbeitet. Als Mitglied sowohl bei der „Black Rose Anarchist Federation“ (USA) als auch bei „Solidaridad – Federación Comunista Libertaria“ (Chile) hat sie sich dafür verschrieben eine internationale Koordinierung über die beiden Amerikas aufzubauen. Sie widmet sich aktuell den Bewegungen in beiden Staaten mittels Kunst, Organisierung sowie der Bereitstellung der unsichtbaren, reproduktiven Arbeit, welche Organisationen benötigen um zu überleben und zu erblühen.

[1] anarchiststudies.org/

[2] www.akpress.org

[3] übersetzt: Stille Gerüchte: Eine anarcha-feministische Textsammlung

[4] Errico Malatesta, “Reformism,” Life and Ideas: The Anarchist Writings of Errico Malatesta (Oakland: PM Press, 2015)

[5] “Book Review: Quiet Rumors: An Anarcha-Feminist Reader,” Common Struggle/Lucha Común, April 20, 2003

[6] Dark Star Collective, Quiet Rumors: An Anarcha-Feminist Reader (Oakland: AK Press, 2008), p. 11.

[7] Carol Hanisch, “The Personal is Political,” Notes from the Second Year: Women’s Liberation (New York: Radical Feminism, 1970)

[8] Nym Mayhall, Laura E. The Militant Suffrage Movement: Citizenship and Resistance in Britain, 1860–1930. (Oxford: Oxford University Press, 2003).

[9] Michael Schmidt and Lucien van der Walt, Black Flame: The Revolutionary Class Politics of Anarchism and Syndicalism (Oakland: AK Press, 2009), 23.

[10] Susan Faludi, “The Death of a Revolutionary: Shulamith Firestone helped to create a new society. But she couldn’t live in it,” The New Yorker, April 15, 2013

[11] Informationen zu CUDS: http:// disidenciasexual.tumblr.com/

[12] Die kursiv geschriebene Bereich ist ein direktes Zitat von einem*r der Autor*innen dieses Artikels, einer Übersetzung eines Interviews mit La Alzada. Siehe: Gutiérrez D., José Antonio. “La Alzada: ‘The revolution must include the feminist struggle, with and inside the libertarian,’” Ideas and Action, October 25, 2013

[13] disidenciasexual.tumblr.com/

[14] revistacortela.com

[15] www.pueg.unam.mx seminarios2015_2/otras_rutas/sesion2/por_un_feminismo_sin_mujeres_cuds.pdf

[16] Für eine Definition der sozialen politischen Organisation, siehe Gutiérrez D., José Antonio. “The Problems Posed by the Concrete Class Struggle & Popular Organization: Reflections from the Anarchist Communist Perspective.” Anarkismo.net. November 14, 2005

[17] La Alzada-AFL, “Construyendo femi- nismo sindical: taller de oratoria y expresión corporal con el Sintracap.” Solidaridad: Periódico Comunista Libertario Solidaridad, 16 de noviembre del 2013

[18] The Brazilian theatre director Augusto Boal developed Theatre of the Oppressed in the 1950s.

[19] La Alzada-AFL, Solidaridad Feminista con el Conflicto Portuario Hacia una Sindicalismo de clase, de lucha y feminista, enero 2014

[20] Multisektoralismus ist ein Begriff, der innerhalb der Linken in Chile verwendet wird. Die drei Hauptsektoren sind Arbeit, Gebiet und Studierendenbewegung. Multisektoralismus bedeutet eine bereichsübergreifende Analyse zu haben, indem solidarischer Rückhalt für Forderungen und Aktionen in anderen Bereichen gezeigt wird. Der Kampf der Mapuche wird auch als ein weiterer , aber eigenständiger Sektor in Betracht gezogen. Die Umwelt, Feminismus und Kolonialismus werden nicht als getrennte Bereiche betrachtet, sondern als querverlaufende Themen, die in die anderen Bereiche eingeschlossen werden müssen.

[21] www.cladem.org/ campanas/educacion-no-sexista/ prensa/69-ens-otros-medios/443-dia-inter- nacional-de-la-educacion-no-sexista

[22] eldesconcierto.cl- necesaria-una-educacion-sexista-en-chile/

[23] Das Wort „poblacion“ wird am besten definiert als Barackenstadt oder armes Arbeiterklasse-Viertel. „Poblaciones“ um Santiago herum haben jedoch ihre eigene politische Geschichte, seitdem sie sich als Landübernahme von Leuten herausgebildet haben, die von den ländlichen Gebieten in die Stadt gewandert sind. Einige „poblaciones“ verfügen über eine starke politische und linke Tradition, wie beispielsweise „La Legua“, „Villa Francia“ und „Nueva Amanecer“. Einzelpersonen, die in einer „poblacion“ leben, bezeichnet man als „poblador*a“.

[24] Diese Forderung fasst nicht nur Positionen zusammen, die von feministischen, idigenen und queeren Bewegungen vorgestellt werden, sondern spiegelt auch die radikale Forderung einer Sozialisierung von Bildung wieder, die von Bereichen der Studierendenbewegung vorgeschlagen wird.

[25] José Antonio Gutiérrez D., “La Alzada: “The revolution must include the feminist struggle, with and inside the libertarian,” Ideas and Action, October 6, 2013

[26] See John Williamson, “A Short History of the Washington Consensus”

[27] Charlie Bertsch, “Gramsci Rush: Limbaugh on the Culture War,” Bad Subjects, 1994

[28] Isabel Wilkerson, “Drive Against Abortion Finds a Symbol: Wichita,” New York Times. August 4, 1991

[29] Molly Redden, “The War on Women is Over—And Women Lost,” Mother Jones, September/October 2015

[30] Von der Mitte bis zu Ende der 1990er Jahre erfuhr Kalifornien einige soziale Bewegungen, einschließlich Demos für Rechte der Immigrant*innen, Gegenwehr gegen die Ausweitung des Gefängnnissystems sowie große Demos zur Unterstützung von Mumia Abu Jamal. Allerdings wurden diese Bewegungen kleiner, gefolgt von den Protesten gegen die WTO (Welthandelsorganisation) 1999 in Seattle und ab 2002 rückte die Antikriegsbewegung in den Mittelpunkt.

[31] Eine der Hauptdiskussionen, die an Hochschulen geführt werden, dreht sich um die Verwendung von Triggerwarnungen. Siehe: Rani Neutill. “My trigger-warning disaster: “9 1/2 Weeks,” “The Wire” and how coddled young radicals got discomfort all wrong,” Salon, Oct. 28, 2015

[32] Redden, “The War on Women Is Over—and Women Lost,” Mother Jones.

[33] Chris Dixon, Another Politics: Talking Across Today’s Transformative Movements (Berkeley: University of California Press Books, 2014).

[34] Strategische Bereiche sind Bereiche, denen Priorität eingeräumt wird. Siehe Endnote 20

[35] Patriarchaler Kapitalismus ist ein spezieller Begriff, der von La Alzada-Aktivist*innen verwendet wird um eine strategisch sich bildende Diskussion zu erzwingen, die Kapitalismus und Patriarchat als verflochtene Systeme und keine abgestuften analysiert.

[36] Wir stellen zwei politische Begriffe vor, die an verschiedenen Orten verwendet werden. „Intersektionalität“ wird in den USA und Großbritannien verwendet. „Intersektoralität“ (oder „Multisektoralität“) wird in Chile verwendet. Intersektionalität bezeichnet eine Analyse, die Identität, „race“ und Klasse einschließt. Multisektoralität beinhaltet diese Aspekte, aber setzt die Betonung der Sektoren (Arbeit, Gebiet, Studierendenbewegung) als Grundlage für politische Aktion, die den Aufbau sozialer Bewegungen verstärkt.