Titel: Freiheit
AutorIn: Aufruhr
Datum: November 2012
Bemerkungen: Veröffentlicht in "Aufruhr - Anarchistisches Blatt", Zürich, Nummer 1, Jahr 1;

Wir sind für die Freiheit, wie es viele, wenn nicht praktisch alle sind. Aber dann, wenn unsere Gesellschaft doch behauptet, auf dem Prinzip der Freiheit zu basieren, wieso befinden wir uns in Konflikt mit ihr und werden wir es immer sein?

Dieser Konflikt, der übrigens schon seit immer und in unterschiedlichen Formen existierte, geht aus einer radikal verschiedenen Auffassung der Bedeutung von Freiheit hervor; ein Wort, das schon immer für Verwirrung gesorgt hat, da es im Verlauf der Geschichte und je nach sozialem Kontext und je nach den Personen, die es gebrauchten, unterschiedliche Bedeutungen annahm.

Wenn wir einen Blick auf die Vergangenheit werfen, können wir sehen, wie die Freiheit in der Antike, in den griechischen und römischen Gesellschaften, für einen Teil der Bevölkerung dem Konzept des Bürgers (der Polis oder der Republik) entsprach. Ein Mensch, der als frei betrachtet wurde, war ein Mensch, der sich am politischen Leben der Gesellschaft beteiligte; indem er beispielsweise in der griechischen Polis, welche die Inspirationsquelle unserer modernen Demokratie ist, an den Versammlungen teilnahm, die nach einem System von direkter Demokratie funktionierten, um über das Schicksal seiner Stadt zu entscheiden. Der freie Mensch brauchte daher, um existieren zu können, sein Gegenteil: den Sklaven, ein Individuum, das, da es nicht als ein menschliches Wesen betrachtet wurde, nicht über sein eigenes Leben entscheiden konnte, und das die Bürger durch seine Arbeit von der notwendigen Zeit befreite, um „Politik zu machen“. Für einen anderen Teil der Gesellschaft, jenen der Sklaven, nahm die Freiheit hingegen eine andere Bedeutung an. Diese bestand nicht darin, Bürger zu werden, sondern bestand in der Negierung der eigenen Bedingung als Sklave, eine Negierung, die auch die Negierung der Bedingung des Bürgers implizierte; sie bestand darin, die Fähigkeit wiederzuerlangen, über das eigene Leben entscheiden zu können. Diese beiden einander entgegenstehenden Auffassungen von Freiheit liegen den Sklavenaufständen zugrunde, die besonders die römische Epoche gekennzeichnet haben, in der für die Sklaven der einzige Weg, ihre eigene Bedingung zu negieren, in der Flucht oder in der offenen Rebellion gegen die Gesellschaft bestand, indem sie die Waffen aufnahmen.

Heutzutage, auch wenn sich sicherlich vieles verändert hat, stehen wir vor demselben Dilemma: auf der einen Seite wird die Bedeutung von Freiheit innerhalb unserer Gesellschaft definiert als begrenzte Möglichkeiten, die von der Gesellschaft selbst durch allgemeine Gesetze oder eine gemeinsame Moral garantiert werden. Möglichkeiten, die, wie man leicht erkennen kann, von unserer Stellung innerhalb der Gesellschaft (wirtschaftliche Lage, „Prestige“,…) abhängen, und die sich folglich sowohl mit der Verfügbarkeit von Geld, wie mit unserem sozialen Status vermehren: wer reicher ist, hat mehr mögliche (materielle, kulturelle und vergnügungsbezogene) Auswahl vor sich, als derjenige, der nichts besitzt, und zum Überleben und zur Abwesenheit einer wirklichen Wahl verurteilt wird. Wer sein Elend nicht akzeptiert und sich gegen diesen Zustand auflehnt, wird isoliert und weggesperrt. Die „Freiheit“ einiger bedeutet also die Abwesenheit von Freiheit und die Ausbeutung der anderen.

Auf der anderen Seite hingegen haben wir die Freiheit, von der wir Anarchisten sprechen, die etwas ganz anderes ist. Es handelt sich nicht um eine Vergrösserung der möglichen Auswahl, sondern im Gegenteil, um den Ausdruck aller Möglichkeiten, verschiedener Möglichkeiten, die sich durch die anderen Menschen eröffnen können. Es handelt sich also um ein absolutes, und nicht um ein quantifizierbares Konzept, um eine Totalität, oder in einfachen Worten: man ist entweder frei, oder man ist es nicht. Man kann nicht mehr oder weniger frei sein, ebenso, wie eine längere Kette für einen Sklaven nicht bedeuten kann, weniger Sklave zu sein. Unsere Freiheit ist also etwas, das nicht innerhalb von verallgemeinerbaren Gesetzen und Regeln eingegrenzt werden kann, sondern etwas, das aus der freien Übereinkunft zwischen Individuen entsteht.

Wie leicht zu erkennen ist, kann eine solche Freiheit nicht existieren, ohne die Welt, in der wir täglich leben, infrage zu stellen und mit ihr zusammenzuprallen. Dies ist eine Feststellung, die schon vor mehr als 2000 Jahren Spartakus und seine Abenteuergefährten machten, als sie sich gegen die römische Republik auflehnten. Eine Lektion der Vergangenheit, die uns vielleicht auch heute noch etwas lernen kann…