Titel: Im Rauch des Feuers
Untertitel: Notizen und Gedanken über den Aufstand
Datum: November 2014
Quelle: Entnommen aus "Die Erstürmung des Horizonts, Nr. 1, ohne Ort, November 2014, S. 5-14.
Bemerkungen: Text anonym erstveröffentlicht in Die Erstürmung des Horizonts.

Viele Anarchisten oder Revolutionäre haben sich vom Aufstand (aus einer anarchistischen Perspektive) und von aufständischen Methoden verabschiedet - besonders in diesen Breitengraden. Die Einen haben den Aufstand durch die Politik ersetzt. Diese Revolutionäre können wir getrost als Politiker bezeichnen; denn, ob die Politik „revolutionär“ oder „anarchistisch“ ist, sie bleibt immer Politik, also die Feindin der Freiheit (und sie verbirgt mit dem Adjektiv die Illusion von einer möglichen Subversion). Andere sprechen vom kommenden Aufstand, von revolutionären und nicht-revolutionären Zeiten – von einem wartenden Aufstand oder einem Aufstand nach der Katastrophe. Einem Aufstand, der auf das Außerhalb eines Selbst oder in ein Jenseits projektiert wird und jegliche Dynamik dem Aufstand als Methode und Individualität dem Aufständischen entreißt. Dies ist aber auch ein Aufstand der jeglicher Zerstörungskraft beraubt worden ist – im Sinne von der Kraft und Möglichkeit jeglicher Macht zu zerstören – weil er sich in der Logik der Macht wieder findet.


Einhergehend mit dem Verschwinden des Aufstandes aus einer anarchistischen Perspektive im heutigen anarchistischen Milieus, verschwinden auch die Fragen und Diskussionen über den Aufstand unter den heutigen Anarchisten und Anarchistinnen. Denn welche Notwendigkeit hat es für diejenigen Anarchisten über aufständische Methoden zu reden, wenn diese die Notwendigkeit, in dem Bündeln von Massen in formellen Organisationen sehen; wenn Anarchisten der Annahme sind, dass der Aufstand sowieso eintritt, es nur eine Frage der Zeit ist, dann erübrigt sich die Frage von aufständischen Methoden. Der Aufstand spielt heute für Anarchisten keine Rolle mehr, nicht, weil der Aufstand (aus einer anarchistischen Analyse heraus) nicht mehr adäquat ist, sondern, weil die heutigen Anarchisten sich den Regeln des Bestehenden angepasst haben und so ihre Methoden wählen – dies ist ein großer und wichtiger Unterschied! Deshalb stellen sich die Fragen über den Aufstand nicht mehr für die Anarchisten, die „am Tisch mitspielen“. Sie stellt sich für die Anarchisten, die sich nicht von der Politik blenden lassen, sich weigern in dem demokratischen Modell der Macht Platz zu nehmen, und sich nicht von einer deterministischen Illusion lähmen lassen. Es sind die Anarchisten, die in den Augen der Anarchisten, die mit der Macht „am Tisch sitzen“, stur und verrückt sind, weil sie entgegen aller Resignation und entgegen dem Zeitgeist noch immer von Aufstand hier und jetzt reden und mit aufständischen Methoden experimentieren.


Für diese Anarchisten und Anarchistinnen stellen sich Fragen über den Aufstand; Fragen nach aufständischen Methoden, wie anarchistische Impulse geben, Revolten und Aufstände ausweiten, einen Bruch mit dem Bestehenden im Aufstand vertiefen. Aber wählt man heute als Anarchist deshalb den (direkten) Aufstand, weil man sich von anderen Methoden abgrenzen will? Wenn das der Grund ist, klingt dann da nicht eine gewisse Verzweiflung heraus? Ja! Also warum wählt man den Aufstand, warum wählten in der Geschichte immer wieder Anarchisten diesen? Was bedeutet es heute von Aufstand zu reden und was bedeutet das Wort Aufstand heute?

Der Aufstand, den man vor Augen hat oder hierhin projektiert ist der aus fernen Ländern oder fast vergessenen Zeiten - eine romantische Vorstellung von Aufstand. Durch das Internet, Fernsehen, Zeitschriften oder Erzählungen dringt ein Hauch von Aufstand zu uns, auf diesen Teil der Erde durch. Die Berichte aus anderen Ländern, wo Revolten entstehen und Aufstände sich ausbreiten, lassen die Herzen von Anarchisten aufflammen, aber wie schafft man es diese Brände auch hier, dort wo man sich selbst befindet, zu legen und auszubreiten? Die Frage nach und um dem Aufstand entpuppt sich spätestens in ihrer Gesamtheit, als eine schwierig und komplexe Frage und um diese (meiner Meinung nach, befriedigend) zu beantworten verlangt es eine tiefer gehende Analyse.


Dieser Text soll eine Anregung sein, die Analyse über und um den Aufstand zu vertiefen und neue Gedanken für eine aufständische Praxis zu diskutieren und experimentieren. Die Schlüsse aus der Analyse der Realität - den sozialen Spannungen - sind an jedem Ort anders, und so sollte auch die aufständische Methode an die jeweilige Realität angepasst sein. Das heißt auch, sich Gedanken darüber zu machen, verschiedene Kämpfe zu verschärfen und Andere vielleicht loszulassen, weil sie sich nicht mehr auf dem (potenziellen) fruchtbaren Terrain des sozialen Krieges befinden, also dort wo man jegliche Macht zerstören kann. Die aufständische Methode an dem Hier und Jetzt festzumachen, bedeutet auch, sich gegen Programme und Ideologien zu wehren, gerade gegen solche Ideologien und Programme, die als aufständisch/insurrektionalistisch oder anarchistisch betitelt werden. Kurz: Dieser Text ist eine Auseinandersetzung und einige Gedanken über den Aufstand, mit der Intention, den Aufstand als anarchistische Methode wieder zu schärfen und dies ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn man den Aufstand in und mit der Realität bewaffnet.

Das Wort das manchmal aus unseren Mündern kommt

Das Wort „Aufstand“ ist entwaffnet worden, es verirrt sich nur noch manchmal in diverse Münder. Aufstand ist heute lediglich ein Begriff für ein konkretes Ereignis. Das Wort beschreibt eine Situation und nicht eine Gelegenheit für eine Subversion – etwas abgeschlossenes und nicht der Beginn von etwas. Das Wort beschränkt sich auf das Passierende, nicht auf das, was möglich ist, mit dem Unmöglichen vor Augen. Das meine ich damit, wenn ich sage, das Wort Aufstand wurde entwaffnet. Die Macht schaffte es sogar den Anarchisten das Wort zu rauben und entleert wieder in den Mund zu legen. Nicht Allen, denn an manchen Teilen der Erde wurde das Wort wieder, unter anderem von Anarchisten, in der Praxis gefüllt – der Aufstand als Wort geschärft. Aber stimmt es nicht, dass wir, die heutigen Anarchisten und Anarchistinnen, selbst nicht genau wissen, was wir meinen, wenn wir von Aufstand reden? Das Wort, zu dem wir mit solch einer Intensität aufrufen. Das Wort, in das wir soviel herein interpretieren und verwenden, um das zu beschreiben und Anderen zu erklären, was wir wollen. Ein Wort, das von solcher Wichtigkeit für uns Anarchisten und Anarchistinnen zu sein scheint. Die Frage nach dem Wort Aufstand, lässt einen erröten, sofern man sich nicht der Fülle an Ideen aus der Geschichte oder einem weit entfernten Teil der Erde bedient. Und zeigt dies nicht die Schwäche der heutigen Anarchisten, unsere gegenwärtige Schwäche? Wie können Menschen außerhalb des anarchistischen Milieus das verstehen, was wir Anarchisten sagen, wenn wir selbst nicht wissen, was das Wort bedeutet, das manchmal aus unseren Mündern kommt? Darum geht es mir, um die Schärfung des Wortes „Aufstand“, damit es nicht nur ein Wort bleibt, sondern ein Wort wird, das man subversiv füllen kann und das Wort alleine, dann auf eine gewisse Weise einen Angriff gegen die Macht darstellt.

Die Füllung (oder Wiederfüllung) von Wörtern erachte ich als wichtig und notwendig. Einerseits, um seine Gedanken mit seinem Handeln zu verknüpfen und so klarer zu machen, sprich die Theorie und Praxis stärker zu verbinden. Anderseits, um subversive Texte aus dem anarchistischen Milieu zu verbreiten, ohne, dass sie ihre Wirkungskraft oder eben Subversion verlieren. Worte füllen heißt auch, dass sich vermeintliche Komplizen, Gefährten oder Kameradinnen nicht mehr hinter Worten verstecken können.


Ich mache hier eine Klammer und eine andere, aber damit zusammenhängende Diskussion auf. Im deutschsprachigem anarchistischen Milieu wird häufig „Insurrektion“ als Synonym von Aufstand verwendet. Was hat das für einen Zweck? Sich vom herkömmlichen Aufstandsbegriff zu distanzieren, weil dieser von Menschen oder Gruppen verwendet wurde oder wird, in dessen Aufstandsbegriff man sich nicht wiederfindet? Vielleicht liegt es auch daran, dass durch Übersetzungen aus dem italienischen, englischen oder französischen das Wort „insurrection“ oder „insurrezione“, einfach mit dem nahe liegenden Wort Insurrektion übersetzt wurde und sich so in den Sprach- und Schreibgebrauch deutschsprachiger Anarchisten eingenistet hat. Aber ich frage mich dennoch, was der Sinn ist, einen eigenen Aufstandsbegriff zu verwenden? Um einen anarchistischen Aufstand zu kennzeichnen? Wenn es der Grund ist, dass das Wort „Insurrektion“ schöner und poetischer klingt, dann kann ich das verstehen, weil ich dies auch finde. „Insurrektion“ hat auch einen Hauch von Nostalgie, was dazu passen würde, weil wenn man von Insurrektion spricht, sich dann meistens auf Erfahrungen aus Büchern aus längst vergangener Zeiten beschränkt, ein Träumen, nein ein Nachtrauern einer vergangenen turbulenter Zeit, einer Zeit wo Anarchisten wussten, was sie meinten und auf was sie sich einlassen, wenn sie von Aufstand sprachen. Mit der Verwendung dieses alten Begriffes oder der Aneignung dieses Begriffes, verschwindet bei mir nicht das unwohle Gefühl, durch die Verwendung des Wortes „Insurrektion“ eine Speziallistenrolle einzunehmen. Wörter aus den Klauen der Macht zu reißen und sie wieder zu schleifen, finde ich gut und wichtig - Worte sich wieder anzueignen, die das Unbeschreibliche beschreiben können, weil sie einmal mit Subversion gefüllt worden sind. Gerade, weil die Macht versucht Wörter abzustumpfen und zu leeren, damit sie nicht mehr als scharfe und stechende Waffen dienen. Aber bei dem Wort „Insurrektion“ scheint es mir nicht, dass es um eine Aneignung geht. Es wäre besser unter Komplizen und Kameraden zu diskutieren, was Aufstand (also auch das Wort Aufstand) heute bedeutet, und für uns selbst als Anarchisten und Revolutionäre bedeutet, als sich zu einem „neuen“ Begriff zu flüchten, z.B. weil das benutzte Wort von Menschen verwendet worden ist, die nicht vom gleichen Aufstand reden wie man selbst, und anstelle sich mit dem Wort Aufstand oder Insurrektion zu beschäftigen, was das bedeutet und damit auseinander zusetzen , um sich die Frage zustellen, warum Menschen, die etwas ganz Anderes meinen wie man selbst, diesen Begriff verwenden. Ich bleibe dabei, für mich beinhaltet alleine das Wort Aufstand einen Angriff gegen die Macht, gegen jegliches Programm, Warten und Kontrolle. Insurrektion klingt ästhetisch, lädt zum Träumen ein, hat was von Poesie; Aufstand klingt wild, direkt und zerstörerisch und das kommt dem näher, was ich mit Aufstand oder Insurrektion meine. Dies soll keine Verabschiedung von dem Begriff „Insurrektion“ sein oder gar ein Schlussstrich unter diese Debatte setzen, im Gegenteil, dies soll Diskussionen öffnen, die wie ich glaube sehr interessant werden können und uns heutige Anarchisten über die Bedeutung von Aufstand oder Insurrektion gegenseitig klar werden lassen könnte.

Eine antagonistische und zeitlose Methode

Der Aufstand war schon immer ein elementarer Teil des Anarchismus und Methode der Anarchisten, denkt man nur an das 19. Jahrhundert oder an die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Aber durch die Zeit hindurch, sowie durch die Umgestaltung des Staates und des Kapitals in eine demokratische Herrschaft, verschwand die Revolte und der Aufstand immer mehr aus dem anarchistischen Milieu. Dies soll nicht bedeuten, dass, weil der Aufstand schon immer ein Teil des Anarchismus war, man deshalb heute an der Revolte und dem Aufstand festhalten soll. Sondern es geht darum, sich zu fragen und heraus zuarbeiten, welche Möglichkeiten der Aufstand konkret hier und jetzt einem anarchistischen Kampf und Perspektive bietet - ob der Aufstand schon immer ein adäquates Mittel war und sein wird, weil er von der Macht nicht kontrollierbar ist und unabhängig von der Zeit sich gegen jede Herrschaft wendet, sprich, der Logik der Macht entflieht?


Unkontrollierbare revoltierende Individuen und aufständische Massen stellten seit jeher für jede Herrschaft eine große Gefahr dar. Es zeigte sich für die jeweiligen Herrschenden, dass das „bloße“ militärische Vorgehen gegen innere Unruhen und Revolten als schwieriger herausstellte, als gegen äußere Feinde.[1] Die einzelnen Aufständischen konnten getötet werden, aber der Aufstand (der eben auch von Anarchisten als Vorschlag verbreitet wurde) verschwand nicht aus den Köpfen der Menschen. Die Zerschlagung des Aufstandes - da er ein soziales Ereignis ist -, erwies sich alleine mit den alten Mitteln der Herrschaft als schwierig. Die alte, exklusive, Herrschaft wurde durch eine integrative Herrschaft ersetzt, die einen Dialog mit den Revoltierenden einging und diese versuchte zu verschlingen, um sie so zu befriedigen. Dies zeigt sich deutlich in der Industrialisierung am Anfang und in der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem letzten Kapitel des Aufkommen des modernen Kapitalismus. Das Kapital konnte sich durch die Veränderung der Arbeit mit Hilfe der Maschinen, sowie Fabriken, weiter ausbreiten und verstärkt in das Leben von Menschen eingreifen. Von der Umstrukturierung waren besonders Heimgewerbearbeiter betroffen, welche anfingen zu rebellieren und die offensichtlichsten Strukturen und Objekte der neuen aufkommenden Macht zerstörten. Die sogenannten Maschinenstürmer, Menschen die Fabriken in Brand setzten oder in Fabriken einbrachen und diese zerstörten, stellten eine große Gefahr für den Staat und das Kapital dar. Die Maschinenstürmer und vor allem die Ludditen, die Maschinenstürmer in England, hatten ein revolutionäres Potential, da sie unkontrollierbar waren und sich nicht von der Macht vereinnahmen ließen. Die Ausgeschlossenen, was die Maschinenstürmer waren, waren getrennt von den kapitalistischen „Freiheiten“ und sahen die neuen Produkte, sowie die neuen Gebäude, als feindlich. Die Zerstörung von Maschinen und Fabriken hatte keinen Einfluss auf die Leben der Heimarbeiter, weil die Maschinen und Fabriken von deren Leben getrennt waren, die Zerstörung von Maschinen war ausschließlich ein Angriff auf die Herrschenden und deren Nacheifernden. Die Maschinenstürmer verschwanden spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts, denn die Menschen wurden in die neue Gesellschaft und das Fabriksystem integriert, und die Fabrik und die Maschinen waren nicht mehr Gegner von einem Selbst, sondern man war selbst Teil des Fabriksystems geworden. Die Fabriken waren keiner Feindseligkeit in dem Ausmaß mehr ausgesetzt, sondern, wenn überhaupt, einer Kritik. Die Vertreter der Arbeiter(-bewegung) kritisierten allenfalls die Fabrik in den Händen der Kapitalisten und sahen nicht die Logik der Macht, die sich in der Architektur, sowie dem sozialen Ausmaß der Fabrik, deutlich macht.

Dieses Beispiel der Logik der Macht und der Integration Revoltierender, ist nur ein Beispiel von vielen. Genauso lässt sich dies z.B. im Kolonialismus sehen. Aufständische wurden in das integriert gegen was sie rebellierten, ob es Fabriken waren, Regierung, Rechte (die Erlangung des Status des Bürgers), etc. Die Herrschaft ging nicht mehr an erster Stelle mit aller Härte gegen seine Gegner an, sondern verschlang sie, und gegen die wenigen Gegner, diejenigen, die die Logik der Macht erahnten und die Macht nicht verschlingen konnte, konnte die Herrschaft mit aller Härte vorgehen. Aber wichtiger für Anarchisten (und für diese Diskussion auf die ich hinaus möchte) ist, dass die Macht sich verewigte, indem sie ihre Logik verbreitete und von den ehemals Aufständischen und Revolutionären aufgesaugt wurde. Es war ein Meisterschachzug der Macht sich von der offenen Konfrontation, repressiver und ausschließender Herrschaft zu entfernen, sprich, nicht mehr die Konfrontation, sondern die Befriedung zu suchen.

Die Logik der Macht ist es alle Kritik und Feindlichkeit aufzusaugen, und so ihre Mittel und Werkzeuge zu verbreiten, die keine Gefahr mehr für sie darstellen kann, weil die Mittel und Werkzeuge auf der Macht aufbauen egal wer sie benutzt. Durch den Fortschritt (Technologisierung, Demokratisierung, Globalisierung, etc.) strebten nicht nur die Unterdrückten, sondern sowohl die Rebellierenden und die Revolutionäre, die Erlangung der kapitalistischen „Freiheit“ im Staat oder der Erlangung der Macht an.

Es wurde versucht den Aufstand und die Revolte aus den Köpfen zu löschen, ihn aus den Straßen, wo er sich zusammen brodeln könnte, zu kehren, also auch aus dem anarchistischen Milieu zu verbannen. Der Aufstand, sowie mit diesem zusammenhängend, die Zerstörung jeglicher Macht, wurde durch Mittel und Methoden der Macht ersetzt, die vielleicht für die jeweiligen Machthaber oder vielleicht sogar für einzelne Herrschaftsformen gefährlich sein konnte, aber nicht für jede Herrschaft, jede Autorität, jede Macht. War die Revolte und der Aufstand früher ein adäquates, aber dennoch unsicheres Mittel für Autoritäre – für diejenigen, die Macht erlangen wollten – öffnete sich nun durch die demokratische Macht, neue und einfachere, aber auch sichere, Türen diese zu erlangen (z.B. Machterlangung durch Wahlen), und viele Anarchisten und Revolutionäre sahen auch diese neue Tür als interessant an und gingen durch die gleiche Tür wie die Machtliebhaber.


Nicht mehr von Revolte und Aufstand zu reden, heißt die Politik intakt zu lassen. Von Aufstand zu reden und in der Logik der Macht zu bleiben, heißt von militärischer Avantgarde, von dem Duell Anarchisten vs. Staat oder Übergangsphasen zu reden. Es geht nicht darum ein Werkzeug oder Mittel nicht zu benutzen, weil die Feinde es benutzen, sondern Werkzeuge und Mittel abzulehnen, weil sie die Logik der Macht beinhalten; Werkzeuge zu unterscheiden, welche die Macht zerstören können und welche auf ihr aufbauen oder sie sogar vollkommen brauchen um zu funktionieren. Aus diesem Grund geht es darum Werkzeuge und Mittel zu finden und mit ihnen zu experimentieren, die dieser Logik der Macht entfliehen oder von ihr nicht vollkommen einnehmbar sind, sprich: die auf die Zerstörung jeglicher Macht abzielen können; Werkzeuge und Mittel die gegen jede Herrschaft angewendet werden können, egal ob die Herrschaft demokratisch, sozialistisch, faschistisch oder sonst wie ist.


Der Aufstand ist ein Mittel, das in Feindschaft gegenüber jeglicher Herrschaft und unabhängig von der Zeit angewendet wurde, dies macht den Aufstand zu einem zeitlosen Mittel. Der Aufstand ist nicht abhängig von der Zeit, er bietet immer die Möglichkeit die Herrschaft aus ihren Wurzeln zu reißen, egal welche Zeit es ist und welche Form die Herrschaft hat. Dies ist ein Grund, warum der Aufstand immer ein elementarer Teil des Anarchismus war und ist. Versteht man den Aufstand nicht bloß als ein Moment, dann ist dieser immer hier und jetzt möglich. Ist ein anarchistischer Kampf ein Kampf für und im Hier und Jetzt, dann ist das anarchistische Projekt, eines das in dem Aufstand aufgeht. Der Aufstand stellt sich gegen die Zeit, gegen das Warten, für das Jetzt und Hier.

Von Isolation und Komplizenschaft

Historisch betrachtet ist der Aufstand ein Moment in dem alles Bestehende in Frage gestellt wird und somit psychisch und physisch angreifbar wird. Er war und ist noch immer die größte Gefahr für jeden Macht, weil er alles in Frage stellt und den sozialen Frieden, der so elementar für das Bestehende ist, gefährdet. Der Aufstand bietet die Möglichkeit der Macht den Boden unter den Füssen weg zu reißen – da der Aufstand ein soziales Ereignis und die Macht ein soziales Verhältnis ist – und die Freiheit spürbar zu machen, bzw. frei zu sein. Aber der Aufstand ist nicht bloß ein Moment, sondern eine Herangehensweise an die Realität, in der man in der Explosion, aber auch in dem aufständischen Projekt experimentieren kann.[2] Dies bedeutet auch, dass der Aufstand nicht nur ein kollektiver Moment ist, in dem man gemeinsam rebelliert, sondern zuallererst ein individueller Ausdruck ist – eine individuelle Revolte. Dennoch bleibt der Aufstand gerade ein soziales Ereignis, er nimmt seinen Ausgangspunkt beim Individuum und entfaltet sich im Zusammenspiel mit anderen Aufständischen. Fehlt entweder der individuelle Drang zu revoltieren oder der kollektive fruchtbare Boden zu einem Aufstand, bleibt die Revolte oder der Aufstand bloß eine (individuelle oder kollektive) Empörung, fehlt Beides ist es ein Spektakel. Wenn ein Aufstand einen radikalen Bruch mit dem Bestehenden ist, dann kann nach einem Aufstand nicht wieder alles so wie vorher weitergehen oder sein. Der Aufstand ist kein plötzlich aus dem Nichts auftauchendes Ereignis, sondern unter anderem ein Methode eines Individuums, das sein Leben in die Hand nimmt, das sich entschlossen hat und sich durch den Aufstand entfalten kann und seine Komplizen in der Praxis findet.


Die Herrschaft von Staat und Kapital versucht die Revoltierenden oder potentiell Rebellierenden zu isolieren, und gerade von einander zu trennen. Wenn keine Aufstände stattfinden oder ausbrechen, dann hat der Punkt der Isolation auf jeden Fall einen Einfluss darauf. Die Isolierung scheint hier die individuelle und kollektive Ebene zu trennen. Denn passiert eine individuelle Tat isoliert, gibt es keinen Boden auf den sie fallen kann. Wenn Revolten sich ausbreiten sollen, dann müssen sie die Isolation überwinden. Die Frage der Zerstörung der Isolierung ist eine sehr wichtige Frage, wenn wir als Anarchisten Aufstände generalisieren möchten und sie ist eine Frage, die wir uns immer wieder neu stellen müssen, gerade mit dem Voranschreiten des technologischen Albtraums.

Ohne dieser Frage ihre Dringlichkeit und Wichtigkeit zu nehmen, möchte ich auf einen anderen, mit diesem Thema zusammenhängenden, Punkt eingehen. Den Irrtum, dass alleine Handeln und isoliert Handeln, das gleiche ist. Dieser Trugschluss ist im anarchistischen Milieu, geschweige in linken und aktivistischen Kreisen, nicht gerade gering verbreitet. Dieser verhindert eine Affinität, die subversiv, sowie dynamisch sein kann. Alleiniges revolutionäres Handeln, bleibt nicht alleine, sondern verlässt bewusst die Einsamkeit in der Praxis, durch das Zusammentreffen von Individuen, in denen man sich wieder erkennt – das Handeln hat keine Grenzen oder festen Rahmen und geht von dem Individuum aus. Ein isoliertes Handeln, was nicht zwangsläufig alleine sein muss, denn es kann auch ein isoliertes Handeln von mehreren Menschen geben, hat seine Grenzen innerhalb des (isolierten) Rahmens. Aus dem Grund, dass viele Anarchisten oder Revolutionäre, die Einsamkeit und Isolation gleichsetzen, überträgt sich die Furcht isoliert zu handeln, auf das alleine zu handeln. Ich denke es ist wichtig zwischen der Angst vor der Einsamkeit und der Furcht vor der Isolation zu unterscheiden. Die Angst vor der Einsamkeit treibt viele dazu sich in Gruppen oder Beziehungen, aber auch in Themen (mit denen sich viele oder einige beschäftigen), oder in Orte, Städte oder Gebäude (soziale/autonome Zentren) zu flüchten, um nicht alleine dazustehen und zu kämpfen. Mit der Furcht vor der Einsamkeit findet man immer irgendeinen Grund, was man mit der anderen Person oder Menschen(-gruppen) gemeinsam hat, wenn man von der Basis ausgeht eine Gemeinsamkeit finden zu müssen. Die Individualität, das einzigartige Selbst findet sich unterdrückt wieder. Die Furcht vor dem Alleine-sein drängt, sie drängt so stark, dass man sich Synthesen hingibt, Synthesen in denen man sein Ich verliert, seine Individualität, seine Einzigartigkeit aufgibt, aber in denen auch einer Masse, einer Masse von Individuen, ihre Dynamik gestohlen wird und die zu einem gleichförmigen Klumpen verkommt. Durch diesen Irrtum und die Furcht vor der Einsamkeit entfremdet man sich von sich selbst, von Anderen, von der Realität und gerade der Möglichkeit soziale Spannungen zu vertiefen und Revolten auszubreiten. Die Isolation hindert ein Ausbreiten von Revolten, aber wir müssen Wege suchen die Isolation zu zerstören und uns nicht in Sachen, Gruppen oder Orte flüchten, um dieser Isolation vermeintlich zu entfliehen, sondern dieser hässliche Welt – die uns isoliert – ins Auge blicken.


Ein Schritt der Isolation zu trotzen, ist es sicherlich aus seinem anarchistischen Versteck heraus zu kommen. Ich meine nicht unbedingt damit, sich körperlich zeigen, sondern eher seine Leidenschaft, Verlangen oder Wut nicht zu verstecken, sobald man seine Wohnung oder seinen anarchistischen Kreis verlässt. Dies eröffnet Kommunikationsmöglichkeiten, die die Isolation verkrüppeln lassen können – Kommunikation, die direkt ist, ob sie über Geschriebenes, Gesagtes oder Handelndes fungiert. Denn es sind nicht nur Anarchisten und Anarchistinnen, die in Konflikt mit dem Staat und seinen Dienern stehen, sondern auch Andere. Es ist klar, dass die Kommunikation nicht zwangsläufig und sofort die Isolation zerstört, dies ist von der Praxis abhängig, sie ermöglicht es aber diese Zerstörung zu vertiefen und mit Kommunikationsmöglichkeiten zu experimentieren. Die Kommunikation hilft (soziale) Spannungen zu analysieren und besser für einen anarchistischen Kampf greifbar zu machen und somit die Revolte nicht zu konstruieren, die dann Gefahr läuft isoliert zu sein, sondern Punkte aufzuzeigen, wo anarchistische Impulse eine potentielle Revolte verstärken und in Richtung eines Bruches mit dem Bestehenden drängen können.[3]

Kein erlösendes Tor, sondern unbekannte Wege

Wenn man sich die Frage stellt, wie zum Aufstand gelangen, dann klingt die Antwort auf diese Frage als Schlüssel oder Medikament gegen alles Übel und Schädliche dieser Welt. Aber nein, dies ist der Aufstand nicht und soll er auch nicht sein. Er soll nicht eine Insel sein, wohin man sich rettet, sondern ist der Beginn des Ganzen, der Beginn eines freien Lebens, in dem wir mit dem Leben frei und ohne Herrschaft experimentieren können und die Erfahrungen des Auflehnens nicht vergessen und ein Aufkommen der Macht (ob formell oder informell) immer wieder zerschlagen. Es geht auch nicht darum einen universellen Plan oder einzigen und richtigen Weg gemeinsam zu bilden, der zum Aufstand führt, denn der Aufstand ist keine Mathematik, gibt keine Garantie, weder der Aufstand selbst, noch der aufständische Weg. Wenn der Aufstand keine Garantie gibt, heißt das nicht, dass der Aufstand oder das aufständische Projekt kein Ziele haben soll, sondern, dass diese Ziele sich verändern können und nicht starr sind, das würde dann ein Kämpfen im Heutigen für das Morgige und im Morgigen für das Über-morgige bedeuten. Der Aufstand macht es nur möglich, dass das Bestehende umgestürzt wird und ist nicht eine Garantie für eine Zerschlagung jeglicher Macht. Das Ziel ist nicht der Aufstand an sich, sondern der Aufstand ermöglicht es mit dem Bestehenden zu brechen, alles in Frage zustellen und Komplizen zu finden, sowie die eigenen Feinde (auch diejenigen, die sich nun nicht mehr verstecken können) deutlich zu erkennen. Also ist dies auch ein unendlicher Kampf, ein Kampf für eine Freiheit, die sich in der Bewegung entfaltet und dort spürbar wird.


Der Aufstand ist ein unbekannter Weg und somit immer unterschiedlich, und so lange der Weg unbekannt ist, gibt es die Möglichkeit anarchistische Impulse in Richtung eines tiefer gehenden Bruches mit dem Bestehenden zu geben. Gibt es ein festes zu erreichendes Ziel oder wäre dieser Weg bekannt, dann schwindet meiner Meinung nach ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit einer sozialen Revolution im Aufstand und das Ufer der politischen Revolution nimmt Form an. Es gibt ein Ziel, was gefestigt wird und was erreicht werden muss, und nicht mehr der Aufstand mit seiner Unkontrollierbarkeit und Dynamik selbst steht im Mittelpunkt (in dem man sich selbst verwirklichen kann und experimentieren kann), sondern das bekannte Ziel oder der feste Weg (indem man sich diesem Weg oder Ziel unterordnet). Die Möglichkeit einen Bruch mit dem Bestehenden zu vertiefen verkrüppelt und die ganze Entfaltung, die der Aufstand ermöglicht, wird eingeschränkt und stirbt mit der Etablierung einer neuen Herrschaft. Dies ist auch ein Hauptunterschied zwischen dem Aufstand(-sbegriff) von Anarchisten und Kommunisten (und anderen Linken). Kommunisten sind damit beschäftigt, wie der Aufstand ablaufen soll und wie ein Leben „nachher“ aussehen kann. Der Aufstand ist dann nur eine Etappe zur der sogenannten befreiten Gesellschaft und der Aufstand gibt die Garantie. Aber Anarchie, ist nichts festes, ist kein erreichbares und dann endgültiges Ziel. Aus diesem Grund erübrigt es sich eigentlich von einem anarchistischen Aufstand zu sprechen und was hat das eigentlich für einen Sinn, einen bestimmten Aufstand als anarchistisch zu bezeichnen? Verbirgt sich in dieser Bezeichnung, nicht auch ein Wunsch nach einer Garantie oder sogar eine Garantie selbst? Die Garantie, dass der Aufstand schon gut für uns ausgehen wird, weil er anarchistisch ist. Das uns eine gewisse Sicherheit gibt, dass es sich lohnt sich an diesem Aufstand zu beteiligen. Dabei frage ich mich, entstammt nicht die Frage nach einer Garantie dieser Welt? Einer Welt, die uns von uns selbst, von Anderen, von unseren Träumen und Umgebung entfremdet. Pflegt nicht gerade diese Welt, den Wunsch nach dem erlösenden Tor, das so Viele immer wieder in die Arme der Macht laufen ließ und lässt? Dies ist eine Welt, die auf Garantien aufbaut, um uns aufzuopfern und uns selbst auszubeuten. Die Garantie verlagert die eigene Begierde auf Morgen und verkommt zur Hoffnung, sie macht das unerträgliche erträglicher, verschiebt das eigene Verlangen nach hinten, die Garantie lässt einen starr werden und die eigene Kraft vergessen und Illusionen aufblühen. Darum lassen wir die Garantie hinter uns und überlassen wir diese Frage den (religiösen, neoliberalen, linken,...) Pfarrern. Denn, es ist gerade die „Nicht-Garantie“, die das Unmögliche möglich und neue Horizonte sichtbar macht, die den Aufstand beleben, was ihn dynamisch und gefährlich für die Macht macht, und sich zugleich gegen etwas Beständiges und Dogmatisches wendet.


Nicht von einer Garantie oder Garantien auszugehen, heißt auch, den Aufstand als Experiment zu begreifen und nicht als Konstruktion. Der Aufstand wird in der Realität erfahren, bzw. die aufständischen Methoden experimentiert und das alte Prinzip von der linearen Entwicklung „Krawall-Aufstand-Revolution“ wird verworfen. Ich meine damit, dass die Subversion nicht eine Etappenarbeit ist, es also keine Garantien gibt. Ein Aufstand muss nicht zwangsläufig zu einer sozialen Revolution führen, sondern kann genauso in einer politischen Revolution verkommen. Zeigt nicht zuletzt die gegenwärtige Realität, dass dieses Prinzip tot ist (falls es jemals „gelebt“ hat). Dies führt einen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gegebenheiten (der gegenwärtigen sozialen Spannungen, der Form der Herrschaft und wo sich die Macht hier und jetzt befindet). Wenn es z.B. überall die gleich Zuspitzung von sozialen Spannungen gäbe, dann würde immer und überall eine Erschießung von einem Jugendlichen von Seiten der Bullen zu Unruhen führen. Von dort, der Verwerfung von jeder Garantie und Konstruktion geht der unbekannte Pfad los. Ein Pfad, wo man sich nicht auf eine Garantie oder Konstruktion stützt, sondern auf sich selbst und seine gegenwärtige Umgebung; wo man nicht einem Weg folgt und in die Arme einer neuen Macht läuft (derjenigen, die den Weg gepflastert hat).

Feuer im Inneren legen

Die staatliche Herrschaft und die kapitalistische Verwertungslogik hat sich über die ganze Welt ausgebreitet und somit haben sich auch die sozialen Spannungen generalisiert. Dies lässt die Vermutung nahe, dass sich Aufstände wie ein Lauffeuer verbreiten können. Aber zeigten nicht die Revolten und Aufstände in den letzten Jahren und auch die in der Geschichte, dass es doch Grenzen gibt, die nicht so leicht überrollt werden können? Die Revolten und Aufstände stießen an Grenzen, die von der Macht gesetzt worden sind, ob sie im Kopf oder aus Stacheldraht sind und die Revolten oder Aufstände blieben auf einen Teil der Erde beschränkt (ob es ein Land war, ein Stadtviertel, ein geographischer Raum). Als Beispiel die Aufstände in Maghreb und im Nahen Osten, wo sich Revolten und Aufstände in den verschiedenen Ländern ab 2010 ausbreiteten.[4] Das Feuer des Aufstandes breitete sich dort aus, weil sich die Menschen in den Menschen, die rebellierten, wieder erkannten. Die Grenzen des Aufstandes war dort, wo sich die Menschen von den Aufständischen abgrenzten oder sich nicht in den Kämpfen wieder erkannten. Dies lässt sich genauso für Unruhen in Stadtteilen erkennen, wie in Gefängnisrevolten oder Unruhen von marginalisierten Gruppen. Das Problem und die Frage der Verbindung von Kämpfen und Aufständen „außerhalb“ und „innerhalb“, um Unruhen oder Revolten auszuweiten, stellt sich immer wieder. Aber kann sich das Feuer von „Außen“ nicht nur weiterverbreiten, wenn es im „Inneren“ eine Feuerstelle gibt? Darum geht es, Feuer im Inneren zu legen, dort wo man sich befindet. Die Frage rund um den Aufstand muss sich an den unterschiedlichen Orten der Welt (geographischen Regionen, Ländern, Städte, Dörfern) anders stellen, ich meine damit, die Frage, wie Aufstände entstehen können, welche Faktoren, Ereignisse, sozialen Spannungen ein aufständisches Potenzial haben und somit der Bruch mit dem Bestehenden vertieft werden kann.


Feuer im Inneren zu legen, heißt nicht einen Kampf auf einem Teil der Erde isoliert zu betrachten oder seine Situation abseits von dem eines Anderen zu verstehen. Sondern, Feuer im Inneren zu legen heißt, einen kämpferischen, lebendigen und gefährlichen Internationalismus möglich zu machen und eine Zuschauerposition zu verlassen und Kämpfe über Grenzen, Mauern oder Gittern hinweg zu verknüpfen und so zu führen. Für Anarchisten geht es dann nicht mehr darum eine Unterstützerrolle einzunehmen, sondern die Elementen seines eigenen Kampfes mit dem der Anderen zu verbinden und so eine subversive Sprengkraft zu entwickeln. Die eigenen Kämpfe, die man führt, so tief zu führen, dass sie auf andere Kämpfe anwendbar und in einer gewissen Weise auf die ganze Gesellschaft übertragbar sind - wenn wir von Unterdrückung reden, dann kann die sich in Nuancen verändern, aber es muss verständlich sein, dass es um die Zerstörung jeglicher Unterdrückung geht, nicht um die jeweilige Nuance; wenn wir von Herrschaft reden, davon, dass wir diese zerstören möchten, dann muss klar sein, dass es egal ist welche Herrschaft dies ist.


Die Kritik an der gegebenen Situation (ob es sich um eine Kritik an Knästen, Wohnsituationen oder Flüchtlingspolitik handelt) muss so fundamental sein, dass sie keine Kritik mehr ist, sondern eine Feindlichkeit gegenüber dem Bestehenden und jeglicher Macht. Gerade, weil die demokratische Macht dem Staat die Möglichkeit gibt, jede Kritik, die an der Fassade kratzt, in sich aufzunehmen und so nicht nur die Kritik verpufft, sondern der Staat sich (mit Hilfe der Oppositionellen) reformieren kann. Diese Feindlichkeit zu vertiefen und auszuweiten bedeutet eine Kritik mit Subversion zu füllen, und dies lässt die Möglichkeit verstärken, dass sich die Flamme des Aufstandes generalisieren kann. Eine Feindlichkeit gegenüber einer Struktur, einem Mechanismus oder Gebäude, die für eine Macht nützlich oder unabdingbar ist, kann dann die (vermeintliche) Unterschiedlichkeit aufheben.[5] Zum Beispiel unterscheiden sich die Kämpfe von Gefangenen, Illegalen und Arbeitern bei einer bloßen Kritik in dem „Für“ (für bessere Verpflegung, Papiere oder höheren Lohn) und an wen oder was sich die Kritik wendet (Gefängnisdirektor, Regierung oder Chefs). Aber wenn die Kritik tiefer geht, dann wendet sich der Kampf von Gefangenen, Illegalen und Arbeitenden gegen diese Welt, die die Ausbeutung, Einteilung und Knäste möglich macht. Das heißt auch, dass die jeweiligen Rollen negiert werden müssen, damit sie sich untereinander als Individuen erkennen können. Sie revoltieren und kämpfen dann nicht mehr in der Rolle des Gefangenen, Illegale, Arbeiter, sondern als (unterdrückte) Individuen. Die Zurückweisung der Rolle, ob die des Arbeiters, der Frau, des Homosexuellen, des Schwarzen, Migranten, Studenten, etc. ist elementar für einen generalisierten Aufstand. Denn verbleibt ein Kampf oder eine Revolte innerhalb einer Rolle, setzt dieser sich bereits selbst die Grenzen und kratzt nur an der Oberfläche der Herrschaft, aber gelangt nicht zu der Wurzel, dort wo man sie töten kann. Als Beispiel wendet sich der radikalste Kampf von der Rolle „Frau“ gegen das Patriarchat, also gegen ein Symptom der Herrschaft, aber nicht gegen jegliche Herrschaft, gegen jegliche Herrschaft können „Frauen“ nur kämpfen, wenn sie die Rolle der Frau negieren und als Individuen den Kampf gegen das Patriarchat auf jede Herrschaft und Unterdrückung ausweiten.[6] Jede Rolle zu negieren heißt auch, nicht abhängig von der zugeteilten Rolle eine aktive oder passive Rolle im Kampf einzunehmen, sondern das „Innere“ und „Äußere“ zu verbinden und eine Stärke zusammen zu entwickeln, die sich nicht auf das Elend bezieht, sondern auf das Revoltieren.

Anarchistische Impulse

Der Aufstand ist unkontrollierbar und das macht ihn gerade nützlich für einen anarchistischen Kampf und eine anarchistische Perspektive. Das heißt auch, dass der Aufstand nicht von Anarchisten kontrollierbar ist. Der Aufstand ist in gewisser Weise ein Werkzeug, was heißen soll, dass der Aufstand auch von Anderen, der Freiheit feindlich Gegenüberstehenden, benutzt werden kann. Vielleicht ist der Begriff „Werkzeug“ ein wenig unpassend gewählt, denn ein herkömmliches Werkzeug erfüllt eine bestimmte Funktion. Aber dennoch, einen Hammer kann man benutzen um ein Haus zu bauen oder um es abzureißen und jeder kann ihn benutzen. Worauf ich hinaus möchte ist, der Aufstand ist nicht per se anarchistisch und nicht das alleinige Mittel, bzw. Werkzeug von Anarchisten. Der Aufstand hat für Anarchisten und anti-autoritäre Revolutionäre immer nur als Methode oder Mittel für die Subversion fungiert – zur Zerstörung der Macht – für Autoritäre als Mittel der Zerschlagung der einen Herrschaft, um sie durch eine Andere zu ersetzen – zur Erlangung der Macht. Und ruft doch gerade das Bröckeln der Machthaber und deren Sturz, neue Machtliebhaber auf den Plan, sich an deren Stelle zu stellen. In der Ukraine führten die Unruhen ab dem November 2013 dazu, dass der regierende Machthaber gestürzt wurde und spätestens ab dann, trotz der ständigen Präsenz und Beteiligung von Antiautoritären an den Protesten und Besetzungen, der Kampf zwischen sich um die Macht prügelnden unterschiedlichen Autoritären im Vordergrund stand und potentielle subversive Elemente, zumindest aus unser hiesigen Zuschauer-Perspektive, vereinnahmt oder gar erstickt wurden. Von dort ausgehend, dass der Aufstand nicht per se anarchistisch ist und eine Revolte nicht zwangsläufig subversive Elemente enthält, stellt sich die Frage, wie einen Aufstand in Richtung eines Bruches mit dem Bestehenden drängen und einer Subversion Luft geben, aber auch die Frage, welche Faktoren einen Aufstand in Richtung einer Subversion hindern und eher dazu führen, dass sich die Macht erneuert, z.B. dass der Aufstand eine politische Revolution wird.


Eine Revolte sprießt nicht einfach so aus jedem Boden, sondern entsteht auf einem Boden der durch Spannungen oder Konflikte eine Explosionskraft entwickelt hat. Der jeweilige Konflikt oder die jeweilige Spannung nimmt einen großen Platz (zumindest zum Anfang hin, und kann sich von dem aus entfernen oder ausweiten) in der Explosion ein, bzw. beeinflusst die Revolte. Nicht jeder Konflikt und nicht jede Spannung ist gleich, verschiedene eignen sich besser für Anarchisten diese mit Subversion zu füllen, solche, die die Herrschaft in Frage stellen können oder an ihrem Fundament rütteln (wie soziale Konflikte oder soziale Spannungen), andere weniger, da diese sich auf den Staat oder eine neue Macht beziehen. Konflikte und Spannungen führen in ihrer Explosion entweder zu einem sozialen Krieg oder zu einem Bürgerkrieg. Rassistische Unruhen zum Beispiel, bauen auf der Unterdrückung und Herrschaft auf und unter anderem auf der Rolleneinteilung der Macht, da sie die Rollen nicht in Frage stellen, sondern sich auf sie stützen und hier in dem Beispiel sich mit der Rolle vollkommenen identifizieren - eine rassistische Spannung nährt eher einen Bürgerkrieg als einen sozialen Krieg. Was ich sagen möchte ist, dass das Terrain des sozialen Krieges oder des Bürgerkrieges bereits in der Spannung oder Konflikt Form annehmen kann, ein Konflikt oder eine Spannung kann sozial, ethnisch, religiös, politisch, etc. sein (und dies ist nicht immer deutlich erkennbar oder unterscheidbar). Was nicht heißen soll, dass man nur an den Revolten und Aufständen teilnehmen soll, die man von Grund auf verfolgt, in ihnen gewirkt, oder analysiert hat, denn der Aufstand ist immer ein Feld zum experimentieren und darum ist es besser sich bewusst in ihn zu stürzen, statt am Schreibtisch sitzen zu bleiben und seine Erfahrungen aus den verstaubten Büchern zu ziehen und den Aufstand zu konstruieren. Es bedeutet nicht erst bei der Explosion anarchistische Impulse zu geben und Ideen zu verbreiten, sondern davor. Auch von einer ganz praktischen Ebene betrachtet, ist es viel einfacher und effektiver anarchistische Ideen zu verbreiten, wenn man mit den jeweiligen Menschen (aber auch mit den konkreten Konflikten) in Kontakt ist, ein Vertrauen aufgebaut hat, sich vom sehen kennt, etc., um sich so dem fruchtbaren Terrain für einen subversiven Bruch mit der Macht zu nähern.


Der Aufstand oder die Revolte muss mit anarchistischen Impulsen gefüllt werden, um zugleich die Etablierung einer neuen Herrschaft, neuen Autoritäten, neuer Gesetzen, neuer Macht bekämpfen zu können. Denn die Kraft einer Subversion in einem Aufstand verstärkt sich nicht durch die Zahl der beteiligten Anarchisten und Anarchistinnen, sondern ist davon abhängig in wieweit anarchistische Ideen sich verbreiten oder verbreitet haben. Die Ideen oder Ideenansätze können theoretisch erarbeitet werden, aber die vollkommene Sprengkraft dieser Ideen entwickeln sich in der konkreten gegebenen Situation, in individuellen oder kollektiven Handlungen, z.B. kann die Idee der Selbstorganisation über den ganzen Erdball verbreitet werden, aber sie entwickelt ihr subversives Potenzial im Handeln der jeweiligen Individuen (falls Selbstorganisation als ein Teil einer aufständischen Methode verstanden wird und nicht als Methode sich in das Bestehende zu integrieren). So ist auch der Aufstand, als Möglichkeit einer Subversion, eine Idee, die seine Sprengkraft im jeweiligen konkreten Handeln verstärkt (auch hier, falls der Aufstand als Methode betrachtet wird und nicht als Dogma oder Programm).

Ich rede von Impulsen, da diese auf eine Richtung abzielen: Die der Zerstörung der Macht (anarchistische Impulse) oder die des Aufbaus der Macht (autoritäre Impulse). Es heißt nicht, dass Anarchisten zwangsläufig immer anarchistische Impulse geben (das Versteck hinter Begriffen hat schon zu Vielen ein Alibi gegeben). Anarchistische Impulse zielen auf die Zerstörung der Macht ab, also nicht auf eine Zwischenlösung oder eine „anarchistische“ Macht, sondern beinhalten die Herrschaftsfeindlichkeit, Selbstorganisation und anarchistische Perspektive bereits in dem Impuls. Anarchistische Impulse sind ein Zusammenspiel von Absender, Empfänger und Realität, darum können diese ebenso gut im Sande verlaufen, als Herzen entflammen; anarchistischen Impulse sind abhängig von dem Boden auf dem sie landen und sind nur in Kombination explosiv. Treffen anarchistische Impulse auf einen fruchtbaren Boden, dann werden diese verstanden und entwickeln so eine Sprengkraft. Ich versuche dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Ein Konflikt zwischen Jugendlichen und Bullen explodiert und es kommt zu Angriffen gegen die Polizei und deren Gebäude. Ein anarchistischer Impuls könnte in diesem Moment sein, den Angriff gegen andere Autoritäten auszuweiten, z.B. mit Angriffen gegen religiöse Autoritäten und deren Gebäude. Trifft der Angriff, bzw. anarchistische Impuls auf einen fruchtbare Boden, da bereits vor der Explosion des Konfliktes anarchistische Impulse auf eine Ausweitung des Hasses gegen Bullen auf andere Autoritäten und diese Welt der Herrschaft und Unterdrückung abzielte, und in dieser konkreten Situation die Bullen, sowie die Prediger, alle beide als Diener des Staates verstanden werden, dann weitet sich der Krawall und die Angriffe gegen andere Herrschaftsaspekte und Autoritäten aus und der explodierte Konflikt kann einen aufständischen Charakter annehmen. Andernfalls, also werden die Angriffe gegen andere Autoritäten nicht verstanden und nicht im Zusammenhang mit den Angriffen gegen die Bullen verstanden, bleibt der Krawall nur auf den Konflikt zwischen ein paar Jugendlichen und den Bullen beschränkt, weil die Bullen als böse Autorität und die Prediger als gute Autorität wahrgenommen werden. Aber auch die Angriffe der Anarchisten bleiben isoliert und auf sich selbst beschränkt.[7] Ein anderes Beispiel könnte ein explodierender Konflikt zwischen Studenten und dem Bildungsministerium sein, wo anarchistische Impulse auf eine tieferen Konflikt mit dem Staat abzielen könnten, durch Angriffe auf andere Ministerien, Arbeitgeber und andere staatliche Gebäude – Zerstörung der Institution, nicht der Übernahme oder Veränderung dieser (weil sich die Macht in der Institution selbst befindet).


Zeigt nicht auch die Situation in der Ukraine, die Notwendigkeit von anarchistischen Impulsen vor und während eines Aufstandes. Offenbar, verpassten die Anarchistinnen und Anarchisten in der Ukraine es vor und in der Anfangszeit des Aufstandes, Ideen und Aktionen hereinzutragen, sprich anarchistische Impulse zu geben, die sich gegen das Eigentum und spezifische Strukturen richteten (z.B. Plünderung von Läden, Zerstörung von lokalen polizeilichen, staatlichen und kapitalistischen Institutionen). Der Aufstand in der Ukraine beschränkte sich ausschließlich auf die Konfrontation mit der Polizei (teils nur auf eine spezifische Abteilung der Bullen), was das Aufkommen von weitergehenden sozialen Fragen verhinderte und es somit ein (besonders) Leichtes war, diesen Aufstand auf eine Kritik an einem spezifischen Regime, einer spezifischen Art von Polizei, zu reduzieren und so ein neues Regime als Lösung des behaupteten Konflikts zu präsentieren. Nicht, dass der Aufstand sonst nicht hätte rekuperiert werden können, aber es hätte Elemente reingebracht, die an sich beinahe unmöglich zu rekuperieren wären bzw. vielleicht dem sogar eine ganz andere Dimension gegeben hätten. Auf jeden Fall wäre es klüger, als irgendwelchen Politikern als Unterstützungsgruppe (Sanitäter, etc.) zu dienen, und ihnen den Kampf (und somit Inhalt, Richtung, etc.) komplett zu überlassen.


Anarchistische Impulse sind auf eine gewisse Weise ein Kommunikationsmittel, das nicht hierarchisch funktioniert, sondern in Kombination zwischen Individuen, wobei die Individualität nicht eingeschränkt wird. Anarchistische Impulse können abhängig von der Realität und einem Selbst, verschiedene Formen annehmen und kombiniert werden, von Angriffen über Plakate und Zeitschriften zu Diskussionsabenden. Diese Impulse gehen vielleicht von Anarchisten aus (müssen dies aber nicht zwangsläufig), und entwickeln ihre Sprengkraft mit anderen Individuen. Anarchistische Impulse sind ein Experimentieren mit der Situation, sie lassen also keinen Platz für ein festes Programm und erlöschen, wenn Anarchisten eine Avantgarde-Position einnehmen oder sich die anarchistischen Impulse zu Dogmen entwickeln. Darum rede ich davon anarchistische Impulse zu geben, denn sie bieten die Möglichkeit Kämpfe anarchistisch zu führen und Revolten, sowie Aufstände, mit Subversion zu füllen, aber auch den Drang nach Freiheit in Individuen zu entfachen und zu verbreiten, der sich gegen jede Macht wendet. Wie ein von allen Seiten verschrieener Feind jeglicher Macht 1842 schrieb: „Weckt man in den Menschen die Idee der Freiheit, so werden die Freien sich auch unablässig immer wieder selbst befreien; macht man sie hingegen nur gebildet, so werden sie sich auf höchst gebildete und feine Weise allezeit den Umständen anpassen und zu unterwürfigen Bedientenseelen ausarten.“

[1] Militärische Taktiken und das Militär wurde von der jeweiligen Herrschaft identisch gegen Äußere und innere Feinde eingesetzt. Für die Zerschlagung der Unruhen und Revolten durch die Ludditen beauftragten die englischen Herrschenden 1811/12 mehr Militärtruppen, als sie 1808 beim ersten Portugalfeldzug benötigten - die größte bis dato militärische Intervention; wohl gemerkt, die Ludditen breiteten sich trotzdem aus. Ein anderes Beispiel wäre die militärische Zerschlagung der Pariser Kommune. Die Geschichte zeigt, dass die inneren Gegebenheiten (z.B. Architektur) häufig so von der jeweiligen Herrschaft verändert wurden, dass eine militärische Intervention im Inneren möglich wurde. Aber auch Heute kommt immer wieder das Militär und gerade militärische Taktiken zum Einsatz gegen Innere Unruhen und Revolten.

[2] Um Missverständnisse zu vermeiden eine kleine Differenzierung: Mit Herangehensweise ist nicht eine Form eines rebellischen Lebensstils, eine durch spontane und beliebige Entscheidungen (mal klauen, mal schwarzfahren, mal sprühen, mal Bullen beleidigen) entgegen der herrschenden Moral gekennzeichnete Attitüde gemeint, sondern eine Art und Weise sein Leben in Zusammenhang und Kohärenz mit eigenen Perspektiven und Ideen zu gestalten, was aufbauend auf einer eigenen Analyse zur Entwicklung von aufständischen Projekten führen muss. Diese Projekte können zwar all die Elemente und Mittel, die sich ein Alltagsrebell auch aneignet, mit einschließen, was sie unterscheidet ist allerdings die vorausgegangene Analyse und Überlegung warum und wie eine gewisse Kombination und Verwendung von Methoden zu aufständischen Momenten führen könnte – kurz, eine Projektualität.

[3] Als Beispiel für konstruierte Revolte, oder besser gesagt, konstruierten Krawall: Wenn es in Deutschland zu Krawallen kam, dann waren dies meistens Spektakel der Linksradikalen oder Karnevalstage für Autonome, die sich auf einen Tag, auf eine konkrete Reaktion oder Angelegenheit beschränkten und am nächsten Tag wieder erloschen waren, auch wenn der Krawall noch so „heftig“ war. Der Krawall bleibt isoliert und schafft es nicht sich von dem konkreten Anlass zu lösen und den Krawall auszuweiten. Solche geplanten und beschränkten Krawalle scheinen eher dem Staat als Ventil zu dienen. Es ist ein Tag und ein Ort, wo die anwesenden „Unzufriedenen“ ihre Wut raus lassen können und morgen dann wieder gelassen, mit einem Lächeln, weil man es dem Staat angeblich nun gezeigt hat, in die Schule, auf die Arbeit oder zum Arbeitsamt gehen - der Tag danach und der Tag vor dem Krawall sind der Gleiche, es hat sich nichts wesentliches nach dem Krawall verändert. Klar, gibt es am Tag nach dem Krawall kaputte Fenster, die das Straßenbild zeichnen, Diskussionen im Fernsehen über die Chaoten, die Jugend, usw. und Fotos von brennenden Autos machen die Runde und jeder klopft sich auf die Schulter. Aber wesentlich, hat sich nichts geändert, weil es eine isolierte Handlung war. Der Alltag ist von den gleichen Sachen bestimmt wie vorher. Das an dem Tag scheinbar angekratzte Gesicht der Macht, hat am Tag danach keine Spur mehr von Schrammen, falls diese Schrammen davon getragen hat.

[4] Ich möchte hier nicht auf einen politischen Diskurs eingehen, der die verschiedenen Herrschaftsformen und jeweilige Politik von Marokko bis Kuwait untersucht, um die Gründe für die Revolten und Unruhen in den jeweiligen Verwaltungsformen der Macht zu suchen (diese passt auch zu gut in eine Beobachterrolle und lässt einen unter anderem zum Schluss kommen „Die kämpfen für Demokratie, die wir schon haben“). Für mich ist ein Aufstand nicht abhängig von einer gewissen oder bestimmten Herrschaftsform, sondern der Aufstand gründet aus der Herrschaft, also egal welche Herrschaftsform.

[5] Ich lasse hier die Frage offen, ohne welche Strukturen, Mechanismen oder Gebäude eine Herrschaft unmöglich ist. Aus dem Grund, da ich dies nicht beantworten kann (ohne eine Vorherseherrolle einzunehmen) und zugleich nicht beantworten möchte, da es einer Herrschaftsfeindlichkeit, wie ich sie verstehe, im Wege stehen würde, die seine Feinde klar vor Augen haben möchte und sich dem Verwandlungsgeschick der Macht bewusst ist. Momentan braucht die staatliche und kapitalistische Herrschaft die Knäste und Grenzen, um den sozialen Frieden zu erhalten und die soziale und ökonomische Ordnung zu verwalten, aber dies bedeutet nicht, dass eine andere Herrschaft, diese auch benötigt.

[6] Hier stellt sich wieder die Frage, welche Mechanismen oder Strukturen für die Macht unabdingbar sind. Ich denke, dass eine Macht sich auch anti-diskriminierend zeigen kann, auf das Beispiel hier bezogen, dass eine Herrschaft auch ohne Sexismus oder eben Patriarchat funktionieren kann.

[7] Bei diesem Beispiel könnte man entgegnen, dass das Angreifen von religiösen Gebäuden eine Praktik von Autoritären ist oder diese anziehen könnte. Z.B. das Angreifen von Moscheen oder Synagogen eine Praktik von rassistischen, antisemitischen, nationalistischen oder religiösen Spinnern ist, also von Feinden der Freiheit. Darum verdeutliche ich nochmal hier, dass es eben wichtig ist, dass der Angriff, bzw. der Impuls, als anarchistisch verstanden wird (subversiv wirkt) und dieser somit keinen Boden bietet für offensichtliche oder versteckte Rassisten, Religiöse, Nazis oder andere Autoritäre – dass man sich auf dem Terrain des sozialen Krieges befindet (wo z.B. Hautfarbe keine Rolle spielt) und nicht auf dem des Bürgerkrieges. In diesem Beispiel muss der Angriff gegen ein religiöses Gebäude als Angriff gegen ein Herrschaftsaspekt begriffen werden und nicht als Angriff gegen dieses Alleine. Inwieweit sich welcher Herrschaftsaspekt besser als Angriffsziel eignet, hängt von der Situation ab, aber dennoch, darf ein Versuch, Revolten auszuweiten nicht an verschiedenen Herrschaftsaspekten halt machen und diese verschonen. Ich habe dieses Beispiel mit den religiösen Autoritäten gewählt, da eben gerade in manchen konfliktuellen Vierteln, sprich Vierteln, in welchen soziale Konflikte verschärfter und so auch für Anarchisten interessant sind, religiöse Autoritäten die Rolle der Autoritäten in Blau (bzw. grün) übernommen haben.