EUGENIE VON GARVENS

In Freundschaft gewidmet


JESUS UND DER BÜRGER.

BÜRGER: Was kümmerst du dich um Dinge, die dich nicht angehen? Man wird dich töten und dir geschieht recht. Du störst Ruhe und Ordnung.

JESUS : Ob mir recht geschieht oder unrecht, gilt gleich. Von mir ist nicht die Rede.

BÜRGER: Aber von der Ordnung.

JESUS : Nichts stört so sehr wie eure Ruhe und Ordnung. Sie ist das Vorrecht der Toten, das der Lebende diesen mißgönnt. Die Toten jagt ihr aus den Gräbern hoch, ihr aber verlangt Ruhe.

BÜRGER: Meinetwegen; aber du kümmerst dich um Dinge, die dich nicht angehen. Warum beredest du die Armen zum Aufstand?

JESUS: Die klagende schüchterne Verzweiflung der Armen gegen die Gewalt der erdewuchernden Reichen nennt ihr Aufstand? Gequälte Angst Erschöpfter heißt ihr Frechheit!

BÜRGER: Also, was beredest du die Armen zur ängstlichen Notwehr?

JESUS: Ihr seid geartet, daß ihr euch nur um euch kümmert.

BÜRGER: Wir mischen uns nicht in fremde Angelegenheiten.

JESUS: Ihr kümmert euch nur um euch selbst. Euer Selbst, das sind eure Geschäfte. Je reicher einer ist, um so weniger ist er Mensch; sondern Sache.

BÜRGER: Um so nützlicher ist er dem Staat, um so wertvoller als Bürger.

JESUS: Je reicher einer ist, um so wertvoller ist er als Sache. Von dir spricht man nicht, sondern von deiner Fabrik, deinen Landereien. Du sagst immer, die Fabrik, die Landereien, das bin ich, das ist am Ich das wertvolle und macht es aus. Das ist die Frechheit, die erschöpfte Dummheit der Bürger, von den Dingen, der Erde, von der Arbeit der andern zu lügen: das bin ich.

BÜRGER: Du antwortest nicht, Schriftgelehrter; was kümmerst du dich um Wasserträger, Halbsterbende, Straßenmädchen, Arbeitsscheue und dies Gesindel.

JESUS: Die Halbsterbenden sind die Starken. Du meinst, ich sollte mich um mich kümmern?

BÜRGER: Worum denn sonst? Um die Familie, die Kinder, das Geschäft.

JESUS: Was denn ist dein Ich? Was bist du? Wer deine Person?

BÜRGER: Meine Angelegenheit; ich soll dem Staat, dem Vaterland dienen; aber nicht Landstreichern!

JESUS: Dein Vaterland steht in deinen Gütern, im Besitz deiner Freunde, die du noch bestehlen wirst. Meines in den Herzen der Armen. Der Erde Sinn kann nur der Mensch sein, und man ist Mensch, soweit man arm ist. Der Reiche ist Wolle, Öl, Kohle, Eisen: sein Auge ist Wolle, sein Wunsch ist Öl, sein Herz ist Kohle, seine Niere Eisen. Ich gehe zu den Menschen, die unbeschwert blieben von den schwelenden Teilen eures toten Ichs. Durch eure Gier wurde das Ich der Erde erschlagen und damit du und ich. Ihr habt den Armen gehalten, daß seine Gedanken ohne Zunge blieben; und niemand soll ihm Sprecher sein? Die Armen sollen wehrlos bleiben? Die Einfältigen sind selig, doch ihr macht der Armen Einfalt zu Elend.

BÜRGER: Die Armen teilen alle Rechte mit uns!

JESUS: Vorher machtet ihr den Gegenstand des Rechts zu eurem Besitz. Ihr nahmt die Gewalt an euch; dann gabt ihr gleiche Rechte. Ihr werdet an der Gewalt sterben.

BÜRGER: Immer noch die fremden Angelegenheiten, die Armen!

JESUS: Wer denkt, kann er anders bedenken wie die Armen? Der schmerzhafte Gedanke läßt sich nicht auf euren Besitz pressen, sondern geht zu denen, die nichts anderes besitzen als unausgesprochenes heimliches Denken. Für die Leidenden denken, die gequält sind, die keine Zeit besitzen zu denken. Fremd ist mir der Staat besitzender Gewalt: nah die Menschen, die nichts anderes sein dürfen als Menschen: die Armen.

BÜRGER: Der Denker gehört zu uns; wir besitzen Bildung, wir bezahlen Bildung; ermöglichen diese durch Besitz und Arbeit.

JESUS: Eure Bildung ist angeeignetes Gut und Gewalt. Euer Wissen ist der Besitz weniger und Gewalt, worin ihr die Schädel der Armen zerpreßt. Ich weiß, wer nicht mit euch geht, wird heute noch vernichtet. Wäre ich mit euch, wäre ich vernichtet.


DAS ABENDMAHL

JOHANNES: Wir müssen des Herrn teilhaftig werden!

APOSTEL: Wir sind sündig und können unserer Sünden nur erlöst werden, wenn Gott für uns stirbt.

EINER: Wer unter uns ist ein Gott und will sterben? Oder will sterben, um Gott zu sein?

JUDAS: Wenn euer Gott gestorben ist; allerdings, dann ist später der Vergleich unmöglich zwischen euch und Gott.

JOHANNES: Wir müssen des Herrn teilhaft werden! Er muß in uns eingehen.

APOSTEL: Ich mühte oft Jesus mich anzunähern. Tagelang dachte ich nur ihn und seine Werke, daß ich meinte, in ihn gewandelt zu sein. Ich dachte stier, daß ich glaubte, durch mein betendes Denken werden die Blinden sehen. Ich bedachte, wie er den Blinden sehen machte. Als ich die Glieder aus dem Starrschlaf riß; und die Füße die bebende Erde spürten, überlief mich schweißige Schwäche. Ich kann den Herrn nicht erreichen.

JESUS: Ihr könnt mich nicht erreichen? Mein Gott, wer bin ich, daß ihr mich verschieden glaubt? Sie verstehen die Lehre nicht und sehen nur mich. Sie erkennen die Auferstehung nicht. Müssen wieder unbegreifliche Wunder auffahren, daß sie zu begreifen glauben? Wunder, die mir das Herz zerschlagen. Sie verlangen von mir, daß ich Wunder aller Götter tue, sie klammern sich an geschaute Erlösung.

JUDAS: Ein lebendiger Dämon ängstet und bedroht. Solange du lebst ist deine Lehre bestimmt und verpflichtet. Solange du lebst sind sie Jünger eines lebenden Menschen. Und sie alle wollen, wie die Mithrasspieler, Jünger eines Toten, eines Gottes sein. Der Tote ist geheimnisvoller als der Lebende; an einem Toten kann jedes ausgelegt und erklärt werden. Nur wenn du tot bist, steht deine Lehre. Der lebendige Jesus verhindert die Lehre und steht dem Gott Jesus entgegen.

JESUS: Also ich muß sterben, damit die Lehre besteht?

JUDAS: Bald sterben, damit deine Lehre nicht an der Trägheit und dem Zweifel der Leute abstirbt.

JESUS: Der lange Nachmittag reift.

JUDAS: Du glaubst deinen Worten, also gehst du an deiner Lehre zugrunde. Wer eine Lehre, sei sie gut oder übel, eitrig wuchernden Geschäften voranstellt, erschlägt sich. Es ist dir besser, bald zu sterben, als die Verfälschung deiner Lehre in langer Trauer, die mit salzigem Lächeln endet, zu erwarten.

JOHANNES: Wir müssen des Herrn teilhaft werden!

APOSTEL: Der Herr muß uns erlösen, daß wir sündhaft seien!

ElNER: Was beweisen uns die Wunder; sie taugen dem Wundertäter und dem Verwunderten.

APOSTEL: Herr, tue uns ein Wunder, worin deine Lehre körperlich wird; ein Wunder, das uns allen zuteil wird!

JESUS: Ein Wunder?

APOSTEL: Wir wollen* auferstehen, wir wollen wissen, daß wir auferstehen.

JESUS: Seid ihr nicht auferstanden?

APOSTEL: Schwäche legt uns wie zertretenes Moos zu Boden.

JUDAS: Wir bedürfen des Beweises der Auferstehung!

JESUS: Habt ihr ihn nicht? Kann der Mensch, der nie gelebt hat, sterben, und kann, wer je lebte, sterben?

JUDAS: Deine Geheimnisse klingen undeutlich. Setzt euch unter den lebenden Stamm, unter den Saft seiner blutenden Blätter.

PETRUS: Seine Blätter klirren wie krähende Hähne.

JESUS: Der Leib des Herrn ist das Brot des Menschen. Das Blut ist der Wein des Menschen. Wessen Speise aber die Lehre ist, bedarf nicht des Brotes und des Weines; seine Nahrung ist ewiges Leben.

JUDAS: Wir glauben dir. Unser Glaube ist schwach; wir bedürfen des Beweises, daß man aufersteht; damit wir stark werden.

JESUS: Judas, ich muß also sterben, damit du glaubst.

JUDAS: Der Tote ist gewiß und ein Gott.

JESUS: Liebst du meine Lehre so stark, daß du den Lehrer hassest?

JUDAS: Eine Lehre ist Gleichnis, solange man der Lehre sich nicht opfert. Gleichnisse sind schöne Gedichte; was nützt uns die Fabel? Du sprachst von Brot und Wein und sagtest, wer die wahre Speise kennt, bedürfe jener nicht. Die wahre Speise ist nicht gelehrte, sondern bewiesene Lehre.

JESUS: Du suchest den Kern des Gleichnisses. Ich bin sein Herz.

JOHANNES: Wir wußten es; wir leben in deinem Leib, trinken von deinem Blut, um deiner Lehre voll und trunken zu sein.

JUDAS: Bringt Wein! Herr, wir müssen dein teilhaft sein. Kräfte gehen von dir aus. Wir müssen sie besitzen, um in deiner Lehre zu wirken.

JESUS: Gib acht, du reißt mir mit deinen Nägeln die Ader auf.

JOHANNES: (springt auf): Rühre den Herrn nicht an! Der Leib des Herrn ist heilig!

JUDAS: Wein her! Man soll die heilige Speise nicht anrühren und kraftlos bleiben? Ich sage, man soll sie essen!

JESUS: Ich sehe, ihr verlangt meinen Tod und braucht ihn. Lehren und Menschen leben von Blut und Menschenopfer. Meine Qual ist euer Brot. Judas, liebst du mich?

JUDAS: So sehr, daß ich dich nicht mehr leben sehen kann; ich wünsche dich in der Glorie. Der tote Jesus ist stärker als der lebende.

JESUS: Ich bin euer Brot. Ich bin euer Wein. Liebe mich weniger, Judas, deine Zähne gieren etwas; du willst zu bald erlöst sein.


NACH DEM ABENDMAHL.

PAULUS: (glücklich, leidenschaftlich): Du wirst uns erlösen.

JESUS: Ich werde erlösen? Wen?

PAULUS: Mich.

JESUS: Du glaubst, daß mein Schmerz dir nützt?

PAULUS: Dein Schmerz erschüttert die Gottheit; milder wird sie auf uns sehen. Erschüttert von der Qual des Gottes, der unter uns war, wird sie sich uns nähern. Erschüttert über dein vorfrüh zerbrochenes Leben, wird Gott dich als den ersten zum ewigen Leben berufen und der Mensch in dir und in uns wird der Gnade teilhaft,der Gnade der Ewigkeit, die deiner Gottnatur als Gesetz innewohnt.

JESUS: Du meinst, ich sei ein Gott?

PAULUS: Könnte ich die Götter der Griechen, Astarte, Serapis und Mithras mit anderem schlagen als einem neuen Gott?

JESUS: Paulus, was brauchst du Götter? Götter sind den Menschen furchtbar. Dein Göttliches ist mir schlimm.

PAULUS: Das Göttliche, ist äußerste Machtform. Schwache, zarte Dinge, wie das geschmähte schwierige Wort der Liebe, die Predigt von der Armut bedürfen äußerster Machtform: der Göttlichkeit.

JESUS: Bin ich so schwach, Paulus?

PAULUS: Wir alle sind elend, darum müssen wir in Gnaden gotthaft sein. Wir sind so gering, daß wir Götter werden müssen, um nicht zu zerbrechen.

JESUS: Ich werde zerbrochen, daß ich Gott bin?

PAULUS: Gott kann die Menschen nicht als Gott berühren, sondern nur in der Qual. Im Leiden überspringt der Gott den Riß zu den Menschen.

JESUS: Spürt Gott Schmerz?

PAULUS: Er muß, um den Menschen sich zu nähern –

JESUS: Du verlangst von mir Qual. Wie seid ihr grausam gegen eure Götter. Paulus, du rächst dich.

PAULUS: Gott ist grausam gegen uns. Durch das Sein Gottes sind wir elend.

JESUS: Paulus, ich bin dir nichts, nur ein Theorem.

PAULUS: Nichts ist kostbar und gewichtig wie dies.

JESUS: Du kannst gut sprechen, wenn du meinen Tod vor dir siehst; wie wirst du nach meinem Tode reden können. Ich glaube, der Lebende steht gegen eure Beweise, er ist zu ungewiß und veränderlich; er verteidigt sich noch gegen deine Worte.

PAULUS: Glaube muß stehen unberührt von Zeit.

JESUS: In meinem Tod.

PAULUS: Es gibt zwei Wege: Leben und Mensch sein; Sterben und göttlich werden. Unser Glaube bedarf der Vergottung.

JESUS: Paulus, der Weg steht dir frei.

PAULUS: Mir, Herr?

JESUS: Dir und jedem. Dir; denn du kennst die Lehre gut. Warum soll ich die schmerzliche Vollendung suchen?

PAULUS: Herr, ich bin nur dein Wort.

JESUS: Deine Worte sind lau, solange die Lehre der Liebe nicht tödlich bewiesen ist. Nach dem Beweis wird deine Rede laut sein.

PAULUS: Dein Tod wird sich zu ungemeiner Bedeutung erheben – für alle.

JESUS: Für alle. Und ich, Paulus? Ich bin gewiß, ihr werdet gut und mit schweißendem Hals von meinem Tod sprechen. Die geopferten Götter; vieles läßt sich von ihnen sagen.

PAULUS: Das Höchste einem Menschen und selbst Gott erreichbar.

JESUS: Der Menschen Rede und Schreibe ist schwarzrandiger Nachruf verwester Unsterblichkeit. Alle Menschenliebe und Rühmen ist Freude an Mord. Paulus, ihr werdet die armen Richter zu sehr beschuldigen und fragt nicht, wo ist eure Schuld?

PAULUS: Niemand ist schuldlos; jeder ist sündig; darum der Tod, Untergang der Sündlosen, darum aller Verschuldung und aller Bedürfnis nach Erlösung.

JESUS: Paulus; lade ich euch soviel Sünde durch meinen Tod auf? Dies wäre von mir schwerste Sünde. Ich fürchte sie. Deine Welt ist nur Verbrechen unter einem blutenden hoffnungsarmen Vorhang.


JESUS STEHT AM SCHAUBERG.

EIN LEGIONÄR.

JESUS: Wie lange hing der Mann am Kreuz?

LEGIONÄR: Fünfe hat er gemacht.

JESUS: Fünf Tage? Was hatte er getan?

LEGIONÄR: Das weiß ich nicht. Wir kümmern uns nicht darum. Ich habe nur dafür zu sorgen, daß Ruhe und Ordnung am Schauberg gewahrt bleiben.

JESUS: Ruhe, wenn Menschen getötet werden?

LEGIONÄR: Eben sie werden getötet, damit Ruhe bleibt.

JESUS: Wessen Ruhe, warum Ruhe?

LEGIONÄR: Weiß ich nicht. Wir können keine Unruhe brauchen.

JESUS: Bedürft ihr denn eines anderen als der Unruhe?

LEGIONÄR (spuckt aus).

JESUS: Hat er sehr gelitten?

LEGIONÄR: Nicht genug, er beschimpfte uns, bis die gequollen Zunge ihn knebelte.

JESUS: Dann?

LEGIONÄR: Er war gebunden, daß die Adern platzten.

JESUS: Schmerzte es?

LEGIONÄR: Sicher.

JESUS: Warum hilfst du Menschen töten?

LEGIONÄR: Ich lebe davon. Täte ich es nicht, der Andrang zu unseren Stellen ist groß.

JESUS: Du tötest jeden, den man dir bringt?

LEGIONÄR: Jeden. Amt. Pflicht. Jedem das Seine.

JESUS: Du hast nie bedacht, ob es recht ist zu töten?

LEGIONÄR: Warum bedenken?

JESUS: Es kommen viele Leute, kreuzigen zu sehen?

LEGIONÄR(wichtig): Sehr viele.

JESUS: Was sagen sie?

LEGIONÄR: Sie sind entzückt. Schreien, lachen – besonders wetten sie, wie lang der Verurteilte es aushält. Sie beschimpfen den Gekreuzigten, wenn er die Schmerzen schwer erträgt, zu kurz hangt und nicht spricht. Sie versprechen dem Gekreuzigten Belohnung für die Angehörigen, wenn er gut schimpft.

JESUS: Wie sie sich im Gekreuzigten kühlen und eigenen Schmerz rächen.

LEGIONÄR: Es ist nicht einfach, die Gekreuzigten vor der Zudringlichkeit der Menge zu schützen, vor allem die Betrunkenen in Ordnung zu halten.

JESUS: Sie trinken?

LEGIONÄR: Vor allem die Weiber, die sich an den Gekreuzigten vollgeilen.

JESUS: Nichts lieben und zahlen sie so teuer wie den Tod eines anderen. Als ob sie glaubten, dieser bezahle für sie den Tod.

LEGIONÄR: Glauben sie auch. Oft bezahlen sie das Begräbnis des Gekreuzigten und lassen einen für sich in ihrem Grabe beisetzen. Sie nennen das den Stellvertreter.

JESUS: Welche Leute werden gekreuzigt?

LEGIONÄR: Pechvögel, Ungeschickte, Dumme, Verwirrte. Die Klügeren stehen unten herum, sich zu ergötzen.

JESUS: Warum kreuzigt ihr diese Ungeschickten und Verwirrten?

LEGIONÄR: Die Klugen lassen sich nicht kreuzigen.

JESUS: Sondern?

LEGIONÄR: Nun sie kreuzigen.

JESUS: Und zwischen Kreuzigen und Gekreuzigtwerden gibt es nichts dazwischen ?

LEGIONÄR: Noch etwas? Die Rechnung geht auf.

(Einer kommt mit dem Kreuz.)

JESUS: Man will dich kreuzigen?

KREUZTRÄGER: . . .

JESUS: Läßt du dich kreuzigen?

KREUZTRÄGER: . . .

JESUS: Warum?

KREUZTRÄGER: Ich stahl.

JESUS: Dies bezahlt man mit dem Leben?

KREUZTRÄGER: Die Armen haben nichts anderes, womit sie zahlen.

JESUS: Ihr habt nur das Leben?

KREUZTRÄGER: Wir haben das Leben, um es anderen zu geben.

JESUS: Wie?

KREUZTRÄGER: Mein Leben ist das Leben der Reichen, und hat nie mir gehört.

JESUS: Und?

KREUZTRÄGER (lächelnd) : Jetzt beschleunigt man die Abrechnung.

JESUS: Konntest du nie von deinem Leben etwas Gott geben?

KREUZTRÄGER: Gott gehört den Mächtigen. Dem Armen ist verboten, Rettung zu suchen. Wagt er's, wird er getötet. Wenn du so willst, gebe ich mein Leben Gott.

Man hört die Litanei der Priester in fünfzig Meter Entfernung.

Herr, Du bist mächtig und groß

Dein Arm ist stark

Du hältst ihn über Tausende gestreckt

Ein Zucken deiner Braue und liegen Tausende im Staub

Du sagst, es ist recht, und wir sind gerecht.

Es ist so

Herr, gib uns Stärke

Herr, gib uns

Herr, gib

Gib, gib, gib, gib, gib,

Du hast

Du besitzest

Du kannst

Bei dir ist die Kraft und die Macht und die Herrlichkeit und der Sieg

Du zerschmetterst

Du sprichst und es geschieht.

KREUZTRÄGER: Eben. Du bist der Sieg. Gott rechnet mit mir ab.

JESUS: Wie ekelhaft ist Gott. Willst du so sterben?

KREUZTRÄGER: Ich muß.

JESUS: Sich wehren?

KREUZTRÄGER: Wer sollte mir helfen? Die Unseren sind gewohnt, getötet zu werden, warum lärmen, wenn man tut, was unsere Brüder getan haben.

JESUS: Hilft euch niemand?

KREUZTRÄGER: Gott ist gegen uns, seine Bilder werden von den Reichen bewahrt.

JESUS: Und ihr werdet getötet, wenn ihr euch helfen wollt?

KREUZTRÄGER: Wir werden getötet.

JESUS: Und die Mächtigen?

KREUZTRÄGER: Sie besitzen Gott und die Gerichte.

JESUS: Und die Gerechtigkeit?

KREUZTRÄGER: Wir sind die Ungerechten.

JESUS: Was bleibt euch?

KREUZTRÄGER: Das Almosen der Erlösung durch den Reichen und Arbeit zum Tod.

JESUS: Und die Gerechtigkeit?

KREUZTRÄGER: Ist geschaffen, an uns vollstreckt zu werden. Recht kann nur an Hilflosen vollzogen werden. Es ist schwach, in den Fäusten der Reichen und stark an den Elenden.

JESUS: Also das Recht ist die Hure der Reichen, ihnen Wollust zu machen?

KREUZTRÄGER: Wir Armen haben erfahren, daß Gerechtigkeit gefällt wird, uns zu quälen. Das Vergnügen, täglich die hilflose Niedrigkeit der Armen zu beweisen, ist bedeutender Teil des Staates.

JESUS: Und wenn die hilflose Niedrigkeit stark geworden, wenn Niedrigkeit steigt?

KREUZTRÄGER: Dann sterben wir viele und fallen jäh ab. Man darf nur steigen, wenn man wie die Reichen denkt. Man darf nur steigen, wenn man unaufhörlich den Reichen den After küßt. Arme dürfen nur steigen, die immer Reiche waren.

JESUS: Dein Richter, ist er arm oder reich?

KREUZTRÄGER: Ein Armer, bezahlt den Reichen, die Wollust des Quälens zu besorgen. Ein Armer, schlimmer und reicher als die Reichen.

JESUS: Schämt er sich nicht?

KREUZTRÄGER: Er verteidigt gegen mich sein Heiligstes, den Reichtum der anderen. Er verteidigt gegen mich seinen Götzen. Er verteidigt gegen mich sich selbst, um zu beweisen, daß Richter nötig sind.

JESUS: Wer war dein Richter?

KREUZTRÄGER: Mein Bruder.

JESUS: Er urteilte dich an das Kreuz?

KREUZTRÄGER: Er bewies, daß die Armen gerecht gegen die Armen sind.

JESUS: Solche Schande tut er euch an?

KREUZTRÄGER: Er meint, ich hätte ihm Schande getan.

JESUS: So viel Macht gibt es, daß Brüder sich morden?

KREUZTRÄGER: So vieles Geld, dessen wir zum Leben bedürfen. Wir sind gezwungen und bezahlt von den Reichen, uns zu töten.

JESUS: Wenn du dich wehrtest gekreuzigt zu werden?

KREUZTRÄGER: Wenn ich mich wehre, an das Kreuz zu klettern erschlägt man viele meiner Gasse.

JESUS: Warum noch andere?

KREUZTRÄGER: Damit in ihnen nicht der Gedanke an Verteidigung entstehe – weil man glaubt, ein einzelner von uns habe keinen Gedanken.

JESUS: Und wenn die anderen dir hülfen?

KREUZTRÄGER: Wegen eines einzelnen? Die Armen können kaum so gequält werden, daß sie sich verteidigen. Sie sind gewohnt, verurteilt und getötet zu werden. Gut, die Armen verteidigen sich. Aber die Erde ist nur auf den Reichen hergerichtet. Wir müßten ja alles zerschlagen – wir, die wir immer zerschlagen wurden. Wir müßten alles zerschlagen.

JESUS: Die Erde ist nicht gut. – Sie ist in den Händen der Reichen Gift.

KREUZTRÄGER: Wir essen es und sterben daran.

JESUS: Die Sonne rädert wolkenlos.

KREUZTRÄGER: Sie wird mich zertrocknen.


JESUS UND ZWEI JUDEN.

ERSTER JUDE: Ich bin Ihr Freund, zweifellos, ich verkehre ja noch mit Ihnen.

ZWEITER JUDE: Ich bin Ihr Freund, zweifellos, ich höre ja noch Ihren Ausführungen zu.

JESUS: Sie tun zu viel für mich.

ERSTER JUDE: Wir glauben immer noch, Sie geben die Politik, die Öffentlichkeit auf; ermüdende, sinnlose Schmutzerei, wozu?

JESUS: Sie kennen die Menschen sehr, sinnlos. – Da es sinnlos ist, muß man ein Ziel geben.

ZWEITER JUDE: Sie lehren die Armut, das ohne die Welt sein. Ich bin Ihr Freund und fördere Sie, drum reiße ich Ihnen den Mantel herunter. Weltentsagung bei anderen ist zu fördern.

ERSTER JUDE: Ich bin Ihr Freund, drum reiße ich Ihnen das Hemd herunter. Armut der anderen ist zu fördern.

JESUS: Ich bin erstaunt, daß meine lieben Freunde mir nicht die Haut abreißen. Noch mehr förderte mich dies.

ERSTER JUDE: Wir werden das mögliche tun, um auch dies zu erreichen.

ZWEITER JUDE: Man gehört ungemein seinen Freunden an. Man ist ihr Eigentum.

JESUS: Reißt du von deinem Stuhl das Leder?

ERSTER JUDE: Er sprach nie den Wunsch aus. Ich tue es darum nicht. Warum sollte der hingebende Freund mir nicht sein Hemd geben?

(Reißt ihm das Hemd ab.)

ZWEITER JUDE (wirft ihn zu Boden und reißt ihm die Sandalen ab) :

Die Armen sind unfähig zu besitzen, da sie infolge Schwachheit Besitz nicht zu wahren vermögen.

ERSTER JUDE: Der Arme ist zu dumm um zu besitzen, darum besitzt er nichts.

ZWEITER JUDE: Auf diesen Sandalen wird meine Tochter wie Nijinsky tanzen. Auf des Rabbi Sandalen ein Steep. – Das muß im Programm stehen.

ERSTER JUDE: In Jesi Hemd wird meine Frau sich zu Bett legen, sie wird Furore machen, alle Weiber werden Jesi Hemdenschnitt bei mir verlangen.

ZWEITER JUDE: Wir werden seine Garderobe an ein Museum verkaufen. Siehe, ich lehre Euch ein Geheimnis. – Lasset die anderen arbeiten und wir verkaufen. – Denn der Herr sprach: Die nicht säen, sollen 50 Prozent Dividende erhalten.

ERSTER JUDE: Die beglückende Kühle unserer jüdischen Nacht wird Sie frisch erhalten.

ZWEITER JUDE: Das Bewußtsein, daß wir umgehend Ihre dürftige Garderobe zu teurem Preis umsetzen, wird Ihnen ein warmes Gefühl von Menschheitsbeglückung gewähren.

ERSTER UND ZWEITER JUDE: Wir begrüßen den garantiert echten Sohn Gottes in vorzüglicher Hochachtung und beugen die rasierten Gesichter ergebenst bis zum Schnürsenkel.

JESUS: Wenn es einen Gott gibt, laßt er jetzt Schnee fallen, obwohl seit ich geboren bin, im Juni Schnee nie fiel. Das Schneetreiben wird mich Nackten vor den Menschen schützen.

Prompt heftiges Schneetreiben.

JESUS (Zähneklappernd): Gott ist gerecht und lebt.


VOR PILATUS.

PILATUS: Dieser Mensch hat den bösen Blick. Glaubst du er könnte über das Grab hinaus sein Unwesen treiben?

SEKRETÄR: Ist es denn gewiß, daß er uns schadete? Barrabas mit seinem Aufstand im Färberviertel ist gefährlicher. Jesus verlegt die Sache in das Jenseits. Es ist dem Staat bequemer, daß die Armen ihre Hoffnungen auf ein besseres Jenseits richten.

PILATUS: Dieser Mensch könnte unsichtbare Kräfte besitzen. Was meinst du?

SEKRETÄR: Wenn du dies glaubst, mag es für dich so stehen.

PILATUS: Er leugnet Geheimnisse zu besitzen. Das Kreuz wird ihn reden machen. Man wird ihm den Leib öffnen, um seine Kräfte zu finden. Wie sie binden. Der tote Jesus ist gefährlicher als der lebende.

SEKRETÄR: Sprich mit ihm.

PILATUS: Bleibe bei mir.

PILATUS: (mit niedergerichteten und verhüllten Augen zu Jesus) : Du wirst gekreuzigt werden.

JESUS: Ich weiß.

PILATUS: Du mußt gekreuzigt werden. (Nach einer Pause) : Willst du das?

JESUS: Ich wollte es nicht. Vielleicht wurde ich hiezu bestimmt.

PILATUS: Du wolltest die Erde ändern?

JESUS: Ist sie nicht zu verabscheuen?

PILATUS: Ich meine, wir sind so elend und gemein, daß wir nur in einer Welt zu leben vermögen, die gemein ist. Die Erde ist schwach, man kann Schwäche nicht ändern. Schwäche widersteht stark, da sie langsam rückweichend nachgibt. Der Mensch glaubt an das Gute, weil er böse ist. Wo bliebt ihr Weltverbesserer, wenn die Welt gut wäre. Davon eßt ihr. Nun sagt ihr den Menschen, sie seien gut. Den Elenden sagtest du, sie seien die Wertvollen. Du vermehrst die Lüge. Du schmeichelst den Armen und machst sie noch dünkelhafter und selbstzufriedener.

JESUS: Willst du denn, daß die Armen mit den Waffen aufstehen?

PILATUS: Der Staat bedarf einer gewissen Unzufriedenheit der Armen, damit die Reichen nicht allzu dreist geraten und den Staat zertrümmern. Die Armen ermöglichen den Staat durch unzufriedene Geduld. Und du? Du überredest sie zu grenzenloser Geduld. Was sind ihnen Staat und Elend, wenn sie nur noch dem Tode leben? Barrabas wegen fielen hundert, du aber hast tausenden das Leben genommen.

(Pause.)

Vielleicht aber, da sie dieses Leben nicht rechnen, dies Leben nicht mehr gezählt wird, machtest du sie noch skrupelloser. (Pause.)

Wer die Menschen einen Glauben lehrt, mordet schlimmer als ein Mörder. Eine Änderung des Staates, das ist greifbar; eine Änderung des Menschen? Wer dies ausspricht, muß ein Gläubiger stehen, also ein Gewissenloser. Wer ein Neues glaubt, lehnt das Bestehende ab. Er lehrt, was die Erde unerträglich macht. Mit deiner Lehre nimmst du den Leuten die Kraft, dieses unerträgliche Leben zu ertragen und streckst sie in das Sterben hinaus. Man sollte den Platonismus seiner Lebensgefährlichkeit, seiner Unverantwortlichkeit wegen verbieten. (Pause.)

Glaubtest du deiner Lehre, als du sie vortrugst? Einer, der diese Welt für nichtig erkannte, muß auch die in ihr mögliche Erkenntnis für nichtig erkennen. Überschreitet Erkenntnis unser Leben, ist sie mörderisch, da sie unglücklich macht.

Barrabas, das ist klar. Er wollte den Leuten helfen, damit sie weniger mißbraucht werden, wie er es nennt. Aber du? Wie sagtest du? Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Weißt du nicht, daß dies selten geschieht, nie. Wen widert der Nächste nicht an? Du sagst, du sollst. Meinetwegen. Aber glaube nicht, daß es geschieht. Diejenigen, die tödlicher Aufopferung genug besäßen, den Nächsten zu lieben, haben längst ihren und des Nächsten Wert erkannt. Und gleicher Hand lehrst du, wir sollen uns selbst hassen. Das heißt von einem Todkranken sagen, er ist gesund. (Pause.)

Dieses knäbische Hoffen, das ekelt mir eure Moralen, die im Gegensatz zu den Menschen gedichtet werden. Ihr verwirrt selbst die Tiere, daß sie nicht wissen, was sie wählen sollen. Wir wissen es nie. Der Verstand lastet uns mit Quälendem und verzaubert uns in Begriffe, die uns überschreiten und entgegengesetzt sind. Er macht uns elend und verwirrt.

JESUS: Darum bedürfen wir der strengen Lehre.

PILATUS: Glaubst du denn, was du erkanntest? Du weißt deine Lehre, du hast sie erkannt, dann ist sie zweifelhaft. Nein, man kann nicht glauben, was man erkannt hat; das Erkannte fordert Zweifel und Leugnen heraus. Doktrinen erfindet ihr zum Vergnügen der Rebellen. Ihr schreit, beginnet das Neue, und das Alte lungert weiter. Ihr verlängert das Elend, das wir von uns würfen. Was besitzt ihr nicht Milde und Beschränktheit genug, den taumelnden Wunsch nach Erkenntnis und Glauben zu verringern? Wollten die Zauberer einmal sagen: es ist nicht viel wert, es bezahlt sich nicht. Eure Lehren essen von unserer Qual. Ihr seid zu gut oder zu elend zu erkennen und zu glauben. Ist der Mensch schlecht, soll er nur Schlechtes glauben; das Gute, das er wie ein Verlorenes anbetet, verleugnet seine Natur. Ist er gut, braucht er nicht glauben.

JESUS: Ist der Mensch aber gemischt, nicht gut und nicht schlecht, weder gut noch schlecht, schlecht und gut.

PILATUS: Dann ist er unglücklich und verwirrt, unglücklich und mittelmäßig.

JESUS: Darum muß man lehren und ordnen.

PILATUS: So meinst du, wir sollen alle lieben, die Elenden, Erbärmlichen und Gemeinen?

JESUS: Man soll die Elenden lieben, alle.

PILATUS: Du wirst deine Liebe am Kreuz erweisen, und die Leute die ihre, wenn sie dich kreuzigen. Uns ekelt die gemeine Gewalt deiner Liebe.


JESUS UND SIMEON.

Simeon beschaut Jesus ausgestellt; Jesus steht und sieht über die Menge weg. Er liebt die Menschen so sehr, daß er sie nicht mehr sieht, sondern das in der Luft schwebende Kreuz. Er ist aber noch nicht gläubig genug, daß er sie lange und andauernd zu betrachten wagt.

Barrabas sucht seine Freunde flink unter der Menge; diese laufen eifrig agitierend umher. Seine Miene sucht die Bürger zu gewinnen; ungefähr: was alles habe ich für euch getan. Man hört ein parteigeschultes Murmeln; Barrabas als Zwischenrufe in Pilatus' Rede eingedröhnt. Barrabas, dessen Name drei A enthält, gewinnt und nickt mit dem Kopf. Ungefähr: ich wußte, ihr wäret mir verpflichtet. Unter dem Gekreisch Barrabas erkennt Jesus die Menschen. Vor seinen Augen erklettert sein Körper das Kreuz und bedeckt es. Er sieht die Juden an und bedenkt, daß die Menge keinen so sehr haßt wie den von ihr selbst gesetzten Führer, der Entscheidendes von ihr erzwingt. Er sagt sich: da sie nicht wissen, was sie tun, muß ich sie noch mehr lieben, um meine Verlassenheit zu vergessen. Lächelnd betrachtet er einen Dichter, voller Ekel einen Journalisten der Armenpartei.

Simeon sieht das Kreuz in der Luft; er als der einzige. Die Jünger sind auf dunkeln Böden und in Kneipen der Vorstädte versteckt. Man rast präzis Barrabas. Klagend schreit Simeon auf: Ah, Ah, und verstärkt, gefangen in die drei a, Schall und Wirkung. Er erschrickt und sagt sich: dieser gute Mensch darf nicht sterben.

Abends besucht er Jesum an der Tür der Zelle.

SIMEON: Du darfst nicht sterben.

Jesus sieht durch das Fenster.

SIMEON: Du darfst nicht sterben.

JESUS: Wer, wenn nicht ich.

SIMEON: Keiner darf sterben.

JESUS: Aber ich.

SIMEON: Du hoffst uns zu erlösen.

JESUS: Vor dem Kreuz angelangt werde ich dessen gewiß sein.

SIMEON: Man kann nicht erlösen.

JESUS: Simeon, mach es mir nicht so schwer.

SIMEON: Gott war tot. Seine Güte und Kraft auferstanden in dir, Gott darf nicht wieder sterben.

JESUS: Also Gott soll euch nie erlösen? – Jeder Gott ist verurteilt zu sterben, weil Gottsein uns fern ist. Wir haben Gott so gebildet, daß er nicht sein kann.

SIMEON: Woran glauben wir denn?

JESUS: Freund, immer an die erschlagenen Götter.

SIMEON: Der Mensch mordet Gott?

JESUS: Und Gott die Menschen.

SIMEON: Wären die Menschen gemein, nur Ermordeten zu glauben?

JESUS: So gläubig.

SIMEON: Also den Menschen ist der Gute, der Leidenschaftliche, kurzum der Anständige so unerträglich, daß sie an ihn nur glauben können? Und man tötet, um daran zu glauben?

JESUS: Die Menschen sind am besten, liebenswert, aufrichtig allein, wenn sie morden, planvoll morden. Der Gläubige, Aufrichtige mordet; der Gemeine läßt durch andere langsam erwürgen.

SIMEON: Du und ich, wir sind Mörder?

JESUS: Ja. Das Erste, das den Menschen hervorhebt, ist Fähigkeit, auf lange Frist zu morden; das Zweite, den Mord in seinem Bewußtsein zu verhüllen; das Dritte, die Fähigkeit des Mordes grenzenlos zu steigern.

SIMEON: So siehst du die Menschen?

JESUS: Ich kann nicht anders. Ich möchte so elend sterben, daß die Menschen endlich ihre Gemeinheit begreifen.

SIMEON: Das hoffst du?

JESUS: Ich wünsche, ich hoffe es nicht. Der große Teil wird mich für den Dummen halten, und viele werden mein Sterben mißbrauchen, um darin andere lange zu quälen und zu töten.

SIMEON: Also Gott wird sterben?

JESUS (riesenhaft in Tränen zürnend): Die Geier leben vom Aas der Götter, den Lebendigen hassen sie; heilig ist ihnen das Verweste.

SIMEON: Der tote Gott verwest?

JESUS: Und die Menschen nennen den Verwesten den Lebenden. Der tote Gott ist der hilflos Mißbrauchte, ekel Verkündete; man wird an mir viel verdienen.

SIMEON: Verwesen die Menschen nicht an ihren toten Göttern?

JESUS: Die Gemeinen mästen sich am Gift der Leichen.


JESUS UND DER SCHLIESSER.

JESUS (kommt mit einer Kopfmaske).

SCHLIESSER (gibt ihm einen Hiebinden Nacken) : Stelle dich gegen die Wand.

JESUS: Du verschließt mich?

SCHLIESSER: Sonst noch was?

JESUS: Warum schließt du Lebende weg wie Strümpfe?

SCHLIESSER: Sondern?

JESUS: Ekelt es dich nicht, Lebendes einzuriegeln? Lebendes, das verdorrt.

SCHLIESSER: Verbrecher.

JESUS: Gibt es Verbrecher?

SCHLIESSER: Sondern?

JESUS: Wenn es welche gibt, so die, welche Menschen langsam zwischen Kalk töten.

SCHLIESSER: Geh' herein!

JESUS: Nie!

SCHLIESSER: Was?

JESUS: Schlage mich nieder, aber ich gehe nicht mehr in die Zelle.

SCHLIESSER: Du bist verrückt.

JESUS: Ich ertrage nicht mehr, das Hin- und Hergehen der Versperrten zu hören, Tag und Nacht. Ich ertrage nicht mehr, das Stöhnen der Träumenden zu hören. Ich ertrage nicht mehr, das rasende Weinen der vor Hunger Schlaflosen zu hören. Ich ertrage nicht mehr, das schluchzende Lachen der vor Kummer Irren zu hören. Ich ertrage nicht mehr, das Hinschlagen der Zerbrochenen auf die Bänke zu hören. Ich ertrage nicht mehr, die gekolbten Wunden der Mißhandelten zu hören. Ich ertrage nicht mehr, die Ermordung vom Verhör Rückkehrender auf den Treppen zu hören. Ich ertrage nicht mehr, das Töten derer auf den Höfen zu hören, die man in die Winkel treibt. Ich ertrage das ängstliche Murmeln der Gefangenen nicht, die Blutflecken auf den Treppen klatschend aufwischen. Ich ertrage nicht mehr die Stille zu hören bis zum Fluchtversuch.

SCHLIESSER: Und du wolltest alle erlösen.

JESUS: Töte mich, aber nicht verschlossen werden. Nachdem ich sehe, wie weit Menschen gehen können, ziehe ich vor, sofort zu sterben.

SCHLIESSER: So, so.

JESUS: Du verschließt Menschen, die andern fesseln Menschen und schleppen sie weg. Nicht genug, sie dem Richter entgegenzuführen, töten sie die Armen auf dem Weg zum Zuchthaus. Kommen Halberschlagene an, überlegen Ankläger Tag und Nacht sie so unglücklich wie möglich zu machen. Man macht Gesetze, worin die Armen und Unwissenden zerschnitten werden; denn die Gesetze schützen Reiche und Wissende.

SCHLIESSER: Irgend jemand muß verhaftet werden, könnten die Späher sonst bestehen? Irgend jemand muß beschuldigt werden, könnten sonst Kläger leben, irgend jemand muß getötet werden, könnten die Henker sonst leben? Irgend jemand muß verschlossen werden, was täte ich sonst? Lassen Reiche und Wissende sich verschließen und töten?

JESUS: Die Maschine ist aufgerichtet und will arbeiten. Die Leute, die versperren und töten sind schwach. – Sie lieben die Maschine weit mehr als die Menschen. Ihr nehmt die Schwachen, Starke lassen sich nicht greifen. Ihr nehmt die Mutigen, feige Hehler treten nicht vor. Ihr greift die Leidenden, sie brechen unter der Anklage am ehesten zusammen und fühlen immer sich schuldig durch ihr Leid.

SCHLIESSER: Wir fragen nicht, wen wir sperren. – Wir handeln nach Befehl.

JESUS: Ihr seht Befehle deutlicher als einen Unglücklichen? Wer befiehlt dir denn?

SCHLIESSER (wichtig) : Der Staat.

JESUS: Wer ist das, der Staat? Bist du der Staat oder die Oberen, die dir befehlen?

SCHLIESSER: Wir alle.

JESUS: Auch die du gefangen hältst, auch die, die getötet werden? Ist dies nicht das Volk der Menschen, und der Staat tötet viele des Volks. Der Staat hält sich mühselig an den Mauern der Gefängnisse aufrecht. Der Staat zwingt dich, Menschen zu versperren, die du nicht kennst. Wenn dich heute ekelt, Menschen gefangenzuhalten und zu vergraben, gehörst du noch zum Staat? Der Staat versperrt die Menschen, die vor lauter Not nicht an den Staat glauben können. Ich ertüge es, lebend tot zu sein. – Denn ich liebe dies Leben nicht. – Aber die Toten klagen, ihr langsames Sterben auswinseln zu hören, ertrage ich nicht. Ihr sperrt diese Leute ein, weil sie lebten und ihr erstarrte Tote seid. Ihr liebt eure Gefängnismauern, ihr liebt den Rücken der Leute zu sehen, die das Gesicht gegen die Wand drehen müssen. Ihr liebt des Menschen lebendiges Gesicht zu nehmen und in Masken zu verstecken. Arme Gesichter. Ihr Toten umhockt die zuckenden Totendörfer.

SCHLIESSER: All denen, die hier sitzen, den Elenden und Beladenen versprachst du Erlösung. – Du selbst, ein Elender, Gefesselter, du sprachst gut, hast du sie befreit?

JESUS: Ich zeigte ihnen das wahre Leben über dies Leben hinaus.

SCHLIESSER (zuckend) : Ist dies Leben nicht so, daß man ein anderes nicht denken kann?

JESUS: Das Leben ist gräßlich genug, daß man an ein reines Leben jenseits der Dinge glauben muß, um es zu vergessen.

GEFANGENER (steht daneben) : Wir denken nur unser Leben die Zelle. Was können wir noch an ein Jenseits denken, wo ich mich nicht mehr ohne die Zelle denken kann? Meine Beine sind gewohnt das Geviert zu messen, und das Geviert sind meine Füße. Meine Augen sind gewohnt, die Wände zu sehen, und die Wände sind meine Augen. Meine Träume sind gewohnt Ketten und Tränen zu träumen. Das Jenseits bin ich, ist mein früheres Leben, das schrumpfig verriegelt von mir west. Das ist unser Jenseits. Befiehlst du uns solches Leid, daß wir an das Unbekannte glauben müssen, dann bist du die, wie Richter und Schließer, die uns versperren.

JESUS: Du beschuldigst mich?

GEFANGENER: Das haben wir verlernt. Wir können niemand anklagen.

JESUS: Was denn?

GEFANGENER: Wir leiden.

JESUS: Und dann?

GEFANGENER: Nichts.

JESUS: Kann man dies Nichts verdichten? Kann man erlösen?

GEFANGENER: Man kann nur vergewaltigen. Auch Erlösung ist Gewalttat.

JESUS: Also wird man immer leiden.

GEFANGENER: Immer.

GEFANGENER singt, in die Zelle verschlossen:

Gnade ist Ecke des spitzen Himmels

Gnade ist Luft ohne Kotgeruch

Gnade ist eine Decke des Winters

Gnade ist Kranksein

Gnade ist die Folter des Richters

Gnade ist der Anschrei des Wächters

Gnade ist das Datum zu wissen

Gnade vor allem der Schlaf.


JESUS IN DER ZELLE.

JESUS: Die Menschen fallen durch die Tage. Ich muß ihnen die Tage verdecken. Sie trügen sich mit Morgen über bitteres Heut. Elend schläfert sie. Darf ich dem Elenden sagen, er sei elend? Im Wissen gerät er noch unglücklicher. Neues Elend, wo sein Ende. Kluge Rede und der Tod.

SCHRIFTSTELLER: Gute Worte und wir leben!

JESUS: Wovon?

SCHRIFTSTELLER: Von der Kraft des Lebens und seiner Worte.

JESUS: Vom Irregehen?

SCHRIFTSTELLER: Glaubst du denn nicht an das Leben, seine Erneuung und die Masse der Armen, die leben wird?

JESUS: Ich weiß nicht, ob sie wahrhaft leben wird; aber ich weiß, wer schreibt lügt. Das ausgehauchte Wort sollte mit dem Atem vergehen, denn morgen ist es unwahr.

SCHRIFTSTELLER: Warum?

JESUS: Worte sagen eines; Wind schüttelt die Erde, darum lügen sie.

SCHRIFTSTELLER: Sollen wir uns nicht entscheiden?

JESUS: Können wir geschriebener Entscheidung glauben?

SCHRIFTSTELLER: Bücher verpflichten.

JESUS: Vielleicht den Leser; vor allem, wenn sie in schönen Sätzen, das ist unwahr, geschrieben sind.

SCHRIFTSTELLER: Was denn ist wahr?

JESUS: Des Einzelnen Gefühl im Augenblick.

SCHRIFTSTELLER: Dies stelle ich dar, ich empfinde und teile mit.

JESUS: Durch Worte. Die tönende Hand gilt nicht, nur Beispiel. In deinen Worten opferst du die Armen; gib dich deinen Worten. Ist ein Mensch gewiß, daß er seinem gestrigen Wort glaube, wo er nicht Glaube und Beweis der anderen überrechnen kann? Opfere dich deinen Worten. .

SCHRIFTSTELLER: Ein Toter wird kaum für seine Überzeugung wirken. Sterben beweist Zweifel und Verzweiflung des Gestorbenen. Ein Glaube, der Tod fordert, welchen Wert besäße er?

JESUS: Der Hunger zwingt den Armen in die aufgerichtete Maschine erniedrigender Arbeit, die geschaffen wurde, daß, je mehr einer tut, um so mehr er erniedrigt wird. Euer Staat ist Ergebnis der Angst und des Hasses der Menschen untereinander. Dazwischen triefen und schmatzen Sätze und Worte der Schreiber, um dem Schmutz des Tuns einen Sinn zu geben und, was noch ekelhafter: Schönheit.

SCHRIFTSTELLER: Was sollen wir tun?

JESUS: Sagt, daß die Erde auslösche und man den Menschen abreiße, daß der Mensch bestimmt ist den Menschen zu vernichten.

SCHRIFTSTELLER: Wie?

JESUS: Zeigt an euch, daß der Mensch den Menschen tötet. Die Menschen arbeiten an toten Zwecken, am Staat und was ihn ausmacht: Geld. Den toten Zwecken entsprechen Sterbende. Die Haut eures Himmels ist Aussatz, eure Gedanken alter Schmutz.

SCHRIFTSTELLER: Kann man es nicht anders, gerade umgekehrt auffassen?

JESUS: Nichts anderes beschäftigt euch als die talmudische Debatte von der Auffassung der Welt und des Lebens. Ihr habt Meinungen und wuchert neben euren Meinungen von irrem Sturm versamtes Unkraut. Eure Meinungen rotieren und werden verkauft; die Köpfe der Leute sind angefüllt mit der Meinung der Leute und der Buchmacher, die reich genug sind Presse und Papier ru borgen. Euer Leben ist eine geschwätzige Folge von Aufführungen und Vorträgen, euer Tod ist feiges Feuilleton. Eines rührt euch; Geldmangel und Lebensmittelpreise. Ihr achtet die Freiheit der Presse und opfert die Freiheit der Menschen den bezahlten Plünderern der Seele. Ihr achtet die Freiheit des Handels und verkauft das Leben der Menschen. Ihr achtet den Besitz an Weibern und vergeßt, daß ihr Sterbende seid, vom Sterben besessene. Ihr schwätzt und rennt, das Sterben zu vergessen. Du schreibst ein Wort in die Presse der Hochstapler an Menschen, du vergewaltigst mit dem Geld deines Druckers und seiner Freunde. Schreibe gegen alle Armen und man lacht, schreibe gegen die Aktie eines Freundes deines Verlegers und du bist verloren.

SCHRIFTSTELLER: Was soll ich denn tun?

JESUS: Ich kann für dich nicht wissen, kaum für mich.

SCHRIFTSTELLER: Und du?

JESUS: Du kennst Richter.

SCHRIFTSTELLER: Was wird mit dir sein?

JESUS: Was ich will; was muß.

SCHRIFTSTELLER: Und?

JESUS: Ich töte mich durch die Richter.

SCHRIFTSTELLER: Bist du dessen sicher?

JESUS: Wer Glaube besitzt, wird erschlagen, wenn es nicht der Glaube an Geld ist. Glaube ist in Deutschland tödlich.

SCHRIFTSTELLER: Und dann?

JESUS: Habt ihr billigen leichten Stoff zu verspäteten Sätzen. – – Die Ermordeten sind stärker als die Faulenden.


BARRABAS UND JESUS.

I.

BARRABAS: Wir müssen Gewalt gebrauchen. Zwischen Wand und Gitter haben sie uns gepflockt.

JESUS: Ist nicht alles Gewalt?

BARRABAS: Gerede. Wir sind die Masse, wir müssen sie erschlagen.

JESUS: Du willst zum Mord anführen?

BARRABAS: Zur Notwehr.

JESUS: Ein Wort.

BARRABAS: Was hast du getan? Du hast uns das Leben geschmälert, du hast es entwertet, gesäuert, daß wir es ausspeien und schmerzlich erbrechen.

JESUS: Ich lehrte den Menschen und den Himmel lieben.

BARRABAS: Himmel ist unser Tod. Und Liebe? Gräßlich willenlose Gewalt.

JESUS: Ich lehrte.

BARRABAS: Du lehrtest und hast alle mit dem Wort vergewaltigt. Du zwangst die Rabbis und Pilatus Mörder zu werden.

JESUS: Ich sprach

BARRABAS: Du sprachst besser als sie; darum konnten sie nicht mehr mit Worten streiten. Zürnst du nun deinen Mördern?

JESUS: Nein.

BARRABAS: Weil sie im Recht sind, in der Notwehr gegen die Schärfe und die Gewalt deiner Rede sich verteidigen, wie sie es können. Du hast viele, und auch diese zu Mördern gemacht. Du lehrst und sprichst zu Mördern und vielen, die deiner Lehre wegen bald gemordet werden.

JESUS: Du wirfst ein Tuch stickender Verzweiflung über mich.

BARRABAS: Du hast uns verzweifelt geschaffen. Aus Verzweiflung springt Tun.

JESUS: Um dies elende Leben sollen wir kämpfen?

BARRABAS: So elend sind wir geschaffen, daß wir um den Schmutz der Erde kämpfen müssen, um darin zu stehen. Die Armen haben nicht gewagt, um ihr Elend zu kämpfen; sie nahmen hin, und nichts wurde ihnen gegeben.

JESUS: Ich liebe die Elenden, die ohne die Welt sind und den Kot ihres Leibes nicht besitzen.

BARRABAS: Du liebst die Armen, weil du Dinge liebst, soweit sie nicht sind.

JESUS: Werden die Reichen sich nicht eigener freiwilliger Einsicht fügen?

BARRABAS: Die Menschen erkennen nach ihrem Leben, nach Besitz und Fehlen. Jede Erkenntnis aus einer Wahrheit, eine Erkenntnis, die auf Erkennen dringt, ist unwirklicher Unsinn. Die Menschen wissen, soweit sie durch Dinge gezwungen sind. Der siegreiche Aufstand der Armen zwingt die Reichen zu deiner Erkenntnis; nicht aber die Überlegung der Reichen. Damit man dich verstehe, müssen wir kämpfen. Verantworte die Toten; wir kämpfen um dein tausendjähriges Reich.

JESUS: Tote, Tote, der Weg zum Paradies voller Leichen.

BARRABAS: Ja, blutiger Messias, und du wirst die erste sein.

JESUS: Das Elend glitt ohne sichtbaren Mord; die Gerechtigkeit prunkt in Totschlag.

BARRABAS: Gedachtes ist ein Märchen; eine Folgerung, es ist Tötung.

JESUS: So euer Leben.

BARRABAS: Was wir tun und denken, ist Mord. Was aus größter Liebe wächst, ist schwererer Mord. Die feinen Hüllen der Sätze platzen unter aufspringendem Blut.

JESUS: Und meine Lehre?

BARRABAS: Lehre ist Ausrede, wenn man nur in der Lehre hängt.

JESUS: Ich verstehe. Die Tötung beginnt. Ich fliehe, und bin der erste, der durch die Lehre erschlagen wird.


II.

BARRABAS: Der Herbst blutet in deinen Mantel, und Baumschatten der Zypresse zackt dich.

JESUS: Warum tötet man mich, und ich lehrte die Liebe.

BARRABAS (ihn umfassend) : Du verstehst es nicht. Es ekelt alle. [We]r kann lieben?

JESUS: Ich lehrte die Jenseitigkeit des Menschen; und man tötet mich.

BARRABAS: Neugier; man will sehen, wie deine Worte sich an dir erweisen. Du wolltest uns allen den Schmutz der Erde nehmen. Wir kleben darin. Wir sind ein Teilchen des Schmutzes. Störe nicht die Gemeinheit, gib nicht Träume, die unsere Gemeinheit erschrecken.

JESUS: Wenn es Träume sind, was erschreckt ihr?

BARRABAS: Der Alte beschäftigt uns ganz, er hat uns benommen. Die Armen leiden, drum träumen sie erschreckt. Die Reichen schicken ihnen die Träume.

JESUS: Und mir den Tod.

BARRABAS: Ich sehe nicht. Nacht schluckt. Wir haben kein Licht. Ich finde dich nicht.

JESUS: Suche meine Stimme; halte mich, Barrabas, damit ich noch diese Nacht bei dir bin.


III.

JESUS sieht zum Fenster hinaus.

BARRABAS: Der Mond kalkt dürren Zweig. Schatten schüttelt die linke Wand.

JESUS: Laß, ich bin müde.

BARRABAS: Du bist müde und willst unsterblich leben.

JESUS: Laß, ich bin traurig.

BARRABAS: Und lehrtest endlose Seligkeit.

JESUS: Ich lehre nichts. Es zeigt sich, was in mir geschieht.

BARRABAS: Was geschieht in dir? Du wirst gekreuzigt. Du bleichst, armer Messias.

JESUS: Mache mich nicht für den Mond schuldig.

BARRABAS: Der kalte Mond kleidet dich gut. Du nimmst unter ihm zu.

JESUS: Laß, ich werde nicht gekreuzigt. Ich kreuzige mich.

BARRABAS: Du kannst es nicht lassen. Sophist.

JESUS: Du glaubst mir nicht?

BARRABAS: Wie kann einer dem anderen glauben?

JESUS: Der Tod eines Menschen beweist nichts?

BARRABAS: Vielleicht dir; mir nicht. Wirst du in der Marter deinem Tode glauben?

JESUS: Wie kann man euch helfen?

BARRABAS: Du, wie dir selbst? Du stirbst, schreist auf, Erde wankt dir schwarz; und gröhlend wälzt Brut sich in den Betten, Wagen fahren ins Theater, und Verzweifelte hängen im Gelächter an den Haken. Rühre nicht an uns; du erstickst im Schmutz.


JESUS UND PAULUS IN DER ZELLE.

JESUS: Paulus?

PAULUS: Du willst fliehen?

JESUS: Bisher ließest du mich allein.

PAULUS: Ich wollte dich dem stechenden Schmerz der Verlassenheit geben, damit du Göttlichkeit spürst. Ich stieß dich in den Schmerz, damit du den Tod als unschlimm spürst; ich tauchte dich in Woge der Qual, daß du noch mehr Sünden von uns nimmst.

JESUS: Werdet ihr durch meinen Tod nicht sündig?

PAULUS: Du willst fliehen.

JESUS (eingeschüchtert) : Ja.

Paulus: Du darfst nicht.

JESUS: Stirb du, wenn gestorben werden muß.

PAULUS: Du bist zu schwach, den Fels der Lehre aufzuwälzen. Man glaubt dir, nicht mir; an wen geglaubt wird, muß sterben.

JESUS: Warum?

PAULUS: Der Glaube an Lebende enttäuscht und ermüdet. Der Lebende ist der Sünde unterworfen wie wir.

JESUS: Paulus, ich will fort. Das Gefängnis hat mich verwirrt. Ich will fort, von dir, von allen.

PAULUS: Du willst deiner Bestimmung dich entziehen? Hüte dich, ich habe die Wärter bezahlt, gut auf dich zu achten.

JESUS: Du hast das Auge gemietet, das durch die Tür starrt?

PAULUS: Dies Auge ist gut bezahlt und sieht gut. Ich weiß, Judas, dieser unentschlossene Feigling, will dich befreien. Die Wankelmütigen werden an der Feigheit zugrunde gehen.

JESUS: Warum triebst du Judas, mich zu verkaufen?

PAULUS: Der Glaube begann, dein Leben war erfüllt.

JESUS: Und du gibst mich dem Prätor. Gib mich an mich zurück.

PAULUS: Wer bist du? Und was ist die Lehre?

JESUS: Nichts ist sie, wenn sie ohne mich nicht sein kann.

PAULUS: Verstehe endlich, du kannst ohne sie nicht sein. – Ich weiß, du willst fliehen. Du wirst nicht fliehen, du wirst nicht fliehen, du wirst nicht fliehen.

JESUS (lethargisch) : Ich werde nicht fliehen.

PAULUS: Wirst du fliehen?

JESUS: Ich werde nicht fliehen.

PAULUS: Übermorgen wird die Tür der Zelle geöffnet.

JESUS: Übermorgen geöffnet.

PAULUS: Du hast das Totenkleid an, weil du übermorgen, wenn die Tür geöffnet wird, das Kreuz nehmen und nach Golgatha gehen willst.

JESUS: Ich nehme das Kreuz und will nach Golgatha gehen.

PAULUS: Du wirst auf Golgatha gekreuzigt, das Licht der Erde wird in deinem Haar schwimmen, und du wirst Gott.

JESUS: Ich werde auf Golgatha gekreuzigt und werde Gott.

PAULUS: Du erlösest und dein Leichnam fährt zu Gott.

JESUS: Fährt zu Gott.

PAULUS: Du bist am Kreuz.

JESUS: Am Kreuz.

PAULUS: Du warst immer am Kreuz, seit dem ersten Tag. Du bist am Kreuz, solange Bäume stehen. Es gibt kein Holz, das nicht dein Kreuz ist. Nie gibt es genug Holz für Kreuze, damit Christus besteht in Ewigkeit.

JESUS: Ich bin an allen Hölzern gekreuzigt in Ewigkeit.


JESUS TRÄGT DAS KREUZ.

SOPHIST: Warum willst du nicht weiter?

JESUS: Ich kann nicht; Kreuz, dies Kreuz.

SOPHIST: Du willst dich nicht kreuzigen lassen?

JESUS: Mutter!

SOPHIST: Du schriest doch, man müsse ein Beispiel sein; man könne nicht mehr auf dieser Erde leben, es sei unrecht unter Verhältnissen, die man als falsch erkannt habe, weiterzuleben. Man müsse den Leuten zeigen, daß ein Leben, das der Erkenntnis entgegensteht, nicht gelebt werden dürfe, wenn man die Umstände nicht ändern könne.

JESUS: Vielleicht sind sie zu ändern.

SOPHIST: Ah!

JESUS: Vielleicht können Stärkere als ich diese ändern.

SOPHIST: So, du bist schwach?

JESUS: Vielleicht, da ich an den Dingen litt und sie aus Leiden für schlecht erkannte.

SOPHIST: Das hieße, den Starken kümmern die Verhältnisse nicht? Also der Starke ist gewissenlos und nützt die schlimmen Verhältnisse? Gut, der Starke erkennt und ändert sie. Wenn aber der Starke diese nur erkennt, doch nicht an ihnen leidet, vielleicht ändert er sie, soweit er sie nützt.

JESUS: Er kann nicht erkennen, ohne daß Einsicht ihn bindet, zu ändern.

SOPHIST: Das hieße, er leidet an seiner Einsicht, wenn nicht an den Dingen. Vermag man denn aus einer bloßen Einsicht zu handeln, genügt dem Klugen nicht Erkennen allein? Jemand sagt, daß Menschen geknechtet sind, ist übel; vielleicht beweist er den anderen Tag, es sei gut. Vielleicht leiden die Menschen nicht. Vielleicht ist ihnen Leiden unterhaltsamer und lehrreicher als Genuß? Und so hältst du dich gefangen und erleidest im Kreuztod den größten Genuß.

JESUS: Mutter! Mutter!

SOPHIST: Was soll uns der Schmerz eines einzelnen beweisen? Glaubst du noch deinen Reden?

JESUS: Ob ich den Menschen diente?

SOPHIST: Du befürchtest, ihnen durch dein Gerede das Leben erschwert zu haben? Sieh auf die Stadt hinunter und den Berg herauf. Stehen beide?

JESUS: Mir liegen sie eingestürzt.

SOPHIST: Du täuschst dich. Beide stehen fest, was auch auf ihnen gesprochen wird.

JESUS: In fünf Jahren ist der Berg verödet, und die Häuser wanken in meiner Stimme.

SOPHIST: Gefällt es dir?

JESUS: Mutter! Mutter!

SOPHIST: Du möchtest in deiner Kehle die Erde ersticken und ersäufen.

JESUS: Gott, mein Golgatha!

SOPHIST: Und meinst, du hast die Menschen gewandelt, der Erde Gehirn erneut?

JESUS: Ich flehte die Menschen, das Leben um Gottes willen zu nehmen, daß sie in der Taufe es überspringen.

SOPHIST: Hörst du die Pfeifen und das Stampfen der Tanzböden? Dort überspringt man das Leben.

JESUS: Mein Gott, was werde ich gekreuzigt!

SOPHIST: Weil es Menschen gibt, die Menschen urteilen. Du hattest ein Urteil über die Menschen gesprochen; auch über dich hat man geurteilt. Schluß und Folgerung. Du warst übermütig, den Stumpfsinn des Treibens zu weisen, du wagtest, ihm einen Sinn einzudichten.

JESUS: Bin ich am Ende, da Menschen urteilen?

SOPHIST: Man mordet in jedem Atem ; man war gegen dich in Notwehr.

JESUS: Ich lehrte Liebe.

SOPHIST: Ah, man soll lieben? Man soll die Menschen lieben und sein eigenes Leben verabscheuen? Gewalt! Gewalt!


DAS GUTE GESCHÄFT.

MARIA: Mein Gott, wie furchtbar! Herr Jesus! O dies mein Sohn. Mein Gott, ich will dich nicht schmähen; ich bin nicht hoffärtig.

ERSTER HÄNDLER: Armes Frauenzimmer.

ZWEITER HÄNDLER: Du brauchst Geld.

ERSTER HÄNDLER: Verkaufe uns das Kreuz deines Jungen. Wir zahlen die höchsten Preise.

ZWEITER HÄNDLER: Hinter uns steht ein Weltkonsortium.

ERSTER HÄNDLER: Wir verpflichten uns, es nur an Museen oder erstklassige Kenner zu verkaufen.

MARIA: Das Kreuz, das mein Sohn beblutet, woran mein Sohn verendet!

ERSTER HÄNDLER: Da ist doch nichts bei. Sei froh, wenn es nicht fault oder Landstreicher es zu Kienholz machen.

MARIA: Lieber die Diebe.

ERSTER HÄNDLER: Du gibst uns das Kreuz oder wir zeigen dich an. Du warst auch dabei. Jawohl.

MARIA: Herr Jesus! Ich arme Frau!

ZWEITER HÄNDLER: Hast du nicht am Beispiel deines Bankert genug? Willst wohl auch was weghaben?

ERSTER HÄNDLER: Unser Angebot oder Schluß.

MARIA: Mein Gott, tu mit mir, was du willst.

ERSTER HÄNDLER; Also du hast dich verpflichtet, uns das Kreuz zu geben.

ZWEITER HÄNDLER: Der Preis ist nicht ausgemacht.

ERSTER HÄNDLER: Aber das Kreuz.


DIE FÜNF NÄGEL.

PAULUS: Wir müssen uns der Kirche opfern.

JUDAS: Wenn das Kreuz aufeckt, wenn es aufeckt!

FRAU (zur anderen): Er hat mir mein Wunder geweigert.

ZWEITE FRAU: Wir zwingen es ihm noch ab.

PHILOSOPH: Der Tod ist nichts anderes als die Bestätigung des Logos, der das Leben verneint und es ausschließt.

SCHÜLER: Also ist der Selbstmord die einzige vernünftige Handlung.

BÄCKERMEISTER: Dieser Mensch blieb mir drei Brote schuldig; ich habe wenigstens die Genugtuung, ihn krepieren zu sehen, wenn ich auch um mein Geld betrogen bin.

JUNGER MANN (zum Verhältnis): Da habe ich die Plätze hundsteuer bezahlt, und man läßt uns in der Sonne dörren.

BUCHMACHER: Geduld; noch werden Wetten angenommen, beim wievielten Nagel der Tod eintritt.

BÜRGER: Ist ja doch Schwindel. Zuletzt wird er begnadigt, und wir sind die Hereingefallenen.

PAULUS: Er wird sterben; es ist gewiß, meine Herren.

BUCHMACHER: Sie hören die Zuversicht seiner nächsten Freunde.

MARIA: Glauben Sie den Schwätzern nicht. Die Begnadigung ist vorbereitet.

PAULUS: Du verlierst deine Seele, Weib.

BUCHMACHER: Die Frau gibt sich sinnloser Hoffnung hin. (Zu Maria): Ich rate Ihnen zur Vorsicht, Sie verbreiten politisch beunruhigende Gerüchte; Sie wiegeln auf. Ich werde Sie verhaften lassen.

BÖRSIANER: Allein die Festigung der Börse fordert unter allen Umständen den Tod Jesi.

PAULUS: Die Handelskammer hat das hierzu Nötige unternommen.

SPITZEL (zum anderen) : Hast du die Frau gehört? Hefte dich ihr an.

ZWEITER SPITZEL: Ich bin ihr Absatz; sie wird auf auf mir gehen.

BÖRSIANER: Damit findet die Baissekonjunktur den gewünschten Abschluß.

PISSY PUCK: Ich muß ihn ganz nahe sehen, die Zuckungen sehen; Kunst geht allem voran.

DIREKTOR: Also heute nacht wird gezuckt.

PISSY PUCK: Vorher Carlton, Dicker.

DIREKTOR: Der Photograph der Illustration ist bestellt. Pissy am Kreuz oder Jesus wird in Anwesenheit unseres eleganten Filmstars Pissy Puck gekreuzigt. Kostüm von Poiret, Hut von Pecheur.

PHILOSOPH: Widerlich die geil erregten Leute. Was wird denn viel geschehen? Ein übler Lehrer, schwacher Konkurrent, der seinen Gedanken unterlag, wird getötet. Schmerz? Er ist nur subjektiv. Das reine Denken bleibt in seiner Wirklichkeit beschlossen und kann keine Wirkungen verursachen.

ODINSMANNE: Selbstverständlich muß ein Jude gekreuzigt werden. Die Aufdringlichkeit ekelt. Alles, um sich wichtig zu tun. Man müßte die Kerls in einem Flur an die Wand stellen.

ZWEITER ODINSMANNE: Es ist doch zweckmäßiger, die Schweine mit Innehaltung gesetzlicher Formen zu töten.

ERSTER ODINSMANNE: Ach was, die Gerichte schützen uns sowieso.

(Er begrüßt kerzlich den Prätor.)

PRÄTOR : Es war eine langwierige Verhandlung. Na, die Presse hat ja nicht weiter gestört. Übrigens, die paar Phrasen sind eher nützlich. So'n paar Liberale.

ODINSMANNE: Trotzdem, auch die Kerls gehören schärfer angefaßt.

PRÄTOR (freundlich lächelnd): Geduld, das kommt später; erst die einen, dann sehen wir weiter.

Geschrei:

Er kommt!

Endlich!

Gott sei Dank!

Schlagt den Juden tot!

(Paar Schüsse. Legionäre ziehen mit Fahnen auf.)

BEGLEITOFFIZIER: Beinahe wäre unser Programm über den Haufen gerannt worden. Die Leute gingen etwas scharf ran. Ich machte ihnen aber klar, daß der Kerl doch krepieren muß.

MARIA: Paulus, du hast mir den Sohn gestohlen.

MAGDALENA: Der arme Mensch, der arme Junge. Mein Gott.

MARIA: Josua, Josua!

Geschrei: Hängt ihn, schlagt ihn tot!

JUDAS: Paulus, wozu hast du mich verleitet?

PAULUS: Die Kirche bedarf des Zeichens.

BÜRGER: Verkommen sieht der Mensch aus; eine gemeine Verbrecherphysiognomie!

FRAU: Dem steht es auf der Stirn geschrieben.

MAGDALENA: Er wankt!

BÜRGER: Der ist ja besoffen!

Man hört dumpfe Schläge: Auf, du Schwein! Hoch mit dem Kerl.

Jesus geht.

PlSSY PUCK: Man sieht, wie unzulänglich der. Naturalismus ist. Lächerlich armselig sieht der Mensch aus; wie irgendein mittelmäßiger Verbrecher.

DIREKTOR: Naja, deswegen braucht man nicht gleich in Expressionismus machen.

PlSSY PUCK: So müßte das Gesicht stehen! (Fletscht die Zähne, rollt die feurigen Augen.)

Jesus geht.

BUCHMACHER: In zehn Minuten wird der Totalisator geschlossen. Wetten werden nur noch fünf Minuten angenommen.

VEREINSDAME: Haben Sie die Leibbinde und die Socken?

STIMME: Nicht aufzufinden.

VEREINSDAME: Dann wollen wir ihm paar Keks geben, liebe Baronin.

PRÄTOR (zum Arzt) : Ist untersucht, ob der Gesundheitszustand des Delinquenten eine reibungslose Abwicklung der Hinrichtung gestattet?

Die Kinooperateure beginnen,

STIMME: Und wird vom Leben durch das Kreuz zum Tod gebracht.

JESUS: 0 Herr, Herr, Herr, ich bin am Kreuz!

PAULUS: Gott, ich danke dir von ganzer Seele für den Kreuztod Jesi, worin du dich uns sündigen Menschen verbindest. Du steigst in deine erste Kapelle: das Kreuz. Es ist aus geringem Holz und nur mit dem Rot der Marter geziert. Aber das dir und durch dich vergossene Blut ist kostbar. Das Holz des Kreuzes wird das Bauholz deiner Kirche. Mit Mühe und Achtsamkeit habe ich dir deine erste Apsis aufgerichtet. Dein geringer Diener wird auf deine erste Kirche achten, und du vollziehst an ihr das erste Gebet.

JESUS: Mein Gott, du hast mich verlassen!

PAULUS: Du näherst dich und steigst in deine Kirche, die dein Diener dir bereitet. Gott verließ seinen Himmel und steht unter uns Sündern. Blicke gnädig auf uns Elende.

JESUS: Bitterkeit, quälende Bitterkeit! Paulus, du tötest mich.

PAULUS: In deinem Tod erwacht der neue Gott.

JESUS: Ich bin gemordet, wie alle Schwachen gemordet werden. Paulus hilf.

PAULUS: In deiner Qual ziehen die Sünden ab durch den geöffneten Rauchfang.

JESUS: Oh, ach!

PAULUS: Du blutest, Lieber; wie gut.

JESUS: Oh, ach!

PAULUS: Leben und Gnade schwitzen aus deinen Poren.

JESUS: Du bist irr!

PAULUS: Dein Blut strömt über meine betenden Hände und spült die Küste des ewigen Lebens heran.

JESUS: Es gibt kein ewiges – Oh, die Nägel – Nägel – ich verfluche dich, Mörder.

PAULUS: Gott, du bist gnädig und erkennest unsere Sündhaftigkeit.

JESUS: Löcher fetzen – Nägel tropfen – eitern.

PAULUS: Erlösung allen.

JESUS: Ich erlöse nicht – ich erlöse – –

PAULUS: In der Ohnmacht spricht der Gott wahr wie die Pythia.

MAGDALENA: Der arme Mensch! Junge!

JESUS: Geht, geht!

BÜRGER: Blödes Theater.

KINOREGISSEUR: Mehr Mimik!

JESUS: Oh, ach, Nägel seid ihr, Nagel die Sonne, Nagel die Mutter.

ARZT: Der Delinquent hält noch drei Nägel aus. Schlagadern frei halten.

MARIA: Paulus, du erschlägst meinen Jungen!

PAULUS: Das Weib schweige in der Kirche.

JESUS: Du hast den Schwächsten gewählt – Wasser.

PAULUS: Aus deinen Bechern trinken wir das ewige Leben.

JESUS: Sonne – Durst – Nacht soll kommen.

PAULUS: Zu deinen Füßen, unter dem versöhnenden leichten Regen deines Blutes achte ich auf die dämmerige Mondsichel.

JESUS: Qual, ich bin rot in blinder Qual. Nachten –

PAULUS: Die friedsame Nacht taucht uns in das Geheimnis deiner Erlösung.

JESUS: Dunkle Hölle! Ihr seid verdammt!

PAULUS: Irrer erlöst. Zu meinem Kreuz wandern die Völker der Erde, um das ewige Leben zu gewinnen.

JESUS: Gott, Mörder, Gott!

PAULUS: Zu meinem gekreuzigten Gott pilgern die Völker der Erde, um das ewige Heil zu erlangen. Herr Jesu Christ erbarme dich unser; ich befehle in deine blutigen mitleidigen Hände meinen Geist.

WEIB: Er hat mir mein Wunder verweigert.

ZWEITES WEIB: Trinke sein Blut, tauche dein Tuch in die geöffnete Wunde und du gewinnst seine Kraft.

ARZT: Genug; stoßt ihm das Schwert in die Hüfte; genug.

PRÄTOR: Endet, ich kann nicht mehr.

PAULUS: Dein Gericht ist zerbrochen und dein Gesetz gelöst in seinem Blut, das über dich kommen wird. Du hast Gott getötet.

PRÄTOR : Es war Aufruhr.

PAULUS: Aus diesem Kreuzholz wird die Flamme des Aufruhrs ewig brennen und euer Leben verzehren.

JESUS: Der Speer – – – (bäumt sich auf; der Speer streift ihn kaum).

PAULUS: Herr, der Speer trifft dein Herz und der spitze Turm der Kirche zuckt zu Gott. Du hast es vollbracht und lebst in deiner Kirche, die dich unverletzbar lebendiges Kleinod birgt.

Geschrei: Extrablatt, Extrablatt, Pissy Puck, die größte deutsche Filmschauspielerin in Wien.

JESUS: Herr, Herr!

Geschrei: Lebensbedrohende Begeisterung der Wiener für Pissy Puck. Zwei Menschen überfahren. (Die Menge stürmt die Extrablätter).

Geschrei: Endlich was Vernünftiges. Für die Puck lohnt es sich zu krepieren – die Frau bietet mehr – die kann auch was – laßt den Kerl hängen – Auto – Auto!

Die Erde bebt vor Ekel.

In Gruppen rechts schwenkt marsch!

PAULUS: Herr, vergib mir meine Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.


ZWEI MAGISTER MIT GEFOLGSCHAFT VON PERIPATHETISCHEN JÜNGERN.

ERSTER MAGISTER: Meine Herren, ein Diluvialinsekt!

(Gelächter.)

ZWEITER MAGISTER: Wir werden der Hinrichtung beiwohnen, um also die Veränderung der linken Hodensackdrüse bei sterbenden männlichen Individuen zu beobachten.

ERSTER MAGISTER: Ein Opfer überhitzter Popularphilosophiel

ZWEITER MAGISTER: Völker können nur auf wissenschaftlicher Grundlage geleitet werden. Mehr Kant, mehr Kant!

ERSTER MAGISTER: Der Mensch ist lediglich Versuchsobjekt zur Erzielung eleganter Lösungen. Dieser Mensch nun scheint auf Grund gewisser Nervenvorgänge zu dem Empfindungskomplex Schmerz zu gelangen, welcher Schmerz eine subjektive Apperzeption ist, die im reinen Empfindungsvorgang tatsächlich nicht vorhanden ist. Diesen Schmerz möchte ich als subjektives, illusionäres Empfindungsurteil bezeichnen; als objektiv wissenschaftliche Tatsache ist er auszuschalten.

ZWEITER MAGISTER: Aus den Ausführungen des verehrten Kollegen, die natürlich nur auf meinen früheren Forschungen beruhen, ergibt sich ohne weiteres, daß die Wissenschaft verbietet, irgendein Leiden festzustellen. Dies bleibt dem in unwissenschaftlichen Vorurteilen dumpf befangenen Volke belassen. Also das ganze Geschrei über unberechtigtes Kavaumachen beruht auf pöbelhafter Ignoranz. Durften wir diese außerordentliche Gelegenheit, im Interesse unserer hehren Wissenschaft, ausgiebiges Studienmaterial zu gewinnen, missen? Ich sage, nein. Noch besitzen wir, meine Herren, das ungetrübte Verantwortlichkeitsgefühl des voraussetzungslosen, reinen Wissenschaftlers. Für die medizinische Wissenschaft auf physiologischer Grundlage gibt es keinen Schmerz.

ERSTER MAGISTER: Höchstens für die Medizin als Praxis, wobei Schmerz nur bei zahlenden Patienten feststellbar ist.

ZWEITER MAGISTER: Der Unbemittelte oder politisch Verdächtige interessiert nur als Versuchsobjekt, vor allem als Kadaver.

ERSTER MAGISTER: Meine Herren, die wissenschaftliche Tätigkeit, zu der wir sie im Schweiße der Götter heranbilden, ist dergestalt edel und bedeutsam, daß der Mensch nur als niederes Mittel vor ihr besteht.

ZWEITER MAGISTER: Für den Wissenschaftler gilt es, festzustellen, welchen physiologischen Typus dieser sogenannte Jesus darstellt. Wir haben die degenerativen physiologischen Merkmale zu suchen, vor allem die Entartung des Gehirns, die ein abnormes Denken verursacht.

ZWEITER MAGISTER [sic!]: Ich möchte hier einschalten, verehrter Kollege, daß man bei den niederen Klassen die degenerativen Dispositionen zumeist übersieht. Natürlich ist dieser Mensch ein Unehelicher. Der Mensch ist nun für den Biologen zunächst ein Züchtigungsprodukt. Es handelt sich darum, die Auslese der wertvollen Typen zu betreiben. Der wertvolle, kräftige Typus erhält sich und vernichtet die niedrigen minderwertigen Exemplare. Dieses Axiom erledigt jeden Anspruch sozialistischer Sentimentalität und erweist die Sinnlosigkeit sozialer Erwägung angesichts der biologischen Tatsachen.

ERSTER MAGISTER: Zunächst müssen wir die Rassenmerkmale feststellen. Da fällt uns natürlich sofort die Fremdrassigkeit des sogenannten Jesus in das wissenschaftliche Auge. Selbstverständlich, ein Jude! Wie all diese turbulenten Hetzer! Ein niedriger Typus verglichen mit dem Volk der hochgestalten Denker und der blonden Träumer, die in naiver gottähnlicher Ubereinstimmung mit der Welt, diese dankbar gläubig als gegeben hinnehmen und aus dem Innern in den mechanischen Ablauf des natürlichen Geschehens das sittliche Sollen hinsetzen. Ein Sollen, das uns gemäß ist, da es aus völkischem Sinn urstämmig wirkt. Hingegen der rassenfremde Typus landfremder Hetzer, die ohne Verständnis für die gefühlsmäßigen, sittlichen und autochthonen Grundlagen das Bestehende gefühlsroh verachten und umwerfen. Diese Individuen sind zu staatsgefährdendem Aufruhr einfach verdammt, da ihr Typus dem wertvollen Edeltypus der Eingeborenen sich nicht nähern kann und darf. Eine fremde Rasse kann sich nicht anpassen, sie kann die völkischen Ideen unserer Chamberlain und Courts-Mahler nicht verstehen.

ZWEITER MAGISTER: Sie wollen es auch nicht. Betrachten sie die abstehenden Ohren des Hettiters; die Lidrandentzündung des Entarteten, der einer göttlich lodernden Sonne ins lautere Antlitz nicht blicken darf. Sehen Sie die fliehende Stirn, unfähig, die entsagungsvollen Gedanken eines Büchmann, den umfassenden Opfermut unserer Schwerindustrie, die granitne Edelheit unserer Nibelungendiplomaten zu erfassen. Diese rachitischen Beine, krumme und innen stehende Füße, und stellen Sie im Geiste die gezüchteten Edelbeine unserer Reitermarschälle daneben.

ERSTER MAGISTER: Huber, klettern Sie hoch und messen Sie dem Kerl Puls und Herztätigkeit!

ZWEITER MAGISTER: Man könnte ihm da oben gleich eine Wassermannsche machen; sicher ein Syphilitiker! Man beachtet zuwenig die politisch pathogenen Typen. Aufrührer sind zumeist alte Syphilitiker, bei denen Paralyse im Ausbruch steht.

ERSTER MAGISTER: Nur so ist es zu erklären, daß der moralischem Anästhesie dieser Individuen eine physiologische entspricht; die Kerls leiden gar nicht. Überhaupt, meine Herren, die Strafmethoden erreichen ihren Zweck oft nicht, da die niederen und degenerierten Klassen nicht nur über geringe Schmerzempfindlichkeit verfügend sondern bei ihnen geradezu Schmerzenstaubheit zu konstatieren ist, da sie Unlustempfindungen von Kinderbeinen an gewohnt sind. Hier finden Sie die Anpassungstheorie elegant bestätigt Somit ist das ganze Gewinsel über eine etwaige Härte des Strafvollzuges wissenschaftlich unhaltbar. Im Gegenteil, man müßte, um den gewünschten Zweck zu erreichen, neue Strafmethoden finden, denen die niedere Klasse noch nicht angepaßt ist, damit auf diesem Wege die Strafgesetzgebung ihr Ziel erreiche. Die wichtigen Prinzipien, die eine Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit bewirken, sind: a) Variation in der Bestrafung, das ist Reizung neuer Empfindungspunkte, b) Strafunterbrechung, das heißt, der Verbrecher verbringt kurze Zeit ohne Strafe, bis der Körper aus dem Zustand der Schmerzunempfindlichkeit erwacht. Wir müssen es noch erreichen, daß wir an diesen entarteten Exemplaren die Vivisektion zum Nutzen der Wissenschaft und der leidenden Menschheit durchsetzen. Wissenschaftlich haltbare Methoden zur Steigerung des Schmerzes innerhalb des Strafvollzuges dürfte man in unserem Institut baldigst erreichen. Eines muß uns hierbei zur Richtschnur dienen : a) die Objekte der Rechtspflege sind individuell zu behandeln. Nehmen Sie einen Offizier, womöglich alten Adels; ein Wort des Richters, und der Feinfühlige ist für sein ganzes Leben hart gestraft. Die reiche, seelische Welt des feinnervigen Mannes gerät ins Schwanken ; Zwangsvorstellungen der Reue, der furchtbarsten Selbstpeinigung setzen ein. Wir müssen gerecht sein, meine Herren ! Nehmen wir den Matrosenstrafer, den christlichen Helden oder unsere herrlichen, seelisch so komplizierten Spitzel mit ihrem vielfältigen Innenleben. Schon die Verhandlung ist ein Zuviel gegenüber solchen Männern; die Verhandlung allein deucht ihnen schlimmer als der Tod. Sämtliche Momente der edlen Rasse reagieren, die Ehre, die Scham über öffentliche Ausstellung und anderes mehr.

Hingegen dieser kleine, mißgebildete Proletarier, dem die Verhandlung nicht ehrenrührige Schande bedeutet, vielmehr prächtiges Herausgehobensein aus der schmutzigen Namenlosigkeit seines grauen Alltags. Durch die Verhandlung, den ganzen aufgetanen Apparat gewinnt der Niedere vor sich selber ungeahnte Bedeutung, und der Tag des Urteils erwächst ihm gewissermaßen zum Höhepunkt seiner Lebenskurve. Eine geringe Strafe läßt den Mann der Straße enttäuscht in die Nivellierung des Alltags zurücksinken; geringe Strafe erzeugt ihm Unlust. Vor dem Richter entdeckt der kleine Mann ein ihm Neues, sein Ich, seine Person; er sagt sich, sieh da, alles beschäftigt sich mit mir. Hingegen der Vornehme wird durch die Scham vernichtet.

Ist es nun gerecht, dem niederen Verbrecher durch die Verhandlung die höchste Steigerung seines Ichs und somit Lustgefühls zu bereiten? Nein, meine Herren; und hier muß, muß eingegriffen werden. Darum aus Billigkeitsgründen zunächst Ausschluß jeder Öffentlichkeit vor Gericht.

ZWEITER MAGISTER: Verehrter Kollege; wir verlieren uns in das Allzumenschliche. Sicher erweist man diesen landfremden Individuen mit öffentlicher Hinrichtung zu viel Ehre. Wissenschaft ist höchste Sittlichkeit und dient, das niedergebrochene Volk wieder aufzurichten. Wir Mediziner haben uns die erhabene Aufgabe gestellt, den siechen Volkskörper zu heilen. Die rassefremden Teile müssen amputiert und ausgeschieden werden. Rechtspflege soziologisch betrachtet ist nichts anderes als Vernichtung der schädlichen Elemente; fachgemäße Auslese. Wir müssen die Vorherrschaft des reinen Edeltypus wiederherstellen. Der Sentimentale beklagt die physiologische Verrottung der niederen Schichten; wir können darin nur die Gerechtigkeit der natürlichen Auslese erblicken. Der Wissenschaftler hat es immer mit dem Starken gehalten, der Begeisterung für den Tüchtigen. Wissenschaft ist Wertsetzung. Sind die Werte gesetzt, wird sie Wertverteidigung. Wissenschaft ist Bestätigen des Gegebenen; aus den gegebenen Tatsachen des Seins zieht sie Schlüsse. Sie wird sich aber nie anmaßen, gegen die Tatsachen zu folgern, gewissermaßen in Widerspruch mit der Erfahrung. Wohin kämen wir damit? Ins Bodenlose, meine Herren! Wissenschaft wird nie tendenziös verfahren, das heißt gegen die Gegebenheit mit phantastischen Konstruktionen Sturm laufen.

ERSTER MAGISTER: An diesem Jesus sehen Sie einen Menschen, der die Inhalte der Erfahrung bestritt; der über Erfahrung hinaus Urteile fällte, die das Gegebene umreißen sollten. Das Gegebene hat aber ihn umgerissen. Das Leben läßt sich eben keine illegitimen Gemeinplätze bieten.

ZWEITER MAGISTER: Beobachten Sie gut! Merkwürdig zäh dieser Mensch. Messen Sie genau, meine Herren. Blutprobe nicht vergessen! Meine Herren, mehr Vorsicht! Ich verkenne Ihren patriotischen Eifer nicht, dem Fremdstämmling die Adern etwas weiter als nötig aufzureißen und etwas stürmisch ihm die Schädeldecke zu entfernen. Gedulden Sie sich, meine Herren, dies degenerierte Exemplar muß frisch und intakt in meine Anatomie.

ERSTER JÜNGLING DER PERIPATHETIKER: Angesichts des niederen Rebellen entbieten wir dem erlauchten Cäsar mit strahlendem, blauem Auge ein feuchtfröhliches, landsmännisches Hurra!

ZWEITER JÜNGLING: Wir geloben, die ewige Herrschaft der blonden Wodanstämmlinge zu festigen immerdar und fürderhin und im Strahl des lachenden Baldurs zu kämpfen um die lohe Flamme der Heimat.

ERSTER JÜNGLING: Die treulatinische Landsmannschaft wird die Beseitigung des jüdischen Aufrührers durch feuchtes Symposion feiern!


VOR DEM KREUZ.

DIE DAME, DER FEINE.

DIE DAME: Ekelhaft; ein aufgespießter Falter!

DER FEINE: Er scheint, unbehaglich sich zu fühlen. Degoutiert misse ich dichte Selbstbeherrschung; er mangelt des rhythmischen Maßes.

DIE DAME: Die Komposition strahlt enorm.

DER FEINE: Brillantes Bildmotiv. Die Leute müßten ausgewogener sich umhergruppieren.

DIE DAME: Stehen ahnungslos eigener formaler Wirkung gegenüber; Unterbewußtsein, helas!

DER FEINE: Barock die Sonne, die den Mond fixiert.

BÜRGER: Verkommen sieht der Mensch aus! So'ne Tolle! Die geschwollene Backe! Ulkig!

BÜRGERIN: Widerlich ungepflegt!

DER FEINE: Das Fleisch wie kranke Türkise. Ein Häßliches bezaubert in verderbten Reizen. Wir fliehen öde Klassik. Das Groteske fordert sein kosmisches Recht. Nette Staffage! Die Sonne tropft zögernd in gefrorenen Mond; klirrende Schatten wirren. Wie jenes blasse Sonett des Swinburne.

DIE DAME: Die verzerrte Aventüre dieses Menschen widert peinlich.

DER FEINE: Ich verstehe nicht, wie können Menschen über schmal gelächeltes Leben bitter sich regen.

DIE DAME: Schmal lächeln, unwahrnehmbar wie alte Ringe und dann Finish.

DER FEINE: Was möchte uns dies gegen das Spiel beweisen?

DIE DAME: Eher gegen uns.

DER FEINE: Die Spieler wechseln, um das Spiel zu färben.

DIE DAME: Tatsachen dilettantisch; was ist Kreuzigen ohne Greko?

DER FEINE: Die Tatsache wurde von den Dilettanten vollzogen man beginne nun mit dem Passionale der Form.

DIE DAME: Diese Leute agieren und sterben eigentlich für die Kunstgeschichte.

DER FEINE: Ein originelles Thema; Architektur umklingt es.

DIE DAME: Die Kunstgeschichte ist unsere stärkste Chance.

DER FEINE: Sie interessiert auch weit mehr als Kunst. Das Ziel Qual aller ist die Monographie.

DIE DAME: Man wird spater von diesem Menschen sprechen, weil es ihm schlecht erging.

DER FEINE: Einfach, meine Liebe; ahnungslos litt er für den neuen Stil. Allerdings, im ganzen spricht Geschichte von den Starken, die Leiden machen; erinnern Sie sich der Pyramiden.

DIE DAME: Je mehr einer Leiden macht, um so stärker ist er. Die mindern, die geopfert werden.

DER FEINE: Quantite negligeable! Masse, Stoff, im besten Fall Motiv. Es lohnt sich nicht.

DIE DAME: Die Starken berühren sich mit der Kostbarkeit erlesener Gedichte, dem Schauer blinder Juwelen.

DER FEINE: Geschichte kann nur ästhetisch gewertet werden.

DIE DAME: Trotz allem, er startet mit Komposition.

Jesi Leib durchdringt Krampf, Er will trotz entsetzlicher Schmerzen die Hände aus den Nägeln reißen, vielleicht, um sie gegen den Kopf zu schlagen, die Augen sich einzubohren oder die Ohren sich zuzuhalten.

Er stöhnt wütend und resigniert.

DER FEINE: Die Maske könnte prägnanter sein.

DIE DAME: Ein Proletarier eben. Was trägt er da um den Kopf? Dornen?

DER FEINE: Volkskunst, meine Liebe.

DIE DAME: Ein minderer Phraseur.

DER FEINE: Ohne abgewogene Distanz gegenüber dem Geschehen. Ohne die Vision der Indifferenz.

DIE DAME: Cest plus qu'une faute, cest un crime.


DER HÄNDLER IM AUTO VOR DEM KREUZ.

HÄNDLER: Schließlich ein ganz interessantes Sujet.

ZWEITER HÄNDLER: Aber nix für unsere Leut'.

ERSTER HÄNDLER: Die Zeiten sind bedenklich. Der Sozialismus hat etwas Chancen; das heißt, unsere sozialistischen Freunde. Ich habe die Revolution verlegt, und wir wurden die Revolution los; warum soll ich einen Glauben nicht verkaufen.

ZWEITER HÄNDLER: Ein mieser Bocher! Wenn's nur kein Jude wäre.

ERSTER HÄNDLER: Ich habe Hüpfmann zum größten deutschen Maler verkooft; war auch ein Jude.

ZWEITER HÄNDLER: Hüpfmann wird das nur nicht so darstellen können; der hat sich auf wohlhabende Köppe geworfen.

ERSTER HÄNDLER: Wird man's eben beim toten van Gogh bestellen.

KLEINER HÄNDLER: Wenn nix zieht, verkauft man's als Negerplastik.

ERSTER: Det Janze von Potter wär' nicht schlecht.

PISSY PUCK: Blöd; aber an dem janzen Kreuz kommt kein Seehund vor. Eigentlich is das Thema expressionistisch. Allerdings die Maria markiert schlecht. (Zu Maria): Liebe Frau, Sie müßten das so machen. Mehr Verzweiflung, mehr Verzweiflung! Negerhafter!

KLEINER HÄNDLER: Niggerhafter!

ERSTER HÄNDLER: Pissy, du machst es besser als die Mutter Gottes, viel besser.

KLEINER HÄNDLER: Naja, die kleene Proletarierfrau; übern Haufen knallen!

ERSTER HÄNDLER: Kinder, der Kerl ; wie heeßt er, Jesus?, der markiert. Is ja gar nich gekreuzigt; is ne elende Fälschung von der Konkurrenz.

(Lupen heraus. Suchen Jesum wie die Läuse ab.)

ERSTER HÄNDLER: Mieser Junge, unreell. So'n bodenloser Schwärmer. Behauptete da, die Reichen müßten alles hergeben. Na, mein Geschäft läßt sich nicht sozialisieren. So'n Schwätzer soll mal Kautsky lesen. Janz unorjineller Schwätzer. Habe alles bei Eröffnung der ersten Kunstausstellung viel besser gesagt. Unorjineller Phantast ohne jründliche Kenntnisse.

ZWEITER HÄNDLER: Ganz gutes Sujet; aber ob das Juden kaufen?

ERSTER HÄNDLER: Sollen sich taufen lassen; dann koofen sie's.

PISSY PUCK: Emil, hat er nich was von Schulze an sich?

ERSTER HÄNDLER: Schwache Nachahmung. Schulze hat mehr Seele, mehr ursprüngliche Kraft als der kleene Literat. Det Janze is zu sehr Kaffeehausaufmachung.

ZWEITER HÄNDLER: Det Janze is expressionistisch.

ERSTER HÄNDLER: Naja, ooch so'n Mitschreier der neuen Phrasen. Man könnte die Sache ooch jotisch uffziehn.

EIN KRITIKER (in der Toilette des Restaurants Kreuzberg) : Die Seele der Jotik is von mich; dreizehn Mark fuffzig die vierte Auflage.

(Kinematographen kommen.)

DIREKTOR: Ah, die große Puck. Gnädige Frau, wissen; total unmögliche Sache, dieser Kreuzmensch. Abgekurbelt, uninteressant. Könnten Gnädige nicht mitgedreht werden? Die Olle kann aus dem Bildausschnitt 'rausjehn. Sie könnten viel besser Mutter Gottes markieren.

ERSTER HÄNDLER: Kostenpunkt! Kostenpunkt! Mutter Gottes ist schwere Kiste, undankbare Rolle.

DIREKTOR: Wir sind großzügig; großzügig!

(Man verhandelt.)

ERSTER HÄNDLER (zur Mutter Gottes) : Junge Frau, jehn Se aus dem Film 'raus. Pissy macht det besser.

MARIA: Lassen Sie mich, bitte, bei meinem Sohn.

ERSTER HÄNDLER (zum zweiten): Toppsohn, jeben wir ihr ein Stipendium von fünfzig M.; ich bin großzügig.

ZWEITER HÄNDLER: Warum gratis? Kann bei uns das Geschäft abwaschen?

ERSTER HÄNDLER: Der Mensch muß arbeiten, um zu leben; arbeiten

wie ich.

EINE GREISENSTIMME: Sozialismus ist Arbeit.

ERSTER HÄNDLER: Richtig, Oller; können ja ein Buch schreiben, Bilanz des Christentums und der wissenschaftliche Marxismus. Großartig macht et Pissy.

KRITIKER: Was machen aus der Jeschichte! Halten Sie mal nen Marees daneben.

ERSTER HÄNDLER: Hab' keenen!

KRITIKER: Dann subskribieren Sie für die Makartgesellschaft, Mappe Kreuzigung, Liebhaberausgabe auf Kaiserlich Japan 600000 Mark.

ERSTER HÄNDLER: Na, kommt mir nicht drauf an.

EXPRESSIONIST MIT MALSCHULE: De Gombosidionis fast balausch.

ERSTER HÄNDLER: De Konkurrenz läßt schon arbeeten. Die Stilfritzen kriegt man mit dem Thema 'ran. Für Privatsammler is dat Thema nich jut, zu statiös; da is ne Kuh von Hüpfmann immer noch besser.

SAMMLER UND FRAU (lorgnettierend) : Charmant!

Entzückend!

Wie Renoir das Fleisch!

Quatsch, Greco, Greco!

ERSTER HÄNDLER: Reine Frühjotik. Man macht jetzt in Jotik, Gnädigste.

STIMME: Ist ein Jude, ein Jude, gestohlen!

SAMMLER: Der Stil ist nicht übel.

SAMMLERS FRAU: Geht nur auf die Nerven.

ERSTER HÄNDLER: Sehen Sie, Pissy!

SAMMLERS FRAU: Enorm! Einfach kosmisch. Pissy ist eben immer mystisch! Wer ist denn die alte Dame in der Mitte der Darstellung?

KRITIKER: Mutter der Hauptfigur. Macht sich aber schlecht. Proleten können nicht komponieren. Bildung, Stilgefühl fehlen. Haben dafür Pissy 'reingestellt.

MARIA: Lassen Sie mich zu meinem sterbenden Sohn!

KRITIKER: Form ist gewichtiger als Jefühl!

MARIA: Es ist mein Sohn!

KRITIKER: Form übergipfelt heiter Tatsache! Kunst ist wichtiger als Familie um Kadaver. Wenn Sie wenigstens wie die Andra aussähen!

MARIA: Wir sind zu arm.

KRITIKER : Kunst tanzt über Ursachenkomplex hinweg. Formergebnis, Farbe, ihr einzig fanatisches Ziel; 'raus!

MARIA: Sie sind grausam!

KRITIKER: Kunst ist streng! Übrigens, vor formwissendem Auge besteht die ganze Anlage nicht. Mehr Greco, Greco, Mareesscher Anhauch ins Landschaftliche.

ERSTER HÄNDLER: Der große Regisseur fehlt.

STIMME: Verreist.

ERSTER HÄNDLER: Kainz machte sich auch besser am Kreuz; könnte besser sprechen als der expressionistische Wirrkopf. Richtig, habe früher dem Menschen ein Stipendium von zwanzig Mark gegeben; wäre ohne mich überhaupt nicht zu dieser hohen Position gelangt. Begann seine Lehrtätigkeit, basiert auf meine, meine zwanzig Mark. Selbstverständlich; die Sachen, die er sprach, waren überstiegen; die vernünftigen Grundlagen hat er von mir. Als noch kein Mensch an Sozialismus dachte, brachte ich ihm die Chose bei. Später hat Marx meine Auslassungen pedantisch systematisiert. Dinge, die ich längst bei der Eröffnung der ersten Kunstausstellung vortrug.

MARIA: Lassen Sie mich zu meinem Sohn!

ERSTER HÄNDLER: Meinen Sie, Ihre Empfindungsduselei macht det Bild verkäuflicher? Mutterschmerz is weiß Gott unverkäuflich. Schneidige Technik wird bezahlt. Sentimentalität is veraltet.

MARIA: Mein Sohn besaß eine mir unliebsame Abneigung gegen Geschäfte; eine Abneigung, die ihn an das Kreuz hängte. Ich möchte im Sinn des Sterbenden...

FILMDIREKTOR: Sind Sie in den Filmverband eingetragen?

MARIA: Nein.

FILMDIREKTOR: Dann haben Sie keine Berechtigung an aufsehenerregenden Gruppen, worauf die Öffentlichkeit Anspruch erhebt, teilzunehmen. Das ist unlauterer Wettbewerb! Drängen Sie sich nicht ein! Das ist Hausfriedensbruch! Mein Filmapparat, my country

KRITIKER: Frau, schreiben Sie Ihre Memoiren; Sie tun das, wenn Sie noch eine Spur Überlegung herumtragen.

ERSTER HÄNDLER: Wir wollen ein dauerhaftes Geschäft machen. Ich bin ein gemütlicher Junge. Nich alle Tage wird mit Bombenerfolg gekreuzigt. Pissy macht die Sache für Kenner, die Olle für den Pöbel, jewissermaßen als Replik. Auf diese Weise kommen Stil wie Naturalismus zu ihrem Recht, und man kann nach beiden Seiten Geschäfte machen.

KRITIKER: Die Alte lauft dann gewissermaßen als Fälschung rum.

ERSTER HÄNDLER: Originale sind Repliken; die Natur is ne Fälschung.

(Man stellt Maria auf.)

REGISSEUR (zu Maria): Mehr Jefühl! Menschenskind, Sie müssen an der Sache Interesse markieren!

MARIA speit aus, schreit.

REGISSEUR: Nich so jotisch! Ja!!


Da hing Jesus bedeutungslos und verlassen in einer Ecke des Schaubergs am Kreuz. Keiner bewies Teilnahme an seinem Ende. Die Mitglieder seiner Partei mieden Kreuz und Kadaver; man wäre leicht aufgefallen, und Pilatus hatte Haftbefehle unterschrieben, wo es nur der Eintragung des Namens bedurfte.

Die Mutter des Jesus, die zeitlebens um den unehelichen Sohn wenig sich gekümmert hat, geht ungern mit einigen Freunden, den Leichnam herunterzunehmen, hierzu aufgefordert von der römischen Kommandantur. Leichname gehören der Familie, vorausgesetzt, sie bringen dem Staat keinen besonderen Vorteil. So war Maria aufgegeben, innerhalb drei Tagen den Leichnam abzunehmen. Furchtsam und klagend geht sie zum Schauberg ; peinlich war es, aufzufallen.

Sie sagt zu Johannes: Warum mischt ihr euch in Dinge, die euch nicht betreffen; vor allem er?

JOHANNES: Wir sprachen mit den Leuten, und ihm wurde der Prozeß gemacht.

MARIA: Was ist mehr wert, leben oder gesprochen haben? Ihr macht die Leute verrückt.

BÜRGER: Was ging es ihn an, ob ich gut oder schlecht bin? Mit welchem Recht mischt er sich ein?

ZWEITER BÜRGER: Die Leute wollten sich bemerkbar machen.

ERSTER BÜRGER: Er hat sein Geschwätz mit dem Tod bezahlt. Wie kann man Redensarten wegen sterben wollen?

ZWEITER BÜRGER: Es ist sonderbar, daß aus Reden Handlungen sich ergeben.

ERSTER BÜRGER: Sehr selten. Ich dachte gar nicht; fast wie "und Gott sprach".

ZWEITER BÜRGER: So wuchs ihm aus dem Mund das Kreuz.

ERSTER BÜRGER: Ein nettes Plakat.

ZWEITER BÜRGER: Er behauptete, uns erlösen zu wollen.

ERSTER BÜRGER: Wovon denn erlösen? Woran denn leiden wir, abgesehen an der Grube?

ZWEITER BÜRGER: Eben hiervon.

ERSTER BÜRGER: Soso, ich habe keine Zeit mehr.

JOHANNES: Ihr sollt geistig auferstehen. Die Gehenna wird euch nichts antun. Gott wird euch um seinetwillen vergeben; eure Sünden werden um seines Blutes willen nicht gezählt.

ZWEITER BÜRGER: Du bist sicher?

JOHANNES: Wir werden sicher sein.

ZWEITER BÜRGER: Wie das?

JOHANNES: Der Rabbi wird auferstehen.

ZWEITER BÜRGER: Merkwürdig.


Die Berge nebeln im Stöhnen des Gekreuzigten. Brand hitzt den Fluß. Jesi Schreie spitzen das tödliche Kreuz.

JESUS: Ich hänge in meinem Blut. Mein Durst blendet die Sonne. Allein. Mein Schmerz soll anderen nützen, sie verwandeln?, wo sie mein Blut begrinsen, in die klaffende Hüfte prüfend die schmutzigen Finger legen, die Tiefe des Lochs zu messen. Das glauben die flinken Jünger kann erlösen. Wer kann wen erlösen? Niemand keinen. Jeder hängt am eigenen Kreuz. Dazwischen sperren Qual, Hohn, Elend und Witz, Niemand sieht keinen von der Spitze des Kreuzes. Schmerz erklärt. Losgelöst für mich, sehe ich. Niemand keinen. Hinunter und ungesehen weg. Erkennen und der Kelch geht vorüber. Jeder schlucke seinen eigenen Trank Jammer und sterbe daran. Warum ich für die anderen? Wo bliebe Gott? Ist er so schwach, daß er meines Kreuzes bedarf? Ist er schwach, ist er nicht Gott.

Herunter.

Herunter auf die kotige Erde, auf die wir gesät sind.

Die blutigen Hände entreiße ich der mörderischen Wolke. Den Kopf werfe ich aus der Gloriole. Mögen meine wirren Haare in ihr gähnen.

Bin ich besser, warum soll ich sterben??

Ist dies Gesetz?

Wege vom Himmel.

Auf Weg und Flucht.

Berge bohren die Wolken.

Hinein in ihren verborgenen Leib.

Aih! Aih! Aih!

Der Gekreuzigte stemmt sich mit den Fingerspitzen, Zehen und Kopf gegen das Kreuz. Sein Fleisch bricht, er reißt brüllend sich vom Kreuz. Journalisten stürzen geschäftsmäßig mit unterernährter Gier nach Vermischtem auf ihn zu.

Der kuglige Manager rollt vor; Mischung von Tanzknopf, commis voyageur, ödem Geschmack und Geschäftskommunismus.

DER MANAGER (die Journaille bedrohend): Ich verlege Sie alle!

JOURNAILLE (weicht zusück und ruft): 35 Pfennig die Zeile!

MANAGER: Aber zu Ende geschrieben! Bis zum Brechen voll!

JOURNAILLE: Zum Brechen!

Manager begutachtet den zusammengekurvten Jesus. Später läßt er aus seiner Figur für 35 Pfennig die Zeile den barmherzigen Samariter dichten.

MANAGER: Ich kenne die Bedeutung des Kommunismus und weiß, seinen geschäftlichen Wert zu schätzen: Kommunismus und Pornographie sind die Hauptbestandteile des heutigen Geschäfts. Wir sind Geistige; überlassen Sie mir Ihre Memoiren, ich zahle Ihnen fünf Auflagen voraus und fünfzehn Prozent vom Ladenpreis.

JESUS (stöhnt): Hundert Prozent.

MANAGER: Selbst unsere Feldherren begnügten sich mit dreißig Prozent.

JESUS: Hundert Prozent!

MANAGER: Blöd geworden.

JESUS: Kommunist; man wird dir nicht zwanzig Prozent nehmen, man wird dir alles nehmen.

MANAGER: Sprechen wir nicht von vagen Utopien, soadern von vernünftigem Geschäft. Sie haben zweifellos Interessantes am Kreuz erlebt; Sensationen der modernen Seele. Diese Dinge, durchsetzt mit vergeistigtem Kommunismus, interessieren das große Publikum.

JESUS: Gewiß; bei euch plärrt und schwätzt man das Nötige tot, und man nennt euch das Volk der Denker, weil ihr statt zu tun, kaum denkt, sondern schwätzt; und weil ihr statt deutlich zu sehen, dichtet, das ist lügt.

MANAGER: Du sagst, daß ich, der Vertrauensmann vieler Organisationen, Gelogenes drucke?

JESUS: Sobald Menschen schreiben, lügen sie, da sie sich verpflichtet fühlen, Dinge, die nur Tageswert besitzen, wie für die Dauer hinzusetzen. Darum Verwirrung und Streit. Vor einem Stück Papier erschwitzen sie mehr Begeisterung und Geheul als vor Gequälten. Oder, was noch törichter, sie quälen sich vor einem Stück Papier.

MANAGER: Gleichgültig; ich bin der Macher des neuen Stils und für diesen zu größten Opfern bereit. In Ihrer Lebensführung näherten Sie sich dem Expressionismus erfreulich an, Ihre Kreuzigungskomposition war interessanter Stilversuch. Nur noch zu sehr mit Gefühl und Wirklichkeit belastet. Honorar kommt ja für Sie nicht mehr in Betracht, da Sie mit Ihren zerbrochenen Gliedern das Jenseits einer erledigten Literatenexistenz vorziehen müssen. Als Plastik kommen Sie ernsthaft für die Reproduktion in Frage. Jedenfalls möchte ich die sämtlichen Reproduktionsrechte auf Ihren Kadaver billig erwerben. Aber billig; für Sie kommt doch nur das Seelische in Betracht. Stoßen Sie an uns Ihr Leibliches ab.

JESUS: Das Ausgespiene hüpft an der Erde. Wie gut war es am Kreuz.

MANAGER: Die Memoiren oder ich rufe die Polizei!

JESUS: Gekreuzigter, hilf mir von den Menschen!

(Er schlägt um.)

MANAGER: Polizei!

ERSTER LEGIONÄR: Was schreist du?

ZWEITER LEGIONÄRT: Er ist besoffen.

MANAGER: Ich vertreibe den neuen Geist, und er will mir trotz mündlicher Abmachung die Memoiren verweigern.

ERSTER LEGIONÄR: Er ist krepiert.

MANAGER: Gleichgültig, er soll mir die Memoiren hergeben.

ZWEITER LEGIONÄR: Vielleicht ist Ihnen mit den unseren gedient. Ich bin Akademiker.

MANAGER: Auch nicht schlecht. Auf der Kreuzwache, so könnte man es nennen.

ERSTER LEGIONÄR: Wir müssen ihn wieder hochhängen, sonst kommen wir in den Kasten. Helfen Sie mit.

(Greifen den Leichnam.)

He, hupp!

Einstimmig: Verdammte Schweinerei!

JESUS (erwacht): Bald werde ich bei dir sein.


AM SCHAUBERG.

STAHLHERR: Also für dreißig Silberlinge hat man ihn lebend verkauft?

LEICHENDIENER: Für dreißig Silberlinge, dreißig Silberlinge zahlte die politische Polizei dem Spitzel.

STAHLHERR: Er hatte keine große Arbeit, und dem Tagedieb, der nur ein Wort sprach, zahlte man dreißig Silberlinge. Wohin sind wir gekommen! Skandalös.

LEICHENDIENER: Es ist viel; ich werde zu schlecht bezahlt, aber dem Volk wurde etwas geboten.

STAHLHERR: Laßt ihn lange hängen. Hier hast du fünf Sekel. Laß ihn drei Tage länger hängen. Es ist gut, wenn andere Aufwiegler sich die zerbrochenen Knochen eindringlich betrachten. Das Volk lernt nur durch Anschauung. Man müßte immer so paar Leute hängen haben.

STAHLHERR (beschaut den Leichnam Jesi durch ein Opernglas) : Kräftiger junger Mann. Man sollte diese Leute nicht töten. Man sollte diese redenden Schwätzer an eine Drehbank bringen. Schwere lange Arbeit, der Kopf gesundet und sieht keine Aufgaben mehr.

HENKER: Sie meinen, damit wäre den Leuten gedient? Es schien mir, dieser Jesus wollte sterben.

STAHLHERR: Wollte sterben, also er wollte sich seinen Pflichten als arbeitender Staatsbürger entziehen? Das ist krankhaft. Der gesunde Mensch muß die Arbeit lieben. Tötet diese Leute nicht, sondern zwingt sie zur Arbeit. – Dann vergehen diese staatswidrigen Phantome.

HENKER: Ich vermöchte es nicht, jemand zum Leben zwingen, der nicht mehr leben will. Die meisten, die mir gebracht werden, wollen nicht mehr.

STAHLHERR: Gut, wenn ihnen das Leben gleichgültig und zuwider ist, das gibt billige Arbeitskräfte.

HENKER: Sind deine Arbeitskräfte billig oder teuer?

STAHLHERR: Arbeitskräfte sind immer teuer.

HENKER spuckt aus und geht zur Seite.

LEICHENDIENER: Sie kaufen Menschen.

STAHLHERR: Ich beschäftige sie.

LEICHENDIENER: Gleichgültig, wen?

STAHLHERR: Wenn er arbeitet.

LEICHENDIENER: Mein Bruder ist Gefängnisschließer. Oft schickt man uns still zumTode Verurteilte. – Leute, die ihrer Gedanken wegen verschwinden sollen, die still verschwinden müssen, da sie nur gedacht haben.

STAHLHERR: Zehn Sekel, mein Lieber, für einen jeden.

LEICHENDIENER: dreißig, Herr, da du sie ja nicht zu bezahlen brauchst.

Stahlherr: Gut, dreißig für kräftige, fünfzehn für schwache. Die Leute sind ja oft schwächlich.

LEICHENDIENER: Gut, Herr, aber stille sein.

STAHLHERR: Lieber Freund, Geschäftsgeheimnis.


DE MORTUIS NIHIL NISI BENE.

VOLKSTON: Wenn wir auch gewisse Unregelmäßigkeiten des Verfahrens nicht billigen können, so müssen wir vor allem feststellen, daß das Bestehen der Demokratie in Frage kam. Eine Minderheit versuchte uns zu vergewaltigen und hetzte zu Meinungen, die der Mehrheit der Bürger zweifellos nicht entsprechen. Gegen diesen Glaubenszwang durch eine kleine Klique galt es, die Demokratie zu verteidigen. Diese Hetzer haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn es blutige Köpfe gab und sie untergingen. Immer wird es notwendig sein, das Staatsganze gegen eine fanatisch sich gebärdende Minderheit, der nur Unreife oder geistig Minderwertige verhetzt nachlaufen, zu verteidigen.

NATIONALSTIMME: Wieder einmal wurde fünf Minuten vor zwölf dieser Jammerstaat gerettet durch die Männer, welche die Staatsform nicht anerkennen. Die Eiterbeule ist mit Gottes Hilfe aufgestochen. Der Beweis ist erbracht, daß das Staatsruder wieder in die Hand eines starken Mannes gelegt werden muß. Der Verurteilte hetzte in der unverantwortlichsten Weise den Abschaum, das Lumpenproletariat, auf; er wagte es, den gesunden Sinn des gewerbetreibenden Bürgers zu verhöhnen. Es ist ein Verbrechen, zu behaupten, der Reiche sei unwert, zu leben und müsse abgeschafft werden. Wir richten an die Regierung einen letzten Warnungsruf. Mögen Schreier gegen das Gerichtsverfahren protestieren; aber die Erhaltung der wankenden Gesellschaft ist keine Frage von Paragraphen, hier muß mit starker Faust zugeschlagen werden. Solche Schreier, die in ihrem Delirium behaupten, stecke das Schwert in die Scheide, und wer das Schwert ergreift, soll durch das Schwert umkommen, haben verbrecherisch an der Nation gesündigt. Auf ihrem Haupte lastet die Schuld der Katastrophe unseres Volkes.

TAGESBOTE: Zweifellos; Pissy Puck ist das stärkste Erlebnis unserer Zeit. Wir haben genug an den ebenso neckischen wie verbrecherischen Einfällen zigeunerhafter Literaten, die ihre billige Zeit mit blödem Geschwätz in den Cafes bei einem Glas Wasser totschlagen, um dann von sich gelangweilt eine verständnislose Masse aufzuhetzen.

DER BÖRSENMARKT: Unsere schwer erschütterte Börse atmet auf. Montanwerte erholten sich, aber die Arbeitsunlust der Verhetzten schnürt noch immer die Gurgel der Wirtschaft zu. Die aufflackernde Streikbewegung halten wir für bedeutungslos und dürfte in wenigen Tagen zusammenbrechen.

DIE VOLKSKRAFT: Wir fordern nun nachdrücklichst, daß den anderen Hetzern schleunigst der Prozeß gemacht wird. Angriffe gegen das Privateigentum sind dem arbeitsamen Bürger unerträglich. Mit eisernem Besen müssen die anderen Kumpane weggefegt werden, wenn die Produktionsfreudigkeit unserer opferfrohen Landwirtschaft nicht gänzlich erlöschen soll. Unsere Regimenter, vor allem die Offiziere, haben ihre alte todesfrohe Schneidigkeit aufs neue an den Tag gelegt, ein sicherer Beweis, daß unserer Nation die Katastrophe erspart geblieben wäre, wir mit stolzer Faust gesiegt hätten, wenn...


ZWEI LEUTE VOR DEM KREUZ.

ERSTER: Also, was wollte der?

ZWEITER: Er behauptete aufzuerstehen. Die verdrehten Knochen wollte er gerade liegen, die Hüfte klebt er sich zu und 'rausgefahren aus dem Kasten.

ERSTER: Auferstehen, was will er auferstehen. Warum gerade er und nicht ich?

ZWEITER: Ja, wenn er auferstanden ist, sollen auch wir auferstehen. Dieser Mann glaubte, er sei ein Gesetz.

ERSTER: Also, wenn er aufersteht – aber wer von uns wünscht aufzuerstehen? Noch einmal diese Lüge erleiden?

ZWEITER: Ja, aber das Leben ist nicht mehr Lüge, wenn man aufersteht. Das Leben dauert dann fort.

ERSTER: Höre auf, mich ekelt.

ZWEITER: Warum?

ERSTER: Also, wenn ich auferstehe, auferstehe ich als ich selbst?

ZWEITER: Gerade.

ERSTER: Mich ekelt. Noch einmal ich? Damit ist gegen Auferstehung alles bewiesen.

ZWEITER: Gerade, das gefällt mir, und das ist der unbezahlbare Vorzug der Jesulehre.

ERSTER: Doch vorausgesetzt, Jesus selber aufersteht?

ZWEITER: Gewiß; denn er ist die Lehre und das Gesetz.

ERSTER (allein): Er darf nicht auferstehen. Er wird wieder gekreuzigt werden.

Herr, ich flehe, nimm furchtbare Auferstehung und die drohende Erfüllung des Messias von uns. Herr, auferstehe uns nicht, denn der Kreis unserer Tage wäre durch irres Wunder zerrissen, und wir würden gegen uns selbst gestellt.

Herr Jesus, erlaube uns zu sterben und unser Leben zu enden. Herr, zwinge uns nicht, die Bahn unseres Elends zurückzurollen, sondern gib uns Müden die ewige Ruhe.

(Er ist einer der Leute, die aus Ekel vor sich selbst den Leichnam Jesi vertauschen werden.)


AM GRABE.

MARIA: Also, er aufersteht diese Nacht. Was mein Sohn alles erleiden muß. Gerade er.

PAULUS: In dieser Nacht erschlage ich mit einem geschundenen Leichnam die mürbe Erde.

MARIA: }

} O Gott! Jesus!

JOHANNES: }

PETRUS: Habt ihr hingesehen?

JOHANNES: Wir wagten es nicht; wir zogen die Mäntel über die Köpfe.

PETRUS: Verrückt, verrückt!

MARIA: Bitte, was paßt dir nicht?

PETRUS: Was mir nicht paßt? Jesus auferstand nicht. Er liegt totenruhig im Grab.

MARIA: Ah, du willst meinen Jungen verleugnen wie an der Treppe.

PETRUS: Mein Gott, ich habe ihn wirklich nicht verleugnet.

MARIA: Es paßte dir wohl, du führst als erster hoch?

PAULUS: Wenn du ihn nicht auffahren sahst, schilt die Schwäche deiner lauen Augen. Wer glaubt, der sieht. Du bist hoffärtig zu glauben. Ich wachte bei Jesum.

PETRUS: Du brauchst Götter, Paulus, und bist feige, selber ein Gott zu sein. Ich versuchte, Jesum durch mein Leugnen zu retten. Vielleicht warst du es, der Judas zum Prätor schickte.

PAULUS: Judas bestand nicht im Glauben, und so hängte er sich.

MARIA (zu Paulus): Hund, du hast mit deinem Geschwätz meinen Sohn in den Tod gehetzt.

PETRUS: Und deine Predigten plärrst du vergebenst; ich werde es allen in den Hals schreien. Er auferstand nicht!

PAULUS: Gut, gut, also er auferstand nicht, und du bist verdammt. Die Ungläubigen werden vom höllischen Feuer verzehrt.

MARIA: Hörst du, alter Jude?

PETRUS: Du bist schlimm, Paulus, man wird dir glauben müssen.

PAULUS: Ist noch einer unter euch, dem Jesus nicht auferstand?


EINE STRASSE.

BÜRGER: He, ist er auferstanden?

JOHANNES: Wer?

BÜRGER: Der am Schauplatz, das vierte Kreuz beim Hundehügel.

JOHANNES: Gewiß, gewiß.

BÜRGER: Tatsächlich, wie war das?

JOHANNES: Der Donner versiegelte mir den Mund; Sturm wehte.

BÜRGER: Gewiß mußte er wehen; und die Sonne schien neben dem Mond?

JOHANNES: Ungefähr so.

BÜRGER: Jedenfalls – – er ist auferstanden? Ehrenwort?

JOHANNES: Ich glaube es, Ehrenwort.

BÜRGER : Also, wenn man es glaubt, dann ist es so; ist es so, wird nicht mehr gezählt.

ZWEITER BÜRGER: Warum nur?

ERSTER BÜRGER: Weil er auferstanden ist.

ZWEITER BÜRGER: Wer denn?

ERSTER BÜRGER: Der Tischlerjunge aus der Holzhütte.

ZWEITER BÜRGER: Der nichts tat?

ERSTER BÜRGER: Ebender.

ZWEITER BÜRGER: Was auferstand? Wie macht man das? Auferstand er?

ERSTER BÜRGER: Gewiß; der Donner versiegelte mir die Zunge.

ZWEITER BÜRGER: Du hast es gesehen?

ERSTER BÜRGER: Sonne schien neben Mond.

ZWEITER BÜRGER: Großartig. Aber was ist das Auferstehen?

ERSTER BÜRGER: Ich weiß nicht. Hier kommt seine Mutter. Frau, also was ist das mit deinem Jungen?

MARIA: Herr, ich bin eine arme Frau.

ERSTER BÜRGER: Gewiß, und hast du einen halben Sekel, und erzähle gut.

MARIA: Er ist auferstanden und hat uns erlöset von allem Übel; der Sünden Zahl wird nicht mehr gezählt.

ERSTER BÜRGER: Du hast es gesehen?

MARIA: Ich sah ihn.

ERSTER BÜRGER: Also, es wird nicht mehr gezählt. Warum nur, warum nur?

MARIA: Weil er starb.

ERSTER BÜRGER: Hier hast du noch einen halben Sekel. Stimmt es?

MARIA: Es stimmt.

ERSTER BÜRGER: Gut, du bist arm. Hier hast du zwanzig Sekel und schweige. Gut, ich bringe meinen älteren Bruder um, des Erbes wegen. Es wird nicht mehr gezählt.

MARIA (zählt das Geld nach): 16, 17, 18, 19, 20, gewiß, es wird nicht gezählt; darum ist er gekreuzigt und auferstanden.

ERSTER BÜRGER: Fabelhaft, Junge, Junge.


ZWEITER BÜRGER: Also, du hast ihn erwürgt?

ERSTER BÜRGER: Die Sünde wird nicht mehr gezählt.

ZWEITER BÜRGER: Gewiß, aber du wirst gekreuzigt.

(Man begegnet Johannes.)

ERSTER BÜRGER: Lügner, wird die Sünde gezählt?

JOHANNES: Nein.

ERSTER BÜRGER: Lügner!

JOHANNES: Auch du wirst auferstehen.

ERSTER BÜRGER: Aber vorher gekreuzigt.

JOHANNES: Um aufzuerstehen, muß man vorher sterben.

ERSTER BÜRGER: Aber nicht an der Sünde. Jemand das Leben ziegen und ihn dann sterben lassen, ist glatter Mord.

JOHANNES: Du wirst auferstehen.

ERSTER BÜRGER: Ich will nicht.

JOHANNES: Warum?

ERSTER BÜRGER: Ich könnte nicht jahrzehntelang zum zweitenmal Todesangst ertragen.

JOHANNES: Du wirst zur Ewigkeit auferstehen.

ERSTER BÜRGER: Warum bin ich nicht von einer Ewigkeit in die andere auferstanden? Ist zwischen zwei Ewigkeiten das Kreuz? Vor diesem Kreuz und meiner Todesangst ist deine Ewigkeit lächerlich. Ich habe nur das Kreuz. Es gehört mir. Ich verfluche dich.

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