Titel: Rezension: Max Stirner - Der Einzige und sein Eigentum
Datum: 2012
Quelle: Entnommen aus Prospekt: Fermento anarchistische Bibliothek. Veranstaltungen Juni-Juli 2012; "Auszüge und Rezensionen von Büchern"

« Ein wildes Denken, dies ist es, was wir brauchen. Jenes von Stirner ist ein Beitrag in diese Richtung. »

Alfredo M. Bonanno


Um 1844 veröffentlichte Johann Caspar Schmidt unter dem Pseudonym Max Stirner sein erstes und einziges Buch mit dem Titel Der Einzige und sein Eigentum. Wieso eine Rezension? Nun: Stirner‘s Ideen sind gerade in Zeiten, in denen die Herrschaft tiefer denn je in die Verhältnisse und Köpfe eindringt und wir von der Realität immer mehr entfremdet sind, besonders wichtig, und – abgesehen von der altmodischen und streng philosophischen Sprache – haben ihre Aktualität auch über die Jahrhunderte nicht verloren.

Der Einzige und sein Eigentum ist vor allem eine fundamentale Kritik der Moral – sei sie religiös oder „atheistisch“ –, die uns beherrscht, oder, um es mit Stirner zu sagen: „Unsere Atheisten sind fromme Leute». Ausgehend von der Philosphie seiner Zeit, zeigt er, wie z.B. auch „der Mensch“ nur ein weiteres Heiliges ist – wie dies eigentlich alles sein kann, sobald es zur fixen Idee wird –, das die Einzelnen beherrscht und Normen unterwirft.

Dagegen stellt er die eigene Einzigartigkeit.

«Ich bin meine Gattung, bin ohne Norm, ohne Gesetz, ohne Muster und dergleichen. Möglich, daß Ich aus Mir sehr wenig machen kann; dies Wenige ist aber Alles und ist besser, als was Ich aus Mir machen lasse durch die Gewalt Anderer, durch die Dressur der Sitte, der Religion, der Gesetze, des Staates usw. Besser – wenn einmal von Besser die Rede sein soll – besser ein ungezogenes, als ein altkluges Kind, besser ein widerwilliger als ein zu Allem williger Mensch.»

So redet er vor allem über die Herrschaft über den Einzelnen, die real erlebbar ist und legt die Basis für eine Befreiung davon. Denn dieses Buch ist weniger eine Philosophie, denn eine Tat, die Tat der psychischen Selbstbefreiung. Er entwickelt eine Sensibilität für die Eigenheit, die sich gegen jede Herrschaft wendet. Denn dies ist immer noch das beste Mittel, um die Autorität zu bekämpfen: «die Empfindung der eigenen Individualität in allen Wesen so stark wie möglich

zu entwickeln.» [1] Oder wie Stirner das sagt: «Hörte die Unterwürfigkeit auf, so wär‘s um die

Herrschaft geschehen.»

Das ganze Buch ist aus einer radikal subjektiven Sicht geschrieben, und der Versuch, sich das «Bewusstsein des Egoismus» anzueignen, wobei der Begriff Egoismus vor allem folgendes meint: Mit aller Konsequenz die eigene Freiheit und Einzigartigkeit zu wollen. Ein weiterer zentraler Begriff des Buches ist das Eigentum, wobei dies schon zu einigen Missverständnissen geführt hat. Eigentum ist in diesem Fall weder ökonomisch noch auschliessend [2]. Es ist schlicht das, was mir gehört, in einem umfassenden, psychischen Sinn – das, was mir nicht fremd ist, kurz: das Gegenteil von Entfremdung.

Und so ist der Eigner einer, der Frei ist, zu tun und zu nehmen, was er will. Der „Verein der Egoisten“, die zweite positive Konzeption die Stirner aufstellt, zeigt das sein Egoismus nicht die Einsamkeit des Isolierten ist, dessen Freiheit dort aufhört, wo die des anderen anfängt, sondern die grenzenlose Freiheit, die in der der Anderen erweitert wird.


Reaktionen

Nach der Veröffentlichung seines Buches gab es einige Reaktionen darauf; zuerst einmal ein Verbot für kurze Zeit und Kritiken aus dem Kreis des linkshegelianischen Clubs „die Freien“, in dem er desöfteren abhing und gegen deren Philosophie ein Grossteil seines Buches geschrieben ist. Als Antwort auf diese Reaktionen schrieb Stirner den Text Recensenten Stirners [3] der wohl mit einigen Missverständnissen aufräumt(e). Eine Kritik – länger als das Buch selbst – schrieb auch Karl Marx [4] , der sich allerdings nicht traute, diese zu veröffentlichen, wohl weil sie vor allem aus billiger Polemik besteht.

Mut gab und gibt Stirners Buch vielen kämpfenden Anarchisten, vor allem, wenn nicht gerade revolutionäre Zeiten herrschen und sich wenige Einzelne zusammentun – gegen alle Vorwürfe zum Trotz –, um die Subversion des Bestehenden anzugehen. Denn der Einzige und sein Eigentum ist vor allem interessant als Werkzeug im Kampf gegen das Bestehende und verkommt in den Händen von Bürgern zur blossen Kuriosität der Philosophie.


[1] Giuseppe Giancabilla – der Politische Kampf, S.5

[2] (im Verein der Egoisten, der potentiell „die ganze Menschheit“ umfasst, gehört jedem einzelnen Alles.)

[3] Lässt sich, wie auch Der Einzige und sein Eigentum, in der Bibliothek Fermento finden.

[4] Abschnitt Sankt Max in Die deutsche Ideologie von Karl Marx‘s Grundlagenschrift für den „historischen Materialismus“, erst nach seinem Tod veröffentlicht.