Titel: Aufständische Strategien und Methoden
Datum: 1983
Quelle: Entnommen aus: Alfredo M. Bonanno: "Anarchismus und Aufstand", Edition Irreversibel in Zusammenarbeit mit Konterband Editionen, ohne Ort, August 2014, S. 67-111.
Bemerkungen: Original auf Italienisch, Originaltitel: "Strategie e metodi insurrezionali", in dem Buch “Teoria e pratica dell’insurrezione”, Edizioni Anarchismo, Oktober 1985, Catania.
Ursprünglich (Alfredo M. Bonanno), Strategie e metodi rivoluzionari, in “Anarchismo”, Nr. 40, 1983, Italien, S. 27-32, und (Alfredo M. Bonanno), Delle cose ben fatte e delle cose fatte a metà, in “Anarchismo”, Nr. 41, 1983, Italien, S. 28-37.
Einige ins Englische übersetzte Auszüge finden sich in: Alfredo M. Bonanno, Strategy & Methods, in “Insurrection”, Nr. 2, 1984, S. 2-5, London.

Die Ausbeutung

Die Ausbeutung liegt dem kapitalistischen System zugrunde. Die Akkumulation und somit die Fortführung selbst der Klassenherrschaft wäre nicht möglich, wenn nicht gegenüber den Vielen die terroristische Diktatur der Wenigen ausgeübt würde, eine Diktatur, die auf dem Elend, der Angst und dem Tod basiert.

Dies bestimmt die Klassenkonfrontation. Sosehr man auch oft Phänomenen von Schlichtung und Kompromiss beiwohnen mag, die Ausgebeuteten sind ständig in der Defensive, umsichtig und aufmerksam, beobachten alle Schwierigkeiten des Feindes, betrachten mit Argwohn die Manöver der Verräter – die sich in Worten zu ihren Verteidigern erklären – und warten auf den geeigneten Moment, um den Kopf zu heben und in Aufstand zu treten.

Die soziale Konfrontation präsentiert sich also als eine abwechselnde Bewegung, die mal heftiger, mal sanfter ist. In ihr entwickeln sich Theorien, Praktiken, Einstellungen und Erwartungen, die nie Wiederholungen von dem sind, was vorgekommen ist. Jeder historische Moment weist neue Gegenüberstellungen auf: neue Bosse, neue Verräter, neue Ausgebeutete, neue Angriffsstrategien gegen die Ausbeutung und neue Repressionsversuche.

In groben Linien können wir sagen, dass sich die Strategie des Kapitals von einer grösseren Einwirkung des ökonomischen Instruments zu einer grösseren Einwirkung des politischen Instruments verlagert. In Zeiten, die für die Ausbeutung günstiger waren, fand das Kapital breite soziale Schichten, die bereit waren, sich selbst im Tausch gegen einen Lohn zu veräussern, und somit vertraute es sich den regulierenden Illusionen des Marktes an. Gleichzeitig, wie sich diese Schichten allmählich reduzieren und sich somit die Arbeitskosten zwangsläufig erhöhen, beziehungsweise, gleichzeitig, wie der soziale Druck allmählich dazu verpflichtet, die Beschäftigung übermässig zu vergrössern, reduzieren sich die automatischen Gleichgewichtsspielräume des ökonomischen Systems und bewegt man sich auf deutlichere politische und repressive Strategien zu. Der Staat greift massiv ein und reguliert sowohl den ökonomischen wie auch den sozialen Prozess. Die Schwierigkeiten verschärfen sich, die Polizei wird zum Angelelement, um das die soziale Ordnung sich dreht, die Armee zum äussersten Stützpunkt.

Auch die Strategie der Ausgebeuteten wendet sich von einem organisatorischen Prozess von gewerkschaftlicher und forderungsorientierter Art, entsprechend der Marktphase des Kapitals, einem Prozess zu, der zergliederter, scheinbar ungewisser und widersprüchlicher, aber lebendiger und kreativer, offener für die Selbstorganisation der Kämpfe ist [1983], ein Prozess, der die Kampfebenen um vieles ansteigen lässt und den Einsatz der Methode des bewaffneten Kampfes erlauben kann.

Die Tatsache, dass einer Strategie des Kapitals und des Staates mit ordnerischen Ansprüchen, eine Strategie der Bewegung der Ausgebeuteten mit kreativen und selbstorganisatorischen Ansprüchen zu entsprechen kommt, darf nicht widersprüchlich scheinen. Die Repression löst gleichzeitig, wie sie allmählich ansteigt, viele Mechanismen aus, darunter eben jener einer Erhöhung der Ebene der sozialen Konfrontation. Ausserdem ist die Erhöhung der Repression eine Konsequenz der Verschlechterung der vorherigen Produktionsbedingungen, worunter breite, von der Salarisierung entfremdete soziale Schichten geduldig darauf warteten, in die Produktionswelt einzutreten, und sich, in ihrer Geduld, sogar zu Hungersbedingungen bereit erklärten. Die Hoffnungen auf bessere Zeiten, auf bessere Konsummöglichkeiten und bessere Löhne, sind viel stärkere Zügel als das Maschinengewehr der Polizei.

Repressive Strategien und Methoden

Wir betrachten als Strategie den Einsatz von einigen Methoden innerhalb der Bedingungen der sozialen Konfrontation. Die Methoden hingegen sind Interventionsprozesse, die sich als stabil und klar definiert zeigen, solcherart, dass es, zumindest innerhalb des gegenwärtigen historischen Rahmens der Ausbeutung, nicht möglich ist, sie zu verändern.

Während die Strategien an die kurzfristigen Bedingungen gebunden sind und somit stetig aktualisiert, verändert, diskutiert und eventuell als für das Ziel ungeeignet erklärt werden müssen, erhalten sich die Methoden fix und garantieren sie jene Interventionskontinuität, die den Kampf an beiden Fronten charakterisiert: die Klassenkonfrontation ändert sich fortwährend (was die Strategien betrifft), bleibt aber, in der Praxis, dieselbe (was die Methoden betrifft).

Das Kapital wendet – wie wir gesehen haben – unterschiedliche Strategien an, je nach Situation der sozialen Konfrontation: es wechselt von der Marktlogik im konkurrenziellen Sinne zur Produktion mit Charakteristiken von Verstaatlichung, vermischt grössere Produktivität mit geringerer militärischer Repression, grössere militärische Repression mit geringerer Produktivität. Manchmal intensiviert es die Konsummöglichkeiten, andere Male zieht es sie zusammen, es benutzt den Währungsmechanismus in Alternative zum Steuermechanismus und umgekehrt. In wiederum anderen Fällen macht es offeneren Gebrauch von der Repression und errichtet es ein geschlosseneres Regime, während es Politiker-Handpuppen mit dem Aufsagen von nationalistischen Kinderreimen und die uniformierten Folterern mit der Aufgabe betraut, jeglichen Dissens im Blut zu ersticken.

Aber all diese Strategien stützen sich auf vier methodologische Richtungen:

1) Von der Macht kontrollierte Information. Es geht nicht um die blosse Arbeit der grossen Informationsmittel, sondern auch um all jene Akte, die scheinbar auf der Konsultation der Leute beruhen: Abstimmungen, Wahl seiner Arbeit, Wahl seiner Bildung, Einsatz der Freizeit, Erwerb von Produkten, Bildung von politischen Meinungen, Entwicklung der ethischen Werteskala, usw.

2) Differenzierte Erziehung der unterschiedlichen sozialen Klassen. Es geht nicht um den blossen schulischen Moment, sondern um einen dauerhaften Prozess. In der Praxis ist es die Methode, die die kontrollierte Information bekräftigt und einschärft, welche, anderenfalls, darin enden würde, sich in der Leere aufzulösen. Es geht um koordinierte Prozesse, die ethische Werte zutage fördern und bestärken, die oft vermasst, aber auch für eine recht beschränkte Minderheit ausgearbeitet werden. Zum Beispiel wohnen wir heute einer Überarbeitung des Wertes “Nationalismus” mit jenem von “Demokratie” bei, aber das ist nur ein Fall unter den vielen.

3) Reform der Ausbeutungsbedingungen, nicht nur auf politischer, sondern auch auf sozialer Ebene. Kein Machtprojekt ist denkbar, wenn es nicht als ein Ganzes in Bewegung betrachtet wird. Auch die tyrannischsten Regime der Vergangenheit hatten eine Tendenz zur Beilegung und zum Kompromiss mit den unterdrückten Klassen. Die absolute Repression ist ein Grenzmythos, ein Ideal, das es keiner konstituierten Macht wichtig ist lange aufrechtzuerhalten. Es wird stets bevorzugt, Elemente von reiner Repression und reformistische Kompromisse miteinander zu kombinieren. In diese Richtung ist der Weg, der von den modernen Demokratien zurückgelegt wurde, wahrlich bemerkenswert.

4) Terroristische Repression von jedem Verhalten entgegen der kodifizierten Norm. Sie reicht von der verbreiteten sozialen Missbilligung gegenüber gewissen Werten, die für das gute Funktionieren der Gesellschaft als schädlich erklärt werden, bis zum organisierten Terrorismus der Polizei, der Armee, der Richterschaft, der Gefängnisse, etc., ein Terrorismus, der sich gegen jene richtet, die sich das zurückholen wollen, was die Ausbeutung entrissen hat, während es ihm gelingt, gegenüber allen eine Mahnung darzustellen. In einer solchen repressiven Methodologie kann der Staat spezifische Organisationen einsetzen (Polizei, Geheimdienste, Spezialeinheiten, Armee, usw.), Organisationen, die normalerweise zu anderen Tätigkeiten bestimmt sind, aber im Bedarfsfall fähig sind, terroristische Aufgaben auszuüben (Gewerkschaften, Parteien, politische Bewegungen, Schulen, Spitäler, kulturelle Strukturen, Zeitungen, Fernsehen, usw.), oder auch terroristische Organisationen, die direkt vom Staat durch den Einsatz von Elementen der Armee, der Polizei, der Richterschaft, von politischen Bewegungen der extremen Rechten, von Berufsmördern, von Mafiosi kreiert werden.

Über diesen ganzen Diskurs gibt es zu sagen, dass die verschiedenen Methoden einander nicht ausschliessen, sondern, in der Praxis, gleichzeitig eingesetzt werden und gegenseitige Verbindungen von grossem Interesse haben. Denken wir beispielsweise nur an die Konsequenzen der Entwicklung der Informationsinstrumente auf die von der Macht realisierten Erziehungsprozesse. Der Fall der Informatik bleibt noch gänzlich zu bestimmen [geschrieben 1982]. Grundsätzlich, wie wir gesagt haben, tritt die Intensivierung der Repression dann ein, wenn die anderen beiden Methoden beginnen, Anzeichen von Nachlassen und von Unwirksamkeit zu geben. Der umgekehrte Prozess ist, im Wesentlichen, charakterisiert von einer gewissen Zähflüssigkeit in der Reduzierung der terroristischen Prozesse des Staates, dies aufgrund der Tatsache, dass sich Organisationen und Mentalitäten, die als alltägliche Gepflogenheit von der Gewalt und von der Folter, vom Mord und von der Denunziation Gebrauch gemacht haben, nicht sehr leicht wieder abzubauen sind.

Revolutionäre Strategien und Methoden

Der Unterschied zwischen Strategie und Methode ist praktisch derselbe. Es handelt sich um Aktionsformen, die der Mensch besitzt. Ob Bulle oder Revolutionär, er kommt nicht darum herum, zu handeln, indem er strategisch unterschiedliche Anwendungen von einigen grundlegenden Methoden studiert.

Die revolutionären Strategien stehen in einem direkten Zusammenhang mit den Bedingungen der sozialen Konfrontation. Sie sind nicht deren passive Konsequenz, und dies, weil der Revolutionär ständig versucht, auf die Realität einzuwirken, sie zu beeinflussen, sie mit seiner Aktion zu verändern, aber sie müssen das Level der Konfrontation berücksichtigen, wenn sie nicht im Bereich der Illusionen bleiben wollen. Bei einem niedrigen Level der Konfrontation, wenn breite Schichten des Proletariats von der Salarisierung fern bleiben, wenn das Kapital so viel Kapazität hat, dass es sich selbst den irrationalen Gesetzen des Marktes anvertraut, wird die revolutionäre Strategie sicher in der Stärkung der Organisationen der Bewegung, in dem Eindringen in die unterschiedlichen Sektoren der Welt der Arbeit und der Arbeitslosigkeit, unter die Arbeiter und die Tagelöhner, die Studenten und die Hausfrauen bestehen. Bei einem höheren Level der sozialen Konfrontation gibt die Strategie des Kapitals Anzeichen von Instabilität: der Staat greift schwerwiegend ein, um die intolerablen Bedingungen von Inkapazität in der kapitalistischen Verwaltung der Wirtschaft zu korrigieren, bei einem Level, wo die terroristische Repression des Staates zunimmt und die Möglichkeiten von Arbeit und Wohlstand (wie künstlich dieser auch sein mag) sich verringern, wird sich die revolutionäre Strategie auf eine Intensivierung des bewaffneten Angriffs, und somit auf ein Anwachsen und eine fortlaufende Qualifizierung der bewaffneten Organisationen ausrichten, die in der Klandestinität agieren.

Innerhalb von diesen beiden Richtungen – die einander nicht ausschliessen, sondern sich im Gegenteil gegenseitig stützen – entwickeln sich unterschiedliche strategische Entscheidungen, welche, ihrerseits, die tiefgreifende und entscheidende Differenzierung verdeutlichen, die sich innerhalb des revolutionären Lagers birgt: die anarchistische Tendenz zur Qualität des Kampfes und zu seiner Selbstorganisation und die autoritäre Tendenz zur Quantität des Kampfes und zu seiner Zentralisierung.

Die Methoden, die den unterschiedlichen revolutionären Strategien zugrunde liegen, können in vier Ausrichtungen unterteilt werden:

1) Freie Information, möglichst getreu der Realität der Tatsachen, vom Ereignis direkt an den Nutzniesser übermittelt, ohne verzerrende Eingriffe von politischer oder ideologischer Art. Gewiss, diese Bekräftigung stellt ein Ideal dar, das oft nicht realisierbar ist, aber die Methode der Information muss nach dieser maximalen Perfektion streben, indem sie, so gut wie möglich, Inhalte von wirklichen Tatsachen übermittelt und die verschiedenen Realitäten bekannt macht, um zu vermeiden, dass sie von der Information, die von der Macht kontrolliert wird, hoffnungslos verdreht werden.

2) Theorie über die Bedingungen der sozialen Konfrontation. Eine Analyse, die Überlegungen über die Tatsachen liefert, ist unerlässlich, um sie deutlicher zu umreissen und innerhalb von einem breiteren Kontext einzuordnen. Dieser zweite methodologische Moment dient dazu, die Informationen besser verständlich zu machen, sie sprechen zu lassen, sie ihrem stummen Kontext zu entreissen, der sie den verbrecherisch falschen Informationen, die von der Macht in Umlauf gebracht werden, gefährlich ähnlich sehen lässt.

3) Der intermediäre Kampf, der die Revolutionäre auch in partielle Aspekte des sozialen Konflikts intervenieren lässt: in die Schulen, in die Fabriken, in die Kasernen, in die Viertel, in die ländlichen Gefilde. Einzeln betrachtet hat jeder Kampf von dieser Art alles Zeugs dazu, um von der Gegenseite wieder einverleibt zu werden, und häufig trägt er dazu bei, die Grundlagen selbst der Ausbeutung zu festigen, indem er ihre irrationalen Aspekte ausbessert. Dennoch kann man nicht sagen, dass es nachzüglerische, oder verliererische Kämpfe sind, oder Kämpfe, die es als reformistisch zu betrachtend gilt. Es ist im Kampf, und sei er auch partiell und eingegrenzt, wo die Informationen und die Theorien als Erstes ihr mögliches und korrektes Verständnis vonseiten der Proletarier finden. Auf der rein theoretischen Ebene würden sie auf ewig bedeutungslos bleiben. Es ist im Kampf, und sei er auch partiell, wo das Klassenbewusstsein gebildet wird und anwächst. Es ist im Kampf, auch im Nachhutskampf, zur Verteidigung einiger Rechte oder bereits erfolgter Errungenschaften, wo wir uns auf eine potenzielle Erhöhung des Levels der Konfrontation vorbereiten.

4) Der bewaffnete Kampf, der die gewaltsame Angriffsmethodologie gegen den Staat, seine Organisationen, seine Strukturen, seine Menschen, seine Reichtümer und seine Projekte zusammenfasst. Die Tatsache, dass diese Methode oft den Strategien Gestalt verleiht, die einem höheren Level der sozialen Konfrontation entsprechen, bedeutet nicht, dass sie als eine “erhabenere”, oder effizientere, oder revolutionärere Kampfmethode betrachtet werden kann. Es ist schlicht eine andere Methode, die ihre Charakteristiken, ihre Grenzen und ihre Vorzüge hat, die sich aber nicht auf einer hypothetischen und nie definierten revolutionären Werteskala auf einem höheren Platz verorten kann. Gewisse Bewusstseinsebenen treiben einen Proletarier dazu an, vor einer Fabrik ein Flugblatt zu verteilen, andere Ebenen treiben ihn dazu an, eine Pistole in die Hand zu nehmen, um sich das zurückzuholen, was ihm entrissen wurde, um auf einen Polizisten oder einen Richter zu schiessen, um einen Schuldigen, einen Vollstrecker des terroristischen Projektes des Staates, einen Spitzel zu bestrafen, oder, noch einmal andere Ebenen treiben ihn dazu an, eine Fabrik anzugreifen, ihre Produktion zu sabotieren, ihre Produkte zu beschädigen, und wiederum andere, schliesslich, treiben ihn dazu an, sich mit Proletariern zusammenzuschliessen, die in derselben Situation sind, mit Männern und Frauen, die sich über die Notwendigkeit bewusst sind, gemeinsam und mit einem Minimum an Koordination einen Angriff gegen den Klassenfeind zu entwickeln.

Jede von diesen Methoden schliesst die andere nicht aus, ja, im Gegenteil, durchdringen sie sich und stützen sie sich gegenseitig. Daraus geht deutlich hervor, dass es nie möglich ist, mit Klarheit einen genauen Zeitpunkt auszumachen, wo zur Anwendung einer gewissen Methode zurückgegriffen werden muss; sondern, alle gemeinsam, müssen eingesetzt werden und können ihre Früchte tragen, innerhalb der Grenzen und der Perspektiven, in denen die verschiedenen Strategien die Realisierung dieser Früchte erlauben.

Das Problem der Strategie

Im Bereich der revolutionären Träume ist der Wert der Angriffsstrategie klar sekundär. Man bildet sich ein, dass die Wahrheit zwangsläufig über die Lüge triumphieren muss. Wie die christlichen Märtyrer weicht man vor der Gefahr nicht zurück. Man schreitet kopfunter voran, sein Gewissen zur Ruhe stellend, die Fackel der ideologischen Reinheit hochhaltend, aber oft fernab von der Realität der Konfrontation bleibend.

Die Proletarier, die Ausgebeuteten im Allgemeinen, die subproletarischen Schichten, die äusserst akuten Aspekten der Unterdrückung unterzogen werden, haben keine klaren Ideen. Die Gleichung Ausbeutung=Klarheit stimmt keinesfalls. Man kann das ganze Leben mit Ketten am Hals verbringen, sich mit Müh und Not dahinschleppend, ohne sich darüber bewusst zu werden, wer das Vorhängeschloss geschlossen hat. Diesen Punkt genügend hervorzuheben, ist nicht einfach. Die Worte reichen nicht. Die Informationen auch nicht. Zumindest reichen sie nicht alleine. Es ist erforderlich, Kämpfe zu entwickeln, auch intermediäre und langzeitige Kämpfe. Es ist erforderlich, recht klare strategische Projekte zu haben, fähig, die Anwendung der verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden, auf koordinierte und fruchttragende Weise, zu erlauben.

Als Anarchisten verfolgen wir das Ziel des qualitativen Wachstums der Bewegung und unterstützen wir deren Selbstorganisation. Darin stellen wir uns den Autoritären und den Stalinisten entgegen, die ein massenhaft quantitatives Wachstum unterstützen, basierend auf der Kontrolle und der (sogenannten demokratischen) Zentralisierung. Aber diese Position von uns kann sich nicht in die Arme von einer leeren Wartestrategie legen. Das heisst, wir können nicht ewig darauf warten, dass sich, im Proletariat und in den ausgebeuteten Massen, die Tendenz zur Selbstorganisation entwickelt, mit all ihren notwendigen qualitativen und kreativen Voraussetzungen. Wir müssen auf direktere Weise, und auch auf schwerwiegendere Weise einwirken. Wir müssen uns auch als spezifische Minderheit bewegen, selbst die Aufgabe auf uns nehmen, Aktionen zu einem guten Abschluss zu bringen, die die Ausgebeuteten alleine, bei einem bestimmten Level der Klassenkonfrontation, nicht entwickeln können. Anderenfalls würden wir uns, und gemeinsam mit uns das Proletariat selbst, in die Hände der Stalinisten übergeben.

Machen wir ein paar Beispiele:

1) In der Ausarbeitung der Information müssen wir das Projekt einer möglichst realitätsgetreuen Übermittlung verfolgen, um eine ideologische Überarbeitung zu vermeiden, und sei es auch unsere ideologische Überarbeitung. Aber wir können uns deshalb nicht der Initiative der Ausgebeuteten anvertrauen, indem wir, zum Beispiel, die Informationsinstrumente, die wir kreieren, ihrer spontanen Benutzung öffnen. Das wäre ein kolossales Fiasko. Wir würden ein schreckliches Sammelsurium von Gemeinplätzen, Geschwätz, Maximalismen ohne Hand noch Fuss und Kaffediskussionen in Umlauf bringen. Wir müssen uns selber darum kümmern, unsere Informationsinstrumente zu verfassen, wir müssen die Beiträge, die von aussen kommen, unbedingt durch das Sieb einer revolutionären Kritik lassen, um ihnen in dem, was unsere Strategie ist, eine entsprechendere Stellung zu geben, während wir es – so gut wie möglich – vermeiden, dass diese Intervention sich in eine radikale Verzerrung der Information selbst verwandelt. In einem Wort: unsere Arbeit wird immer eine “parteiische” Arbeit sein und wird nie beanspruchen können, reine “Objektivität” zu erreichen, ohne sich als Information zu negieren.

2) In der theoretischen Entwicklung unserer Analysen müssen wir uns anstrengen, darüber Rechenschaft abzulegen, wie die Dinge liegen, und nicht darüber, wie sie sein sollten. Dieser letztere Aspekt, bei dem wir aufgrund von einer angeborenen Liebe zur Utopie oft verweilen, muss sich gegenüber der Analyse, die dringender und primärer ist, die auf der Einschätzung der Realität basiert, gezwungenermassen als sekundär erweisen, so löblich und von grosser sentimentaler Bedeutung unser Drang nach einer bloss vorgestellten Zukunft auch sein mag. Es ist klar, dass wir uns, um eine solche Arbeit zu entwickeln, und auch nur, um sie zu verstehen, wenn sie von anderen Gefährten entwickelt wird, mit einigen Instrumenten versorgen müssen, die vom Kapital ausgearbeitet wurden und die in den Kreisen der Macht freie Zirkulation finden. Wir wären genötigt, bloss Kaffeegeschwätz zu betreiben, wenn wir heute nicht über einige Grundkenntnisse in Ökonomie verfügen (und vielleicht auch über etwas mehr als ein paar Kenntnisse). Die apriorische Weigerung, das Studium von einigen Instrumenten zu vertiefen: Ökonomie, Geschichte, Philosophie, Administration des Staates, öffentliche Finanz, Technik der Unternehmen, usw., hat kein revolutionäres Fundament, sondern besteht in einer fehlerhaften Interpretation des zerstörerischen Moments, der vom Anarchismus verfochten wird.

3) In den intermediären Kämpfen präsentieren sich die Anarchisten oft mit tausend Widerspenstigkeiten. Ihre grundlegende Reinheit bringt sie dazu, schlecht zu träumen. Sie bilden sich ein, in nicht immer sauberen Beziehungen mit anderen politischen Kräften kompromittiert zu werden, mit diesen Kräften auf dem Niveau der partiellen Motivationen, auf Forderungsebene, nicht konkurrieren zu können, während sie in der Gewalt von politischen Sophismen enden. Das alles blockiert viele Initiativen bei der blossen Phase des informativen Anstosses. Dies getan, bleibt man stehen, vertrauend in die Klarheit des anarchistischen Diskurses, in die Offensichtlichkeit der Notwendigkeit der Ablehnung der Delegation, in die Unmöglichkeit, dass man sich, nach so vielen negativen Erfahrungen, weiterhin falsche Hoffnungen über die Rolle macht, die die politischen Kräfte als Stütze des Kapitals und des Staates ausüben. Dann bleibt man überrascht und quasi entrüstet ab der Tatsache, dass die Proletarier keine klaren Ideen haben, nicht leicht verstehen, weshalb man denn auf die Delegation verzichten sollte, und damit fortfahren, sich, wie immer, von den Stümpern der Politik betrügen zu lassen. Diese tragikomischen Situationen sind sehr offensichtlich in den öffentlichen Debatten, an den Treffen und bei den Demonstrationen, die gemeinsam mit den sogenannten politischen Kräften der, mehr oder weniger revolutionären, Linken organisiert werden. Die Anarchisten starten mit einem grossen Gutwillen, reissen sich Arme und Beine aus, um die Demonstration zu organisieren (für Gewöhnlich ruhen sich diese Kräfte eigens auf dem Rücken der Anarchisten auf ihren Lorbeeren aus), entwickeln mit Präzision und Klarheit ihre informative Aufgabe (Flugblätter, Plakate, Redebeiträge, Kundgebungen, Vorträge, usw.), und dann blockieren sie. Sie überlassen den anderen Kräften die politische Verwendung der Demonstration. Für Gewöhnlich sind es diese Kräfte, die hinterlistig den propagandistischen Antrieb der Arbeit der Anarchisten ausnutzen, indem sie Anträge einfügen, Presseorgane instrumentalisieren, und zu verstehen geben, dass sie die einzige Präsenz sind, die fähig ist, etwas gegen die Macht zu unternehmen. Die Anarchisten sind inzwischen in ihre Räume zurückgekehrt, um sich zu fragen, wieso es bloss auch diesmal nicht gelungen ist, einen politischen Missbrauch von ihrer Initiative zu verhindern, doch im Grunde halten sie sich bereit und verfügbar für jede künftige Anfrage zur Zusammenarbeit. Es ist offensichtlich, dass wir bei solchen Dingen nicht in der Hälfte stehen bleiben können. Einmal begonnen, müssen sie vorangetragen werden, während man, auch mit politischen Mitteln, die Missbrauchsversuche verhindert. Schliesslich können auch wir beizeiten einen Antrag abfassen, bevor die Stalinisten Hand daran legen, und auch wir, besonders wenn wir einmal selbst unter den Organisatoren der Demonstration sind, können durchsetzen, dass dieser Antrag als Schlussfolgerung des Treffens oder der Versammlung durchkommt, ohne uns deswegen schmutziger oder kompromittierter zu fühlen, denn als wir die Arbeit gemeinsam mit anderen linken politischen Lagern begonnen haben. Indem wir bei diesen Problemen, die fälschlicherweise als nebensächlich betrachtet werden, den Vortritt gewähren, da wir, in gutem Glauben, meinen, dass es sich um Kompromittierungen ohne Nutzen handeln würde, laufen wir Gefahr, die Frucht der intermediären Arbeit zu verlieren, in den Augen der Proletarier als die zufälligen Weggefährten von politischen Formationen zu erscheinen, die besser organisiert sind als wir. So bestärkt man unter den Ausgebeuteten die Idee der unentbehrlichen Führung der Partei, hilft man den Stalinisten in ihrer quantitativen Aufgabe, und zerstört man von der einen Seite, was man auf der anderen Seite aufzubauen versuchte. Wir brauchen keine Angst davor zu haben, unsere Hände zu beschmutzen, indem wir zur Methode des intermediären Kampfes greifen, insofern wir, in der Anwendung der verschiedenen Strategien, eine Klarheit über die Ziele der Anarchisten bewahren, die den Betrügereien der Berufspolitiker und den Risiken des autoritären Projektes gegenübergestellt sind. Und die anarchistischen Ziele können auch erreicht werden, indem man im Disput mit den politischen Schlitzohren der autoritären Lager nicht zurückweicht.

4) Im bewaffneten klandestinen Kampf kann man nicht beanspruchen, dass alles der Improvisation und der Spontaneität des Einzelnen oder der kleinsten Gruppen anvertraut wird. Die Methode ist äusserst artikuliert und eignet sich zu Anwendungen von grosser Wichtigkeit innerhalb von strategischen Perspektiven, in die auch die anderen Methoden eingreifen. Von der Sabotage und der individuellen Aktion, oder jener einer winzigen Gruppe, die in jeglicher Hinsicht autonom und von operativen Kontakten mit anderen Gefährten oder Gruppen losgelöst ist, gelangt man zu einem organisatorischen Übereinkommen auf ziemlich breiter Ebene, das fähig ist, dutzende Gruppen und hunderte Gefährten miteinzubeziehen. Was hier wichtig ist, anzumerken, ist, dass die qualitative Entwicklung der bewaffneten revolutionären Aktion zweifellos mit gewissen unentbehrlichen quantitativen Notwendigkeiten in Widerspruch gerät. Es wird einem sicher nicht gelingen, viel hinzukriegen, wenn man mit äusserst wenigen ist. Aber man darf nicht denken, dass nur das zahlenmässige Wachstum eine strategisch korrekte Anwendung der Methode des bewaffneten Kampfes gestattet. Im Allgemeinen ist das, was im organisatorischen Moment gesucht werden muss, die kreative Entwicklung der Ideen, der Theorien, der Analysen, der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Aktionen, der Kontakte nach aussen, der Verbreitung des strategischen Projekts. Nur in einer untergeordneten und parallelen Form kann eine quantitative Entwicklung ins Leben gerufen werden, welche ihrerseits qualitative Konsequenzen von beträchtlicher Tragweite mit sich bringen wird. Man darf in keine der beiden Richtungen übertreiben: weder in die quantitative, indem wir uns einbilden, dass man erst später kreative und qualitative Prozesse ins Leben rufen kann, noch in die qualitative, indem wir uns einbilden, dass die Quantität eine Tatsache ist, die notwendigerweise auf die guten qualitativen Vorschläge folgt. Der sichtliche Widerspruch wird erst dann wesentlich, wenn die Methode nicht in ihrer globalen Konzeption betrachtet wird. Auch in der Anwendung der Methode der Information, auch in der Analyse, auch im intermediären Kampf werden oft Aspekte der Methode des bewaffneten Kampfes vorgeschlagen und realisiert, aber es wird gewiss nicht das zahlenmässige Ziel sein, das man verfolgen will. Den “Ton”, den man wählt beim Liefern einer Information, der Rückgriff auf gewisse Interventionen, die als “härter” definiert werden können, in den intermediären Kämpfen, die Klarheit mancher Analysen, das sind qualitative Anreize zu einer Bewusstwerdung, kreative Beiträge zu einem quantitativen Wachstum, das Zukunft in Aussicht hat, aber das sicher nicht als völlig überflüssig betrachtet werden kann.

Die beiden Dinge müssen also weise miteinander verflochten werden. Aus dem gegenseitigen Zusammenhang entstehen jene essenziellen Entwicklungen, die nicht ausschliesslich in quantitativen oder qualitativen Begriffen interpretiert werden können.

Das Verhältnis zum Level der Konfrontation

Wir stehen nicht alleine vor dem Level der Konfrontation. Als Anarchisten können wir uns alle Illusionen machen, die wir wollen, Illusionen von Reinheit und von einer Stimme in der Wüste, aber früher oder später müssen wir eingestehen, dass wir in Begleitung sind, in schlechter Begleitung.

Und die Beziehungen zu dieser schlechten Begleitung sind es, worüber wir nachdenken müssen, umso mehr sie uns abgedroschen und allbekannt scheinen, desto mehr erweisen sie sich als problematisch, und eben darum liefern sie den Punkt, wovon es auszugehen gilt.

Wir stehen nicht alleine da, weder an der Front der Information, noch an jener der Theorie, weder im Bereich der intermediären Kämpfe und auch nicht in jenem des bewaffneten Kampfes.

Die autoritäre Auffassung des revolutionären Kampfes verschmutzt weiterhin überall die korrekte Beziehung, die die proletarischen Kräfte zur Klassenkonfrontation haben sollten. Sie verschmutzt sie weiterhin, aber sie repräsentiert, zur gleichen Zeit, einen direkten Ausdruck von ihr.

Tatsächlich besteht kein Zweifel daran, dass die Entwicklung der Revolution nur unter der Bedingung möglich ist, dass sich die selbstorganisierten Kampfformen stärken. Aber es besteht auch kein Zweifel daran, dass das gegenwärtige Level der Klassenkonfrontation eine niedrige Entwicklung der Selbstorganisation hat, und dass dieser niedrigen Entwicklung im Bereich der revolutionären Aktion ein Überwiegen der Aktion der Autoritären entspricht. Wenn das Level ansteigt, werden diese Organisationen vom stürmischen Wind der Revolution hinfortgefegt, um dann wieder in Erscheinung zu treten, um die Fäden der Partei wieder zu verknoten und die Früchte der Unfähigkeiten anderer zu ernten. Wir dürfen uns keine Illusionen machen. Die Niederlage eines gewissen revolutionären Interventionsmodells hat Lehren geliefert, aber es ist nicht gesagt, dass eine Wiederaufnahme der Interventionen den Fehlern von einstmals nicht wieder Raum geben wird, und seien sie auch revidiert und korrigiert.

Die Anarchisten, hingegen, entwickeln sich, auch als Organisation, parallel zur Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe. Für sie, da es das quantitative Missverständnis nicht gibt, bedeutet das Anwachsen der Bewegung in ihrer Gesamtheit auch ein Anwachsen im spezifischen Sinne und entspricht das Herannahen des revolutionären Windes nie der Panik und der Besorgtheit, sondern der Freude und dem Ausbrechen der regenerierenden Zerstörung.

Bei einem niedrigen Level der Klassenkonfrontation sind es also die Stalinisten, die sich der sozialen Realität in Bewegung als angepasster erweisen und sich als die einzige Kraft präsentieren, die fähig ist, der revolutionären Aktion Leben zu verleihen. Sie sind der sichtbare Punkt eines unterirdischen Kontinents, der Punkt, worauf sich oft die Aufmerksamkeiten richten, aber sie repräsentieren sehr wenig, verglichen mit den Kapazitäten von jenem versunkenen Kontinent, der untätig bleibt. Während die Autoritären allmählich ihre Aktion entwickeln, hat diese negative Konsequenzen auf das Level der Konfrontation, negativ, da sie, per Definition, indem sie eine Zentralisierung der organisatorischen Kampfstrukturen vorschlägt, darin endet, das Level selbst weiter herabzusenken. Nur, dass dieses Herabsenken praktisch gesehen winzig ist, eben aufgrund des niedrigen Levels, auf dem sich die Konfrontation befindet. Bei einem hohen Level strebt ihre Aktion stets nach demselben Ziel (abgesehen von verschiedenen Tarnungen à la: “Alle Macht den Sowjets”), aber in Anbetracht der euphorischen Stimmung ist sie auch diesmal vernachlässigbar. Man könnte, paradoxerweise, schlussfolgern, dass es gerade die Autoritären sind, die jenen Mülleimer der Geschichte darstellen, in den der Massakrierer Trotzki die Anarchisten werfen wollte. Egal was sie tun, sie haben keine Hoffnung ausser als Totengräber der Revolution. Zum Zeitpunkt einer bescheidenen Entwicklung der Kämpfe können sie sie gewiss nicht verschlimmern, zum Zeitpunkt eines grossen Aufschwungs werden sie völlig ausgehebelt.

Und doch haben auch sie eine nicht vernachlässigbare Funktion. Sie dienen als Prüfstand des Negativen. Sie dienen den Proletariern, um, in den Tatsachen, vor Augen zu führen, was nicht getan werden darf, sie dienen den wahren Revolutionären dazu, mit Klarheit eine Grenze zu kontrollieren, die nicht überschritten werden darf.

Aus diesem Grund haben wir es vermieden, diese Organisationen auf der Ebene von einer abstrakten und leeren Kritik zu bekämpfen, begründet auf den starken Punkten der anarchistischen Theorie, eine Kritik, die, wenn sie theoretische Breschen öffnen konnte, sicherlich nichts jenseits der banalen Konfrontation über die verschiedenen Interpretationsweisen der Geschichte und der Realität vor Augen führen konnte. Aus diesem Grund haben wir die Prüfung der Tatsachen vorgezogen. Das Mass der autoritären Fehler wird anhand von ihren Grenzen erfasst, ausgehend eben von der Unfähigkeit, die Abwicklung des Klassenkonflikts und die Modifizierungen des Levels der Konfrontation zu verstehen.

Halb gemachte Sachen

Die menschliche Aktion muss präzise Bedingungen erfüllen, um als solche definiert zu werden: sie muss Merkmale von Vollendetheit haben, das heisst, den Absichten entsprechen, oder, zumindest, in einem Zusammenhang mit den nachfolgenden Zwischenfällen stehen, die das Abrücken von den Absichten auslösen. Eine Aktion, die in der Hälfte stehen bleibt, die zögert und unentschlossen bleibt, eine Aktion, die sich mit unüberwundenen Zwiespälten herumschlägt, die widersprüchlich und partiell bleibt, ist keine leibhaftige menschliche Aktion, ist ein Versuch, ein Entwurf, ein unrealisiertes Projekt, ein Verlangen.

In der sozialen Konfrontation stehen die Aktionen, die darauf abzielen, die bestehenden Bedingungen des Klassenverhältnisses zu verändern, besonders stark unter dem Einfluss von diesem Grundgesetz der Aktion. Hier sind die Konsequenzen einer Unentschlossenheit oder eines Zögerns viel gravierender und übersetzen sie sich in negative Aspekte, die den Absichten, die die Aktion inspiriert haben, und den Zielen, die man sich vornahm, oft entgegengestellt sind.

Dieses Prinzip der “halb gemachten Sachen” gilt für alle vier methodologischen Richtungen der sozialen Aktion. Eine unvollständige, partielle oder unsichere Information hat den gleichen Wert wie eine manipulierte Information, als ein typisches Instrument der Macht. Eine Theorie, die sich an der Oberfläche der Probleme hält, die nicht den Mut hat, in die Tiefe vorzudringen, die Angst vor den Konsequenzen hat, die beabsichtigt, das Fell mit dem Strich zu streicheln, endet darin, sich als eine Art Erziehung zum Konformismus und zur Knechtschaft zu erweisen. Ein intermediärer Kampf, der das revolutionäre Ziel aus dem Blick verliert, wie fern es auch sein mag, ist ein von Anfang an verlorener Kampf, eine ungeheure Vergeudung von lebendigen sozialen Kräften, ein negatives Experiment, einzig dazu fähig, das Bewusstsein des Proletariats einzuschläfern. Ein Projekt von bewaffnetem Kampf, das unfähig ist, in all seinen Aspekten zu entwickeln, was die strategischen Bedingungen des Konfrontationslevels erlauben, ist ein nutzloses, oft kontraproduktives Bemühen, eine dreiste Schüchternheit, eine Bereinigung mit dem eigenen individuellen Gewissen und ein Verschliessen der Augen vor der Realität des Problems.

Im Namen von einer missverstandenen Reinheit in der Hälfte stehen zu bleiben, ist verbrecherisch. Dann lieber gar nicht erst beginnen. Wenn man nicht sicher ist, bis zum Ende gehen zu können, wenn man uneingestandene Bedenken hat, dann widmet man sich lieber anderem: das verursacht weniger Schäden und tut auch der Gesundheit gut.

Es stimmt nicht, dass dieses Prinzip für den bewaffneten Kampf gilt und nur zweitrangig auch für die anderen methodologischen Richtungen. Die Schäden, die aus einer Information hervorgehen können, die, aus Ineffizienz oder Oberflächlichkeit, unpassend ist, können ebenso gravierend sein wie die politischen und physischen Schäden, die aus einer schlechten klandestinen Organisation oder aus strategischen Fehlern beim Anwenden der Methode des bewaffneten Kampfes hervorgehen können.

Gut gemachte Sachen

Die revolutionäre Aktion, die ihre operativen Potenzialitäten ausschöpft und die Ziele erreicht, kann als eine gut gemachte Sache definiert werden. Oft sind die Potenzialitäten nicht im Voraus erkennbar und zeigen sie sich im Verlauf der Aktion selbst. Dasselbe gilt für die Ziele. Die kreative Fähigkeit der Aktion bestürzt die Revolutionäre und provoziert so manches Verderben, sie ist nicht zuletzt ein Grund für die halb gemachten Sachen. Viele Zauberlehrlinge geraten in Angst ab der grossen operativen und zerstörerischen Fähigkeit des Besens, den sie nicht mehr aufzuhalten wissen. Wieso sie ihn denn aufhalten sollten, bleibt eines der Mysterien der Psyche des Revolutionärs.

Das Individuum ist die erste Quelle der revolutionären Potenzialität. Nicht alle Individuen sind gleich, sowie nicht alle Gefährten Revolutionäre sind. Die Suche nach Affinität ist eines der grossen Probleme der revolutionären Aktivität. Die Diskurse und die Theorien sind sehr wertvoll, oft überaus wertvoll, aber manchmal kommen, gegenüber Problemen dieser Art, andere Verständnisebenen ins Spiel. Die Affinität kann einem Gefühl, einer Zuneigung, einer Geste, einem Blick, einer Art, zu schweigen oder zuzuhören, entspringen. Dieser grosse Reichtum kann in wenigen Augenblicken verschüttet werden. Ein Wort zuviel, ein suggeriertes Symbol, das fehl am Platz ist, ein Kennzeichen, und schon endet man darin, sich fremd zu fühlen: ein Anwerbungsversuch, der unmöglich nicht verabscheuungswürdig und sektiererisch klingen kann. Die verschüttete Potenzialität kann nicht mehr wiedererlangt werden, die Sensibilität eines Moments verfällt leicht, die Wache erhebt sich.

In einer anderen Dimension kann auch eine Gruppe von Gefährten, zu einem gewissen Zeitpunkt, eine besondere Potenzialität entwickeln. Was sie zu einer Bewusstwerdung antreibt, kann eine Tatsache sein, und sei es auch eine simple und äusserliche, eine Diskussion, das Studieren von einem Buch, die Vertiefung von einem Problem. In der Gruppe wird ein Moment des besonderen Scharfsinns zur Lösung des Problems kreiert. Wenn die Affinität unter den verschiedenen Mitgliedern hoch ist, kann dieser Scharfsinn die Potenzialität in Operativität übersetzen. Aber es kann ihr auch etwas gegen den Strich gehen. Im Hintergrund kann sich der Schatten einer Organisation, eines Kennzeichens, eines abgepackten und gebrauchsbereiten Projekts abzeichnen. Der Keim des Verdachts, des Misstrauens kann sich leicht entwickeln. Niemandem gefällt es, instrumentalisiert zu werden. Insbesondere, wenn die Erfahrung aus einer unfernen Vergangenheit lehrt, dass es nicht eine Verteidigung oder eine Gewähr ist, was die grosse Organisation anbietet, sondern schlicht ein Etikett und eine Fahne.

Die Ziele sind offensichtlich. Das revolutionäre Wahrnehmungsvermögen erfasst sie stillschweigend, quasi ohne zu diskutieren. Oftmals dienen die Diskussion und die Vertiefung dazu, sie fern zu halten, um es zu erlauben, der plötzlichen Versuchung, die uns ergreift, sofort, hier, an eben dieser Stelle, an dieser Strassenecke anzugreifen, ohne lange darüber nachzudenken, zu widerstehen. Aber die Analyse ist richtig und wichtig. Wenn die Gelegenheit versäumt wird, sofort anzugreifen, so kann die Alternative eines überlegten, geplanten, strategisch wertvolleren und bedeutungsvolleren Angriffs gewonnen werden. Und gegenüber dieser Perspektive muss der kritischen Argumentation, der analytischen Vertiefung Raum gegeben werden.

Aber damit die Sache eine gut gemachte Sache ist, muss das Ziel erreicht werden, nicht nur das Ausgangsziel, sondern dasjenige, das sich im Verlaufe der Aktion abgezeichnet hat. Auch wenn dieses Ziel interveniert, um die Ausgangszielsetzung – indem es sie ausweitet oder mässigt – zu korrigieren. Nur unter dieser Bedingungen stehen wir vor einer gut gemachten Aktion, einer revolutionären Aktion.

Die Selbstorganisation des Kampfes

Das hauptsächliche Ziel, das die Anarchisten zu erreichen gedenken, in der strategischen Ausrichtung, die sie ihren methodologischen Richtungen geben, ist die Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten.

Deswegen sind ihre Aktionen nicht unorganisiert, bar von einer inneren Logik oder ohne einen klar definierten minoritären Aspekt. Das Gegenteil zu behaupten, würde heissen, die Realität zu verneinen. Heute, zu einem Zeitpunkt von einer Herabsenkung des Levels der Konfrontation, ist die Tendenz zur Selbstorganisation unter den Ausgebeuteten sehr bescheiden. Sie offenbart sich hie und da, sporadisch, aber sie stellt gewiss nicht eine der vordergründigeren Bedingungen der ganzen Bewegung dar. Deswegen passen die Anarchisten sich nicht an die Situation an und führen Diskurse über ein passives Akzeptieren der laufenden Bedingungen der Konfrontation. Sie stellen sich oft der Strömung entgegen und versuchen, sie hinaufzusteigen. Sie stellen die Proletarier und die Ausgebeuteten vor ihre eigenen Verantwortungen, führen ihre Fehler vor Augen, weisen auf den laufenden Verrat hin, und setzen Aktionen um, sich an Stelle von jenen Proletariern und jenen Ausgebeuteten setzend, die von den Schlichen der Macht eingelullt wurden.

Der bewaffnete Kampf ist eine der Methoden, welche die Anarchisten anwenden können, auch als minoritäre spezifische Organisation, sich an Stelle der selbstorganisierten Aktion der Ausgebeuteten setzend, wenn diese nicht existiert oder sich als mangelhaft erweist. Das Ziel von dieser Ersetzung ist offensichtlich: als Ansporn, als Zündstoff zu dienen, aufzuzeigen, dass der Kampf auch unter minoritären Bedingungen möglich ist, vor Augen zu führen, dass der Übergang vom Kleinen zum Grossen plötzlich geschehen kann, wenn man es am wenigsten erwartet. Zu schweigen und zu warten, oder zu kritisieren und mit einer zynischen und skeptischen Haltung Abratungsarbeit zu leisten, ist gewiss nicht das, was die Anarchisten sich vornehmen sollten. Die Kritik ist recht. Die Grenzen von einer Methode vor Augen zu führen, ist recht. Doch dies negiert nicht den Antrieb zum Enthusiasmus, den Anreiz zur Konfrontation, und sei sie auch ungleich. Die Naivität und die Sturheit von Don Quijotte sind dem kritischen Geist und dem Messbecher des Krämers vorzuziehen.

Diese besorgten Diskurse, die dabei verweilen, Präsenzen und Beiträge zu messen und zu bewerten, ähneln der These von jenen, die stets bereit sind, die ganze Welt zu zerstören, vorausgesetzt, dass man mit vielen, fest entschlossen und gut bewaffnet ist. Im Erwarten von diesen drei idealen Bedingungen endet man darin, nichts zu tun, abzuwarten, sich krank zu ärgern und vielleicht gar zur Schlussfolgerung zu gelangen, dass man sich damit abfinden muss. Wie viele revolutionäre Potenzialitäten sind auf diese Weise vergeudet worden, wie viele Gefährten zu künstlichen Organisationen getrieben worden, die scheinbare Sicherheiten von Projekten und Mitteln boten! Anstatt die Aspekte von einer möglichen Aktion zu vertiefen, so eingegrenzt sie auch sein mag, hat man es bevorzugt, von der Aktion abzuraten, indem man zum Warten einlud, weil „das nicht der Moment sei“, und die Lust an der Unmittelbarkeit des Tuns austrieb.

Im Grunde ist der Moment des Angriffs immer gegeben. Der Terrorismus des Staates und der Bosse ist immer im Gange. Keine krämerhafte Spitzfindigkeit wird mich jemals davon überzeugen können, dass es Zeiten für die Anwendung von gewissen Methoden gibt, und Zeiten für die Anwendung von anderen. Die strategischen Entscheidungen werden an den Bedingungen der Konfrontation bemessen, aber sie können eine bestimmte Methode nicht barsch ausschliessen. Sie können, höchstens, eine andere Mischung der Methoden, einen nuancierteren Ton in den verschiedenen Interventionen anraten. Nie die apriorische Verurteilung einer Methode im Namen von vorausgesetzten Prinzipien.

Wir sind für die Selbstorganisation der Kämpfe der Ausgebeuteten, aber dies hält uns nicht davon ab, damit zu beginnen, jetzt und sofort, unsere Strukturen zur Intervention in die soziale Konfrontation zu organisieren. Ob die künftige Selbstorganisation der Ausgebeuteten sich mit diesen anwesenden Strukturen von uns zu koordinieren wissen wird oder nicht, ist ein Problem, das, auch wenn es nicht sekundär ist, niemals die jetzige revolutionäre Aktivität blockieren darf. Andernfalls würden wir darin enden, alles ewig aufzuschieben, auf jene günstige Situation, in der unsere Aktion letzten Endes so einfach werden würde, dass sie Gefahr läuft, unnötig zu sein. Das aufständische Volk hat gewiss keinen Bedarf an Anarchisten, die aufzeigen, wie man einen Aufstand macht. Aber die Ausgebeuteten, in einem Zustand von Unterworfenheit und Apathie, haben einen grossen Bedarf an Anregungen zum Kampf, an Klarstellungen und Informationen. Einen Teil von diesen Beiträgen a priori zu blockieren – zum Beispiel den bewaffneten Kampf – ist eine gefährliche Verstümmelung des revolutionären Gesamtprozesses.

Ein mögliches Organisationsprojekt

Die revolutionäre anarchistische Aktivität ist kein Scherz, sie kann nicht als etwas Vergnügliches betrachtet werden, das man hin und wieder macht, um die Leeren des Alltags zu füllen. In Bezug auf die Gesamtheit der anarchistischen Ideologie, als das, wie sie sich im Verlaufe der Zeit von den verschiedenen theoretischen Beiträgen als konstruiert erweist, ist das möglich. Eine grosse Zahl von anständigen Leuten widmet sich der Unterhaltungslektüre der anarchistischen Texte, und, vielleicht, tief in ihrem Herzen von Bürgerlichen-Liebhabern der Zerstörung und der Gewalt (ausserhalb von ihrem Haus), versuchen sie dadurch, eine mehr oder weniger entlegene Kompensation ihrer Frustrationen zu finden. Die Theorien von Bakunin, von Kropotkin und von Malatesta zu lesen, dieser Lektüre jene der abenteuerlichen Taten von Di Giovanni, Durruti, Ascaso, Mackno, Sabaté, usw. anzufügen, tröstet und hilft, den Hürden des Alltags entgegenzutreten.

Aber kaum setzt man sich im Konkreten der Realität der sozialen Konfrontation ein, kommt man nicht darum herum, eine Entscheidung zu treffen. Der Zeitvertreib genügt nicht mehr. Wir müssen uns einsetzen. Die Polizei scherzt nicht. Die Richterschaft genauso wenig. Für jene, die eine Stelle bei der Stadt oder eine kleine Geschäftstätigkeit haben, sind das lästige Fragen. Man macht schliesslich die Rechnungen mit Prozessen, Verurteilungen, Beschlagnahmungen, kurzen oder langen Aufenthalten im Gefängnis, sozialer Diskriminierung, Ausgrenzung, Schwierigkeiten aller Art. Und es stimmt nicht, dass all das nur denjenigen geschieht, die sich dem Einsatz von Methoden zuwenden, die näher beim bewaffneten Kampf sind. Gefährten, die sich der Information widmen, die theoretische Bücher und Broschüren herausgeben, die in intermediären Kämpfen engagiert sind, werden der repressiven Ferse unterzogen und müssen jeden Tag die Rechnung damit machen.

Korrekterweise erfasst die Macht den tiefen Sinn der anarchistischen und revolutionären Aktivität weniger in der angewandten Methode, als vielmehr in den Konsequenzen der Aktion. Die Gefährlichkeit einer Information, passend gewählt und in Umlauf gebracht, kann grösser sein als eine Vergeltungs- oder eine Sabotageaktion, die sich, zu einem bestimmten Zeitpunkt, auch als unverständlich und fremd erweisen kann.

Aber gerade die Revolutionäre sind es, die über ein so wichtiges Problem keine klaren Ideen haben. Für sie gilt ein schematisches Grundgesetz, das die Kampfmethoden deutlich trennt. Besonders gegenüber dem bewaffneten Kampf haben sie sehr klare und in zwei Kategorien unterteilte Ideen: a) Jene, die diese Methode bedingungslos verherrlichen und als die einzig revolutionäre und zur Besiegung der Macht geeignete definieren. b) Jene, die sie verleumden und als eine terroristische Methode betrachten, einzig der Macht und ihrer Handlanger würdig, eine Methode, die es nicht zu verfolgen gilt, verseucht von Spitzeln und Denunzianten, einzig dazu fähig, die ganze Bewegung in den Ruin zu führen.

Diese beiden Positionen prallen in der grössten Verwirrung aufeinander, mit manchmal komischen und manchmal pathetischen Resultaten.

Wir sagen gleich, dass wir die Methode des bewaffneten Kampfes nicht unter einem privilegierten Blickwinkel betrachten. Wir ziehen sie als eine Methode unter den anderen in Betracht, fähig, ihren Beitrag an das revolutionäre Projekt zu liefern, sofern es innerhalb von einer Strategie ist, die imstande ist, unterschiedliche Methoden in verschiedenen Kombinationen anzuwenden.

Aber wir sagen auch, und mit derselben Bestimmtheit, dass es, genauso wie es – für die anarchistische Bewegung in ihrer Gesamtheit – erforderlich ist, sich die besten Strukturen zur Information, zur Analyse und zum intermediären Kampf zu geben, erforderlich ist, sich eine Struktur zum bewaffneten Kampf zu geben.

Daraus folgert, dass, wenn die Informationsstrukturen Druckereien, Zeitungen, Verlagshäuser, etc. erfordern, wenn die theoretischen Strukturen Bücher, Verlagsreihen, Studien und Studiumszentren erfordern, wenn die intermediären Kämpfe Interventionsgruppen, organisierte Präsenzen in den Fabriken, soziale Zentren in den Quartieren, Kampfstrukturen in den Schulen, etc. erfordern, der bewaffnete Kampf gleichermassen Mittel und eine eigene Organisation erfordert.

Aus einem objektiven Blickwinkel kann man, wenn man diese letztere Organisation betrachtet, nicht erkennen, worin ihr wirklicher Unterschied zu den anderen ähnlichen Organisationen besteht, die von den Autoritären aufgebaut werden. Aber dasselbe kann auch über eine Druckerei oder eine Interventionsstruktur gesagt werden. Wenn man vor der Tür einer Stadtteilgruppe vorbeigeht, versteht man nicht gross, ob man beim Kennzeichen oder bei der Fahne stehen bleibt.

Was ein derartiges Problem betrifft, so können die Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, in Zukunft vermieden werden, wie es hingegen zahlreiche Vögel und Rabenvögel, die auf den höchsten Zweigen des Baumes niedergehockt zwitschern, weiterhin bestreiten. Genauso weisen die mehr oder weniger fundierten Kritiken vieler Aasgeier gewiss nicht auf die Anwesenheit eines Kadavers hin. Eine Kritik ist eine Kritik. Es genügt, sie in Betracht zu ziehen, ohne stehen zu bleiben und der moralischen Herausputzereien zuzuhören, die das gute Kritikerherz gerne hier und dort verteilt.

Sicher, die spezifische Organisation ist ein Instrument, das verschiedene gefährliche Punkte aufweist, aber dasselbe gilt auch für viele andere Instrumente. Die schlecht benutzte Information bewirkt den gegenteiligen Effekt und verursacht mehr Schaden als Anderes. Die Theorie, wenn sie unfähig ist, den abstrakten Moment der Analyse zu überwinden, erstickt sich selbst mit den akademischen Gewändern und wird zu einer Stütze und Lackierung der Repression. Die intermediären Kämpfe, wenn sie nicht in Richtung eines allmählichen Anwachsens des revolutionären Bewusstseins geleitet werden, übersetzen sich in leichte Happen für die Demokraten und Transformisten. Das Dynamit kann in den Händen von dem, der es nicht zu benutzen weiss, explodieren. Nicht das nötige Verständnis für gewisse Techniken zu haben, oberflächlich, ohne eine angemessene Vorbereitung, dem Gebrauch von irgendwelchen Werkzeugen zuzustimmen, leichtsinnig zu denken, dass man so sehr Überbringer der revolutionären Wahrheit ist, dass alles, was man tut, gezwungenermassen verstanden werden muss, all dies führt zur Blindheit der Aktion, zum approximativen Dilettantismus, zu schmerzhaften Enttäuschungen, zur Entmutigung, zur Niederlage.

Es soll hier nicht eine Hymne auf die Spezialisierung gesungen werden, im Gegenteil, die Makel der manischen Verschliessung der Techniken stehen an oberster Stelle unter den negativen Seiten der spezifischen Organisationen. Es soll aber bekräftigt werden, dass alles gemäss bestimmten Regeln, gemäss bestimmten Techniken getan werden muss. Diese mit Absicht, oder auch aus unbewusster Oberflächlichkeit zu ignorieren, ist nicht eine Antwort auf die Makel der Spezialisierung, sondern schlichte Tölpelhaftigkeit

Ein intelligenter und feinfühliger Gefährte muss über ausreichende Qualitäten verfügen, die ihn in die Lage versetzen, alle Methoden, auf best mögliche Weise, zu gebrauchen, die ihm die lange und schmerzhafte Geschichte der revolutionären Bewegung zur Verfügung stellt. Falls er ein tüchtiger Journalist ist, und sich diese Tüchtigkeit von ihm in der Ausarbeitung der Informationen, in der Redaktion von Zeitungen, Radios, Flugblättern, usw. spezialisiert, so muss er alles tun, um sich auch mit den anderen Methoden zu befassen, sie in den Rahmen des strategischen Projekts einfügend, das ihn engagiert sieht. Er muss dies auch auf das Risiko hin tun, die Spezialisierung, die er sich letztendlich in dem Sektor erworben hat, der ihn als aller Probleme und aller Instrumente Herr sah, abfallen zu sehen. Die Spezialisierung wird mit einer Erweiterung des revolutionären Interessensbereichs bekämpft, und nicht mit dem Einladen zum Dilettantismus und zur Approximation. Sicher, jener Gefährte wird stets grundlegend ein Journalist bleiben, denn dies werden seine individuellen Charakteristiken sein, aber seine neuen Interessen werden ihn den anderen Sektoren der methodologischen Intervention näherbringen, wo er seinen Beitrag erbringen kann, der vielleicht weniger bedeutend, aber gewiss nicht weniger wichtig ist. Mehr noch: Es wird eben diese Überwindung der Sektortätigkeit sein, was jenes Zusammenwirken zwischen verschiedenen Methoden gewährleistet, das eine Reihe von Interaktionen erlaubt, die in einer starr verkalkten Sichtweise völlig unmöglich sind.

Ein organisatorisches Projekt bedeutet, folglich, gleichzeitige Anwesenheit von vielfältigen Interessen, Zusammentreffen von individuellen und kollektiven Affinitäten, Materialisation in Programmen und Analysen von Ideen und Intuitionen, Enthusiasmen und Kenntnissen. Sich die Organisation als eine hermetisch geschlossene Hülle zu denken, umso hermetischer, je mehr sie Programme und Ideen bezüglich dem bewaffneten Kampf enthält, ist eine demütige und nachzüglerische Angewöhnung an die traditionellen Gemeinplätze der bewaffneten Partei, eine Wiederholung von Verschwörungsmodellen, die längst antiquiert sind. Aber das Gegenteil von all dem bedeutet nicht Verwirrung, Wunschvorstellung, Spontaneismus oder Zurückweisung von jeglicher Struktur und jeglicher Selbstdisziplin. Es wiederholt sich hier das Missverständnis, welches das anarchistische Denken für viele besitzt. Die Anarchie, vorgestellt als absolute Herrschaft der Sorglosigkeit, ist, im Lichte der Tatsachen, etwas ganz Anderes. Die Freude ist nicht Synonym für Dummheit, sowie die Erschaffung nicht Zurückweisung von jeglichem vorhergehenden Wissen heisst. Die Selbstdisziplin ist eine Anerkennung der Notwendigkeit, sich einer Anstrengung zu unterziehen, um ein Resultat zu erlangen, das man für wichtig hält. Nur mit unserem Willen können wir dieses Resultat erlangen, indem wir die Hindernisse bezwingen, die uns von ihm trennen. Und diese Hindernisse sind nicht nur Mauern, die es niederzureissen gilt, oder Bullen, die es unschädlich zu machen gilt, sondern können auch Probleme von persönlicher Natur sein, wie, zum Beispiel, eine Unfähigkeit, Ordnung in unsere Programme, in unsere Ideen, in unsere Gesten zu bringen: eine zerstreuende Neigung zur Improvisation, zum unmittelbar Gefälligen, zum Oberflächlichen, eine Angst vor dem Engagement, vor der Vertiefung, vor der Strenge der Aufgabe, vor der wir stehen. All das ist Teil vom Problem der spezifischen Organisation, sowie es Teil vom Leben des Menschen ist. Es kann nicht einfach weggestrichen werden, nur weil wir es für einfacher halten, damit fortzufahren, Geschwätz über die Schönheit und die Spontaneität der Anarchie zu betreiben.

Je nachdem, wie sie erlebt wird, kann die Beziehung zur Organisation eine bittere Erfahrung oder ein kreatives Projekt sein. Dieselbe Organisation kann, bei zwei verschiedenen Gefährten, zwei verschiedene Beziehungen hervorrufen, aber diese beiden Beziehungen, wenn es wirklich solche sind, werden die Organisation nicht am vorigen Punkt belassen. In einer anderen Hinsicht verursacht ein Fehler im Ansatz der Beziehungen negative Konsequenzen auf die ganze Organisation und somit auf alle Gefährten, die ihr angehören.

Eine grosse kritische Arbeit ist über die formellen Aspekte der spezifischen Organisationen gemacht worden. Wenn es sich um anarchistische Erfahrungen handelte, so wurden in ihnen die verschwörerischen und jakobinischen Überreste, die autoritären Deformierungen kritisiert: Elemente, die der Handlungsweise und den Ideen der Anarchisten völlig fremd sind. Doch wie viele von diesen Kritiken sind vor der Türe stehen geblieben? Wie viele haben die Fähigkeit gehabt, die Bedeutung der begangenen Fehler zu erfassen, und sei es nur der offensichtlichsten?

Andere Male fand die kritische Vertiefung ausgehend von Dokumenten statt, die als grundlegend betrachtet wurden, um dann zu den organisatorischen Strukturen zu gelangen. Die Frage, ob man aus dem Abmessen des Grabens, der zwischen dem Sagen und dem Tun verläuft, die effektive Dimension der begangenen Fehler berechnen kann, scheint uns legitim.

In wiederum anderen Fällen hat man von Vergleichen zwischen verschiedenen historischen Situationen Gebrauch gemacht (Russland, Spanien, Mexiko, usw.), um Kritiken zu entwickeln, die zwar objektiv korrekt waren, sich aber gegenüber der Notwendigkeit, Fehler und Deformierungen der organisatorischen Struktur aufzuzeigen, nicht als konstruktiv erwiesen.

Von einigen offenen Türen

Offene Türen einzutreten, macht viel Lärm, aber ergibt spärliche Resultate. Für jemanden, der mehr am Lärm interessiert ist, mag das Unterfangen positive Aspekte haben.

Nehmen wir die Debatte über die “Klandestinität”. Wer sich in einer solchen Situation befindet, ist oft dazu verleitet, sich theoretische Rechtfertigungen auszudenken, die in den Erfordernissen der Klassenkonfrontation ihren Ursprung finden. Es scheint ihm etwas vereinfacht, schlichtwegs anzuerkennen, dass die Klandestinität eine umstandsbedingte, an präzise individuelle und Gruppenbedingungen gebundene Tatsache ist, und nicht eine Tatsache, die auf eine höhere Stufe einer hypothetischen revolutionären Werteskala gestellt werden kann. Andererseits ist, wer diese Entscheidung als theoretische Tatsache zu Recht kritisiert, dann nicht fähig, sie als unweigerliche Konsequenz mancher Situationen anzuerkennen. Er bevorzugt es, mit der Kritik an der Theorie fortzufahren und die Grenzen mancher objektiven Notwendigkeiten nicht zu akzeptieren. Auf diese Weise entwickelt sich eine Polemik zwischen Tauben. Die Klandestinität ist nicht einer der wesentlichen Vorzüge des bewaffneten Kampfes, sondern stellt einen seiner negativen Aspekte dar, der oft von den Bedingungen der Konfrontation bedingt wird. Sie kann nie als eine privilegierte Situation betrachtet werden. Wenn dann wäre die privilegierte Bedingungen jene von einer aktiven Alltäglichkeit, von einem vollständigen revolutionären Engagement in einer Situation, die von offenem sozialen “Status” charakterisiert ist.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass die bewaffnete Organisation klandestin sein muss, und dass einer strikten Klandestinität der Organisation eine aktive Alltäglichkeit von allen Beteiligten entsprechen sollte. Das sind offene Türen, die es nicht nötig wäre, einzutreten, die wir aber, angesichts der grossen Anzahl von Personen, die darauf beharren, mit dem Kopf dagegenzuschlagen, lieber ein für alle Male öffnen.

Derselbe Diskurs voller Missverständnisse entwickelt sich oft in Bezug auf die aktive, und somit auch bewaffnete Alltäglichkeit. Wir mögen die Gemeinplätze des jakobinischen Verschwörertums ablehnen – und mit Recht – aber wir können uns nicht dem Okkasionalismus des Alltags anvertrauen, besonders, wenn dieser mit viel gutem Willen beginnt und dann im privatistischen Labyrinth, in den kleinen Zugeständnissen an ein Lebensideal versumpft, an dem vielleicht, wenn es durch und durch epikureisch wäre, wenigstens die Anerkennung der Vorrangigkeit der Bedürfnisse des Einzelnen real wäre, und aber nichts anderes ist, als eine Neuauslegung der üblichen Geschichte. Einem reaktionären Spiessbürgertum stellt sich ein fortschrittliches Spiessbürgertum gegenüber. Es ändern sich die Farben, die Sprachen, die Stereotypen. Die Unbeweglichkeit der Logik der Anpassung bleibt intakt. Wir können uns einbilden, die Welt zu verändern, indem wir ein Maschinengewehr umarmen, und in einer Zelle enden, über die begangenen Fehler nachgrübelnd, ohne sie zu bewältigen, und wir können uns einbilden, die Welt zu verändern, indem wir die Probleme von unserem Alltag umarmen, und bis zum Hals im Überleben enden. Sich weiter gegenseitig darüber die Haare auszurupfen, wer Recht hat, während sich die Fehler auf beiden Seiten anhäufen, führt zu keinen positiven Schlüssen.

Niemand will, per Definition, die Revolution an Stelle des Proletariats machen. Trotz all dem gibt es nicht wenige, die es satthaben, darauf zu warten, dass die Welt sich erhebt, um sich ebenfalls aufzulehnen. Es gibt nicht wenige, die meinen, dass man doch irgendwo anfangen muss, und dass man, auch alleine, stets imstande ist, etwas zu tun, um den Feind anzugreifen. Diese Logik ist nicht verliererisch. Auch wenn sie auf der quantitativen Ebene nicht gewinnt, auch wenn sie auf der militärischen Ebene nicht “siegt”, heisst das nicht, dass sie auf der revolutionären Ebene verliererisch ist. Ansonsten würden die Kritiker und die Attentisten eine Gleichwertigkeit zwischen militärischer Effizienz und revolutionären Resultaten bekräftigen, die sie selbst (zu Recht) prinzipiell negieren. Wenn dann ist die umgekehrte Logik verliererisch, jene, die das Warten, das Hinauszögern, den Kompromiss, die Mimese lehrt. Das politische Katheder, von woher diese Predigt kommt, ist viel zu kompromittiert, um glaubwürdige Angaben zu liefern.

Niemand bildet sich ein, dass sich das Proletariat innerhalb von einer verschwörerischen Dimension mitreissen lässt. Die Versuche von bewaffnetem Kampf müssen sich vor dieser Perspektive hüten. Die Selbstorganisation der Kämpfe ist ungestüme aktive Alltäglichkeit, Kreativität der umwälzenden Aktion, unwiederholbare Konfrontation, die keine Modelle findet, auf die es sich zu betten gilt, oder Richtlinien, die es zu respektieren gilt. Die revolutionäre Aktion von einer Minderheit, angesichts von diesem Grassieren in Aussicht, muss die Rechnungen mit einem Warten machen, das Gefahr läuft, sich allzu lange hinzuziehen. Sie kann nicht in einer langfristigen Akkumulationsarbeit versinken, auf die Gefahr hin, ihren Diskurs selbst unverständlich zu machen, auf die Gefahr hin, mit dem zahlreichen Geschwafel gleichgestellt zu werden, das die metaphysischen Kauze der militanten Politik in tiefster Nacht aussenden. Sie muss sich der Strömung entgegenstellen. Zur Quelle von einer antagonistischen Bewegung hinaufsteigen, die Gefahr läuft, sich auf die eigenen Möglichkeiten zu betten. Das alles bedeutet nicht – auch wenn es fälschlicherweise behauptet wurde – eine leninistische Sicht auf den revolutionären Kampf. Es bedeutet auch nicht einen leeren Edukationismus, der mittels der Methode des bewaffneten Kampfes auf das Proletariat in seiner Gesamtheit angewandt wird. Es bedeutet, viel einfacher, die anarchistische spezifische Organisation aufzubauen, zwischen tausend Widersprüchen, um die Ausgebeuteten zur Revolte anzutreiben. Dies kann auf viele Weisen realisiert werden, und somit auch mittels der Anwendung des bewaffneten Kampfes. Wenn es einen Grund gäbe, der derart fundiert ist, dass er die Nicht-Praktizierbarkeit von dieser Methode beweist, dann würde derselbe Grund über dem revolutionären Kampf in seiner Gesamtheit für immer den Grabstein versiegeln, denn es würde, zur selben Zeit, die Nicht-Praktizierbarkeit von jeglicher anderen Methode beweisen.

Es ist eine schwere Beschränkung, die bewaffnete Konfrontation auf den Kampf zwischen rivalisierenden Banden zu reduzieren. Und nicht nur für jene, die sich innerhalb von einem Kennzeichen verschliessen und aus diesem Kokon heraus beanspruchen, dem Staat Angst einzuflössen. Auch diejenigen, die diese partielle Anschauung kritisieren, bemühen sich nicht, die Gründe zu ermitteln, die den Fehler erzeugt haben, weshalb sie, die Hände hochhebend, glücklich schlussfolgern, dass das Scheitern der Methode nunmehr unvermeidlich ist. Die ersten verteidigen die eigene Praxis und oft sind sie geradezu pathetisch in ihrem Sinnieren rund um Theorien, die sehr wenig mit der revolutionären Selbstorganisation zu tun haben, die zweiten sind unredlich, da sie nicht beabsichtigen, dazu beizutragen, die Fehler der revolutionären Aktion zu reduzieren, sondern bloss eine Verhaltensweise isolieren wollen, die sie für ihre persönlichen Gemächlichkeiten und für ihre theoretischen Gleichförmigkeiten als gefährlich und miteinbeziehend ausmachen. Die praktischen Fehler der anderen können die Gewässer der eigenen Art und Weise, die Realität zu interpretieren, viel ernsthafter aufwühlen, als die eigene kritische Analyse es tut.

Die Aufteilung zwischen Schein und Realität, zwischen Spektakel und Klassenkampf, zwischen wirkliche revolutionäre Aktion und künstliche bewaffnete Gegenüberstellung, kann zu Schlussfolgerungen von grossem Interesse führen, aber kann auch in sinnlosen Alternativen verkümmern. Nichts ist gänzlich Weiss oder gänzlich Schwarz. Es geht um Probleme von Tendenzen, von Ausrichtungen, von auf ein Ziel ausgerichteten Aktionen. Die statische Betrachtung der Wahrheit ist keinesfalls eine positive Haltung, sie endet darin, die Wahrheit selbst zu zerstören, indem sie sie in ein Symbol, in ein ideales Modell, in einen Friedhof der Aktion verwandelt. Es ist nicht die “Realität”, was die Substanz von einer Bewegung qualifiziert, sondern ihre Disponierung in Richtung der Realität. Aber dieses Sich-Bewegen ist laufende Veränderung, revolutionäre Aktion, die die Bewegung im spezifischen Sinne und die Realität, welche die von der Bewegung produzierte Aktion empfängt, verändert. Sich eine von diesen beiden Dingen als unbeweglich oder als vollendet, in allen Einzelheiten perfekt vorzustellen, mag zu analytischen Zwecken nützlich sein, aber hat mit der effektiven Abwicklung der sozialen Phänomene wenig zu tun. Wenn man von “Schein” des bewaffneten Kampfes, von künstlicher und spektakulärer Konfrontation spricht, wenn die bewaffneten Organisationen – zu Recht – anschuldigt werden, sich das Recht angemasst zu haben, das kämpfende Proletariat zu repräsentieren und im Namen von etwas zu handeln, das tausend Meilen weit entfernt ist, sagt man Wahrheiten. Aber auch die wahren Dinge können falsch sein, ja, oft sind sie teilweise nicht wahr, und es ist eben dieser Aspekt von partieller Wahrheit, der sie für den Menschen interessant und nützlich macht. Die absolut wahren Dinge sind banale Tautologien, Wiederholungen, die den Mitteln, die man besitzt, um die Realität zu verstehen und zu verändern, nichts hinzufügen. Aber eine teilweise wahre Sache kann nicht nur für den wahren Teil in Betracht gezogen werden, sie muss für das gelten, was ihre Gesamtheit bedeutet: wahrer Teil und nicht wahrer Teil. So kann man, wenn man sagt, dass der bewaffnete Kampf eine künstliche Gegenüberstellung zum Kapital ist, nicht leugnen, dass das eine Bekräftigung ist, die einen Teil Wahrheit enthält, aber nicht vollkommen wahr ist. Sie ist wahr, insofern die spezifische Organisation die Grenze der freien Entwicklung der Selbstorganisation der Kämpfe anzeigt, sie ist nicht wahr, insofern sie sich angesichts von einer bescheidenen Entwicklung dieser Selbstorganisation an ihre Stelle setzt und, ohne dass es ihr tatsächlich gelingt, sie abzulösen, einen bescheidenen Kern nährt, woraus sich unvermutete Entwicklungen ergeben können. Dies selbstverständlich nur unter der Bedingung, dass man nicht in die Missverständnisse der bewaffneten Partei und der Erstürmung des Winterpalasts fällt. Jenseits von diesen Grenzen und diesen Verirrungen repräsentiert die spezifische bewaffnete Organisation, im Konkreten, das, was die Selbstorganisation der proletarischen Kämpfe niemals werden wird, und das ist auch gut so. Die Revolutionäre sind ein kleines Licht, das vor der grellen Sonne der proletarischen Kämpfe in ihrer vollen Entwicklung verschwindet. Aber, beim Mangel an Kampf, oder wenn des Aufgehen der Sonne auf sich warten lässt, ist das kleine Licht stets besser als nichts.

Als Konsequenz der Unterscheidung zwischen Schein und Realität ist der bewaffnete Kampf angeschuldigt worden, eine ausschliesslich politische, also künstliche Methode zu sein. Auch hier stehen wir vor einer Anschuldigung, die leicht auf jedwelche Methode, auf jede Art von menschlicher Handlung generalisiert werden kann. Ich beharre darauf, zu sagen, dass man nicht eine gewisse Methode für Mangel an Realität anschuldigen kann, sondern dass man einzig Kritiken bezüglich ihrer strategischen Anwendungen entwickeln kann. Diese strategischen Entscheidungen können auf politischen Elementen begründet sein, die so diskriminierend sind, dass sie die sozialen und revolutionären Bedeutungen der Methode disqualifizieren. Es besteht, zum Beispiel, kein Zweifel daran, dass die Reformen das starke Element bilden, worauf sich die sozialdemokratische Verwaltung der Macht stützt. Aus demselben Grund besteht kein Zweifel daran, dass sich die intermediären Kämpfe für eine politische Instrumentalisierung eignen können. Und dennoch sind es Kämpfe, die von vielen Gefährten realisiert und unterstützt werden, und alle Kritiken, die sie betreffen, gehen nur die Gefahren von ihrer Instrumentalisierung an, und gehen nicht so weit, sie als Methode zu negieren, da sie politisch verseucht sei. Bei den Problemen bezüglich dem bewaffneten Kampf wirken leider oft Motivationen, die nicht sehr klar, manchmal von persönlicher Natur sind, welche eine, wenn nicht gerade distanzierte, so zumindest ausreichend objektive Evaluierung des Problems verhindern.

Es gab eine gewisse kindische Komponente in einigen Bekräftigungen, die der organisierten Gewalt das revolutionäre Primat zuschrieben, aber dabei handelte es sich um eine Oberflächlichkeit, die vertieft werden musste, indem man den Rückgriff auf gegenseitige giftige und jeglichen praktischen Sinn entbehrende Sticheleien vermeidet. Auf der einen Seite hat sich eine willkürliche Ausweitung der Notwendigkeit der befreienden Gewalt entwickelt, die letzten Endes die Methode des bewaffneten Kampfes zentral werden liess. Auf der anderen Seite ist man, in dem Versuch, die paradoxen Aspekte von dieser Zentralität zu kritisieren, so weit gegangen, das gesamte Erbe an gewaltsamen Kämpfen der revolutionären Bewegung über Bord zu werfen, indem man die Reise auf den Sandbänken des Pazifismus oder in den existenziellen Widersprüchen einer ungewissen Alltäglichkeit beendete. Wenn kein Zweifel daran besteht, dass man den Klassenfeind nur mit einem Rückgriff auf die revolutionäre Gewalt angreifen und in Schwierigkeiten bringen können wird, bis dahin, ihn im Verlaufe des revolutionären Ereignisses zu besiegen, so besteht genauso kein Zweifel daran, dass dieser Rückgriff auf die Gewalt nicht die Ausschliessung der anderen Methoden impliziert, indem man eine einzige davon privilegiert. Und das auch, weil es nicht stimmt, dass die Gewalt ein ausschliesslicher Vorzug der Methode des bewaffneten Kampfes ist. Auch die Information, die Theorie, die intermediären Kämpfe können einen gewaltsamen Ansatz haben (das heisst, nicht bloss symbolisch sein) und sich deshalb als Anregung für eine revolutionäre Bewusstwerdung von Seiten der Ausgebeuteten vorschlagen.

Der Versuch, einen von ihnen zu töten, um tausend von ihnen zu belehren, ist als wunschtraumhaft bezeichnet worden. Diese These scheint uns sehr richtig. Doch der Inhalt der Aktion, die sich vornimmt, einen Klassenfeind zu eliminieren, endet nicht einfach in dieser Perspektive. Man kann gewiss nicht beanspruchen, die Struktur des Staates zu “belehren”. Auch indem man den Eliminierungsprozess von einigen Funktionären des Repressions- und Konsensbeschaffungsapparates beschleunigt, verschiebt man die jeweilige Funktion um keinen Millimeter. Das negiert jedoch nicht zwei Tatsachen von grosser Wichtigkeit: erstens, es handelt sich noch immer um einen Klassenfeind weniger, zweitens, man trägt zu einem anderen Belehrungsprozess bei, der ganz anders und viel reichhaltiger ist, jener, der an die Ausgebeuteten gerichtet ist, die die allmähliche Eliminierung ihrer Klassenfeinde als möglich sehen. Man hat oftmals die Begrenztheit des ersten von diesen beiden Motiven betont. Man hat gesagt, dass, wenn ein Feind tod ist, ein Anderer seinen Platz einnimmt. Man hat behauptet, dass man nicht die Person anzugreifen braucht, die eine Funktion bekleidet, sondern die Funktion selbst in Anklage stellen muss. All diese Argumente überzeugen nicht. Es wären durchaus gültige Argumente, aber ich glaube stur, dass die Eliminierung von einem Klassenfeind stets einer blossen abstrakten Kritik der Funktion, die derselbe ausübt, zu bevorzugen ist. Und ausserdem ist nicht gesagt, dass die beiden Dinge gezwungenermassen getrennt gehen müssen. Bezüglich dem zweiten Motiv ist gesagt worden, dass wir uns nicht damit beschäftigen dürfen, an die Ausgebeuteten gerichtete “belehrende” Botschaften zu entwickeln. Auch was diesen Punkt betrifft, bin ich nicht einverstanden. Die gesamte revolutionäre Aktion ist ein Belehrungsprojekt von grosser Komplexität. Die Widersprüche kommen aus der Tatsache hervor, dass man oft gezwungen ist, die partiellen Aspekte der Aktion selbst in Betracht zu ziehen, und diese Aspekte, meist voneinander getrennt, tragen zu den Missverständnissen und zu den unnützen Polemiken bei.

Keine Illusion

Ich mache mir keine Illusionen. Die Worte sind abhängig von der faktischen Situation verständlich. Wir geben ihnen nur Raum und Glaubwürdigkeit, wenn sie unter unsere Schemen und unsere Gewissheiten fallen. Die Verteidigungsmechanismen automatisieren sich und verhindern den Empfang selbst der Mitteilung. Wenn dem nicht so wäre, hätten die Aufklärer die Welt bereits seit zweihundert Jahren endgültig verändert.

Es geschieht, zum Beispiel, dass, wenn einer sagt, dass die spezifische Organisation Mittel benötigt, und dass sie sich folglich darum kümmern muss, diese zu beschaffen, der Taube, der nicht hören will, unverzüglich in seine Sprache übersetzt: geheime Finanzierungen, Anwesenheit von fremden Geheimdiensten, Sammelsurium von Dieben und Strassenräubern, Trubel und Champagner. Wenn einer sagt, dass es ein Minimum an Selbstdisziplin braucht, und dass nicht alles der Improvisation überlassen werden kann, übersetzt derselbe Taube unverzüglich: jakobinischer Asketismus, staatsanwaltsmässige Strenge, Entwertung des menschlichen Lebens, Mangel an ethischem Fundament, Instrumentalisierung der Anderen, Entmenschlichung. Wenn einer sagt, dass die, auch physische Eliminierung des Klassenfeindes, aus dem revolutionären Blickwinkel, eine korrekte Sache ist, übersetzt der Taube unverzüglich: blutrünstiger Wahn, Unterstützung der militärtribunalmässigen Verhaltensweisen, Anwendung der Todesstrafe in den Tatsachen, Abwesenheit von ethischen Prinzipien, Unverständnis des Mechanismus, der die Funktion über den Funktionär hinaus reproduziert.

Keine Illusion also über die Tatsache, dass diese Vertiefungen an der Taubheit von jenen, die nicht hören wollen, tatsächlich etwas ändern können.